Tonda Knorr

Totenwache 2.Teil


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einem vorsichtigen Lächeln schaute Sarah ihn an.

      „Heißt das, ich bin wieder im Dienst?“

      „Was?“

      Ratlos schaute Kuntz zu Frank. Der vergrub sein Gesicht vorsichtig hinter seiner Hand. Er ahnte was jetzt kommen sollte.

      „Wovon redest du?“

      „Von mir. Du willst doch, dass ich euch helfe. Demzufolge gehe ich davon aus, dass ich wieder…“

      Sarah stockte. Sie merkte, dass Kuntz nicht mal ansatzweise wusste wovon sie redete. Ihr dämmerte Ungemach.

      „Was? Was meinst du?“, ließ Kuntz nicht locker.

      „Bin ich nun wieder im Polizeidienst oder nicht?“

      „Kindchen, wie kommst du darauf?“

      „Nenn mich nicht Kindchen. Ich habe mir 15 Jahre für deinen Laden den Arsch aufgerissen und ich denke mal, dass ich dir bewiesen habe, dass ich das noch kann. Ich bin kein Kindchen.“

      „Du meinst, so wie vorhin oben im Foyer.“

      Sarah zuckte zusammen.

      „Warte…, warte…, du hast gedacht, dass du wieder in den Polizeidienst kannst? Jetzt verstehe ich. Man, da hätte ich ja auch selber draufkommen können. Tut mir leid, ich hätte mich wohl gleich klipp und klar ausdrücken sollen.“

      Genervt, enttäuscht, ratlos schaute Sarah hilfesuchend zu Frank. Wie ein Stich ins Herz empfand sie seinen leeren Blick. Von ihm schien keine Hilfe zu kommen. Sie drehte sich wieder zu Kuntz.

      „Aber warum bin ich dann hier?“

      „Du sollst da nicht als Polizistin hinfahren. Du fährst da im Auftrag der Sonderkommission hin.“

      „Und warum nicht als Polizistin? Warum die ganzen neuen Gutachten, die ganzen Gespräche mit den Gehirnklempnern…?“

      „Gut! Reden wir über die Gutachten. Die Gehirnklempner, wie du so schön sagst, sind der Meinung, dass sich zwar geringe Verbesserungen an deiner Psyche feststellen ließen, du aber noch weit davon entfernt bist, den Anforderungen…“

      „Hör auf!“, wurde er von Sarah unterbrochen. „Das kann doch nicht dein Ernst sein? Du kennst mich doch. Bist du derselben Meinung?“

      „Sarah! Ich habe dir das schon mal gesagt. Es geht hier nicht um meine Meinung. Verflucht nochmal, ich bin Polizeidirektor. Wir sind hier nicht in einem Kleingartenverein, wo man manche Sachen beim Kaffeeklatsch beschließt. Ich muss die Leute ohne persönliche Sympathien alle gleich behandeln. Ich kann denen nur Empfehlungen geben, aber entscheiden tun die das. Dafür sind solche ärztlichen Gutachten doch da. Man ist immer noch der Meinung, dass du in Extremsituationen nicht so reagierst, wie es sein sollte.“

      „Das ist doch Schwachsinn.“

      „Schwachsinn? Was ist mit deinen Schwindelanfällen? Was ist mit deinen Gefühlsausbrüchen? Wie nennst du das, was da oben mit Büttner…“

      „Hör endlich auf!“

      Während Sarah den Direktor erneut unterbrach, sprang sie auf. Ihr Blick wandte sich zu Frank.

      „Hast du das gewusst?“

      Sie wartete erst gar keine Antwort ab.

      „Na klar hast du das gewusst. Und nichts gesagt.“

      Enttäuscht schob Sarah die Unterlagen in die Mitte des Tisches.

      „Macht euren Scheiß alleine. Wer mich nicht haben will, der kriegt mich auch nicht.“

      Sarah machte sich daran, den Raum zu verlassen. Kuntz blickte ratlos zu Frank, der wie es schien darüber nachdachte, wie er mit der Situation umgehen sollte. Jetzt und vor allem später. Beschwichtigend wandte sich Kuntz nochmal an Sarah.

      „Sarah! Setz dich wieder hin. Ich brauche deine Hilfe. Die Sonderkommission braucht deine Hilfe. Es geht hier um wichtigere Sachen. Du wirst auch genauso bezahlt…“

      Sarah hob ihre Hand. Sie wollte nichts mehr hören.

      „Das ist mir egal. Dein Geld kannst du dir sonst wohin stecken. Ich will hier nur raus.“

      Ohne Frank noch eines Blickes zu würdigen, verließ sie den Raum. Die beiden Männer starrten sich an.

