Bernd Radtke

Träume aus dem Regenwald


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möchte dir helfen.«

      Er lächelte sie an und sein Kopf hatte ebenfalls eine rote Farbe angenommen.

      »Es ist schwer für mich, als Mann mit einem jungen Mädchen, oder besser, einer jungen Frau darüber zu reden, ich glaube jedoch, dass wir uns lange genug kennen und genug Freunde sind, um uns über solche Dinge zu unterhalten. Was in deinem Körper vor sich geht, haben wir durchgenommen. Das Seelische ist dabei vielleicht etwas zu kurz gekommen.«

      Er erklärte Jaíra noch einmal den weiblichen Zyklus und zeigte ihr, wie sie die fruchtbaren und unfruchtbaren Tage errechnen konnte.

      »Hundertprozentig ist die Sache zwar nicht, aber besser als gar nichts.«

      Bald verloren sie alle Scheu und sprachen offen und ohne Hemmungen miteinander.

      »Und du?«, wollte Jaíra wissen.

      »Ab und zu eine Liebelei. Auch ein alter Lehrer braucht manchmal ein bisschen Zärtlichkeit.«

      »Du bist doch noch nicht alt.«

      »Na ja, ich werde dieses Jahr vierzig.« Hans verdrehte lachend die Augen.

      »Wollen wir ein bisschen in deinem Buch lesen?«

      Hans hatte Jaíra richtig eingeschätzt, die Geschichte gefiel ihr auf Anhieb.

      Beim Abschied hielten sie sich lange im Arm.

      »Danke, dass du mein Freund bist.« Sie gab ihm einen Kuss auf den Mund.

      Nachdenklich schaute er ihr hinterher. »Hoffentlich ist es noch nicht zu spät.«

      Am Abend traf sie sich mit Fabio, der sie gleich zu Paulos Schuppen zog. Seine Küsse und Zärtlichkeiten hatten diesmal einen bitteren Beigeschmack. Jaíra hatte lange Zeit gehabt, über die Worte von Hans nachzudenken. Sie hatte Angst und Fabio merkte es.

      »Was ist los mit dir?«

      Sie befreite sich aus seinen Armen und sah ihn an.

      »Was würdest du machen, wenn ich ein Kind bekäme?«

      »Bist du schwanger?« Fabio stand der Mund offen.

      »Ich hoffe nicht, ich habe Angst, dass es passiert.«

      »Du bist zu jung, da passiert nichts«, meinte er naiv.

      »Na und, Micaela ist zwei Jahre jünger als ich und sie ist schwanger.«

      »Manchmal passiert es halt, aber nicht bei dir. Jetzt komm schon.« Ungeduldig zog er sie zu sich.

      Fabio kam ihr plötzlich sehr dumm vor.

      »Lass mich«, herrschte sie ihn an.

      Sie riss sich los und rannte weg. Verständnislos starrte Fabio hinter ihr her.

      Jaíra saß auf der Veranda vor dem Haus und schaute in das Licht einer Kerze. Sie hatte Angst bekommen. Was, wenn sie wirklich schwanger wäre?

      Manara, die ihre Stimmung bemerkte und sich Sorgen machte, setzte sich neben sie.

      »Was ist los mit dir?«, fragte sie vorsichtig.

      »Nichts, was soll denn sein? Es ist alles in Ordnung«, log sie.

      »Ich bin deine Mutter, ich fühle, dass da etwas ist.«

      Jaíra schüttelte energisch den Kopf. Nachdenklich sah Manara ihr nach, wie sie aufstand und hinter dem Haus verschwand.

      Spät in der Nacht kam Eduardo nach Hause. Manara hatte auf ihn gewartet, die anderen lagen in ihren Hängematten und schliefen, nur Jaíra war noch wach. Sie hörte, wie Eduardo Manara küsste.

      »Bevor ich herkam, war ich noch kurz im Dorf. Ich habe dort Hans getroffen und mit ihm gesprochen.«

      Jaíra rutschte das Herz in die Hose und sie machte sich ganz klein. Hatte Hans sie verraten? Zitternd lauschte sie.

      »Es gibt gute Neuigkeiten«, sagte er und Jaíra atmete erleichtert auf. »Hans hat versucht, dass wir ein Hospital im Dorf bekommen. Er sagt, dass es gar nicht so schlecht aussieht.«

      Schnell aß er eine Kleinigkeit und ging später mit Manara hinter den Vorhang. Kurz darauf hörte Jaíra die Geräusche, die sie jetzt ebenfalls kannte und wusste, was sie bedeuteten.