      „Hol sie zurück.“

      „Auf gar keinen Fall. Sie haben sie doch gehört. Sie würde mich alleine dafür umbringen, dass ich mit dem Gedanken spiele sie zurückzuholen.“

      „Frank! Ich habe nicht so viel Zeit für so einen Mist. Ich muss heute noch nach Schwerin. Übermorgen musst du dahin, mit ihr oder ohne sie. Ich habe keinen anderen, der da mit hin kann. Und du brauchst sie da, das weißt du genau. Du weißt doch wie wichtig sie für den Fall war und ist. Außerdem kommt sie alleine hier gar nicht wieder raus.“

      „Na dann stellen Sie sie wieder ein.“

      Entnervt lehnte sich Kuntz, ohne auf die Bemerkung einzugehen, in seinem Sessel zurück. Seine Brille landete im hohen Bogen auf dem Tisch und schlitterte erst mal über selbigen. Sein Blick wanderte über die umherliegenden Akten.

      „Das kann ich nicht…, ich kann nicht.“ Sein Blick bohrte sich förmlich in Franks Gesicht.

      „Ich kann einfach nicht.“

      *

      Sarah blickte sich suchend um. Sie war sich nicht sicher, ob sie explodieren, ihre Wut rausschreien oder in sich zusammensacken wollte. Nichts auf diesem endlos langen, trostlosen Flur bot sich an, woran sie sich hätte abreagieren können. Kein Stuhl, kein vergammelter Standaschenbecher, rein gar nichts bot sich ihr an, um ihren Frust loszuwerden. Wie konnte sie nur wieder so blauäugig gewesen sein. Sie wollte einfach nur raus. Raus aus diesem stickigen Mief. Dem bedrückenden Gefühl dieses fensterlosen unterirdischen Betonwirrwarrs entfliehen. Das grün leuchtende Display an der Tür am Ende des Flurs nahm ihr die Hoffnung, hier ohne fremde Hilfe rauszukommen. Sie war keine, die schnell in Panik gerät, aber hier und jetzt überkam sie ein beklemmendes Gefühl. Sie fühlte sich allein, trotz Franks Nähe, der unweit von ihr, vermutlich nicht wusste, wie er mit der Situation umgehen soll. Sie rutschte langsam, mit dem Rücken die Wand entlang, runter auf den Fußboden.

      Sie schloss die Augen und vergrub ihr Gesicht hinter ihren Händen. Wie ein kleines Mädchen kauerte sie auf der Erde und verstand die Welt nicht mehr. Sie suchte verzweifelt nach einer Erklärung, nach einem Schuldigen. Sie versank in Hoffnungslosigkeit und nahm nichts um sich herum mehr war, nicht einmal, dass sich vorsichtig die Tür öffnete, die sie aus dieser Beklemmung befreien könnte und Boris Waschkow, der alte russische Bataillonskommandeur, den Flur betrat. Mühsam setzte sich der alte Mann neben sie auf den Boden. Normalerweise passiert so etwas nicht unbemerkt, aber Sarah, immer noch ihr Gesicht hinter ihren Händen vergraben, wollte scheinbar nichts um sich herum wahrnehmen. Was sollte ihr hier im Polizeipräsidium schon passieren? Für einen Augenblick herrschte vollkommene Ruhe. Waschkow spürte förmlich, dass Sarah mit sich allein sein wollte. Trotzdem wandte er sich ihr zu, während er seine Hand behutsam auf ihren Arm legte. Leise begann er zu sprechen:

      „Das Leben ist wie eine Achterbahnfahrt. Erst geht es langsam nach oben und dann geht es rasant weiter. Mal runter, wieder hoch, man wird durchgeschüttelt, dann wird’s wieder langsam, und eh man sich an irgendein Tempo gewöhnt hat, geht es schon wieder irgendwie anders weiter. Man weiß nie was hinter der nächsten Kurve kommt. Man wird ein aufs andere Mal überrascht und ist jedesmal froh, dass man es doch überstanden hat. Und wenn man dann aussteigt, die Fahrt Revue passieren lässt, überwiegt meistens der positive Eindruck und man will es gleich noch einmal machen.“

      Sarah hatte mittlerweile die Hände runtergenommen und sah Waschkow aus den Augenwinkeln an.

      „Aber es gibt auch welche, die kotzen dann erstmal den halben Rummelplatz voll, und steigen nie wieder in so ein Ding.“

      Waschkow musste lachen.

      „Genau das ist der springende Punkt. Man muss sich im Klaren sein,