      Zum ersten Mal freute sich Jaíra, dass ihr Vater das ganze Kanu voller Maniokwurzeln mitgebracht hatte, die jetzt verarbeitet werden mussten. Mit Feuereifer war sie dabei, um sich von ihren Gedanken abzulenken. Am Abend fiel sie todmüde in ihre Hängematte und in dieser Nacht hatte sie keine bösen Träume.

      Jaíra wurde immer aufgeregter und ängstlicher. Beinahe eine Woche waren ihre Tage überfällig. Lustlos saß sie neben Juçara auf der Veranda und schälte, wie ihre Schwester, Maiskolben, die ihre Mutter später rösten würde, als sie ein nur allzu bekanntes Ziehen in ihrem Unterleib bemerkte. Möglichst unauffällig ging sie ins Haus und überglücklich stopfte sie eine Binde in ihre Shorts. Erleichtert setzte sie sich neben ihre Schwester und nahm einen neuen Maiskolben in die Hand. Wissend grinste Juçara sie an.

      »Noch mal Glück gehabt?«

      Jaíra konnte nicht anders, eigentlich hatte sie sich mit Juçara nie richtig verstanden, ständig stritten sie sich, doch jetzt brauchte sie jemanden, mit dem sie reden konnte und so erzählte sie ihrer Schwester alles.

      »Glaub ja nicht, dass du die Einzige bist, der so etwas passiert ist. Mir ging es auch schon so. Das Blöde daran ist nur, dass es so viel Spaß macht.«

      Erleichtert lachten sie laut und lange. Von nun an verstanden sich die beiden, die sich bisher immer nur gestritten hatten. Sie redeten über alles, besonders über die Jungen. Erstaunt hörte Jaíra, dass ihre Schwester bereits mehrere Liebschaften gehabt hatte und auch Paulos alten Schuppen kannte.

      Juçara wusch gerade Wäsche, als Jaíra aus dem Dorf zurückkam. Schon von Weitem spürte sie, dass mit ihrer Schwester etwas nicht stimmte, denn ihr Gesichtsausdruck sprach Bände.

      »Liebeskummer?«, riet sie, als sich Jaíra neben sie setzte und wütend auf ein Top einschlug. Traurig nickte sie.

      »Fabio geht jetzt mit Ibiri. Ich habe sie zusammen gesehen. Blöder Kerl. Ich glaube, er konnte nicht verstehen, dass ich nicht immer mit ihm in Paulos Schuppen gegangen bin, wenn er wollte.«

      »So sind die Männer. Wenn du sie nicht lässt, gehen sie früher oder später. Übrigens auch dann, wenn du sie lässt.« Sie lachte.

      »Nicht nur das, es war schon länger nicht mehr in Ordnung zwischen uns.«

      »Sei froh, dass du ihn los bist, bald kommt ein anderer.«

      Sie grinsten sich an. Juçara tauchte ihre Hand ins Wasser und spritzte ihre Schwester nass. Lachend sprang Jaíra ins flache Wasser und fing ebenfalls an, Juçara zu bespritzten. Erst ein strenger Ruf ihrer Mutter stoppte die beiden. Sie waren klitschnass, das Wasser tropfte an ihnen herunter. Lachend wuschen sie zusammen die restliche Wäsche.

      Eduardo hatte Jaíra mitgenommen. Sie paddelten nach »Nova Esperança«, einer winzigen Ansiedlung, die, je nach Wasserstand, eine gute Woche flussauf an einem Nebenfluss lag, um bei Tante Janaina Kräuter und andere Pflanzen für die Familie und Dona Marga, die Hebamme, zu holen.

      Jaíra freute sich riesig darauf, Ivo, den drei Jahre älteren Nachbarsjungen ihrer Tante wieder einmal zu sehen. Früher hatten sie gerne miteinander gespielt, wenn sie hier zu Besuch war. Zusammen gingen sie immer zum Fischen und Baden an den Fluss oder wanderten im Urwald umher, um Früchte und Nüsse zu sammeln.

      Auch dieses Mal waren sie unzertrennlich, obwohl Jaíra spürte, dass Ivo sie nicht mehr als kleines Kind betrachtete und anders mit ihr umging.

      Sie waren tief in den Urwald gegangen, um Paranüsse zu sammeln. Ein Tapir flüchtete vor ihnen und Ivo bedauerte, kein Gewehr mitgenommen zu haben.

      Endlich erreichten sie die Stelle mit dem Baum und sammelten die großen, hartschaligen Kugeln, in denen die eigentlichen