Bernd Radtke

Träume aus dem Regenwald


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glaube, wir zeigen Ihnen jetzt erst einmal Ihr neues Domizil. Sie sind doch bestimmt neugierig.«

      »Und ob«, antwortete Margot Westkamp.

      Sie gingen zu dem fertiggestellten Gebäude. Vorsichtig trugen mehrere Männer das Gepäck und die mitgebrachten Geräte zum Hospital, wo sie die Koffer und Kisten erst einmal in dem großen Krankensaal abstellten. Hans zeigte Margot Westkamp das Hospital und ihre privaten Räume, die in einem Nebengebäude untergebracht waren.

      Jaíra betrachtete verstohlen die Frau. Sie war braun gebrannt und in ihren Jeans und dem T-Shirt wirkte sie jünger, obwohl Jaíra wusste, dass sie die Fünfzig bereits überschritten hatte. Ihre offene Art gefiel ihr und sie glaubte, dass diese Frau hier am richtigen Platz sein würde; sie mochte sie schon jetzt.

      »Wenn Sie möchten, helfe ich Ihnen gerne beim Auspacken«, bot sich Jaíra spontan an.

      »Das Angebot nehme ich gerne an. Die Koffer sind schwer und ich bin nur eine schwache, alte Frau«, meinte sie lachend mit einem spöttischen Grinsen, die anderen lachten mit.

      »Dann wollen wir Sie nicht länger stören. Ich habe mit Hans noch Einiges zu besprechen. Wenn Sie fertig sind, lassen Sie sich von Jaíra in die Schule führen, dort haben die Leute einen Empfang und ein Essen für Sie vorbereitet«, entschuldigte sich Padre Laurindo.

      Nachdem die beiden Frauen allein waren, trugen sie die Koffer in Margots neues Zuhause, wo sie die Sachen verstauten. Erschöpft ließen sie sich danach auf das im Wohnzimmer stehende Sofa fallen.

      »Möchten Sie etwas trinken? Soll ich Ihnen was holen?«, fragte Jaíra.

      »Ein Glas Wasser wäre prima. Ich bin schon total dehydriert.« Margot Westkamp streckte die Zunge heraus.

      Jaíra ging in die Küche und holte eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank. Sie öffnete die Flasche und goss das mitgebrachte Glas voll.

      »Und du, bist du nicht durstig?«

      »Doch, ich wusste nicht, ob ich auch ...«

      »Sicher.« Margot schüttelte den Kopf. »Das ist doch selbstverständlich.« Freundlich nickte sie Jaíra zu.

      »Jetzt gehe ich erst einmal die Dusche ausprobieren und dann können wir gehen.« Sie stand auf, schnappte sich ein Handtuch und verschwand im Bad.

      In der Zwischenzeit sah sich Jaíra die von der Ärztin mitgebrachten Bücher an, die sich auf dem Schreibtisch stapelten. Sie hatte sich ein Buch über Schwangerschaft und Geburt genommen. Fasziniert betrachtete sie die Bilder der Zeugung und Entwicklung bis zur Geburt. Deutlich konnte sie auf den Fotos alle Einzelheiten erkennen, es gab sogar Bilder der verschmolzenen Körper, in denen Jaíra das erigierte Glied im Körper der Frau sehen konnte.

      Sie war so vertieft, dass sie nicht merkte, wie Margot an sie herantrat und erschrak, als sie sie ansprach.

      »Das ist sehr interessant. Du kannst es gerne mal haben.«

      »Ich ... ich habe mir nur die Bilder angesehen«, stotterte Jaíra ertappt. »Hans hat auch so ein Buch, aber nicht mit solchen Bildern. Ich war dabei, als die Frau meines Bruders ihr Kind bekam. Es war so schön ...«, schwärmte sie. »In den nächsten Wochen bekommt meine Schwester ihr Baby. Da möchte ich auch wieder dabei sein.«

      Margot spürte Jaíras Begeisterung.

      »Du sprichst wirklich sehr gut Deutsch«, lobte sie Jaíra. »Hat dir das alles Herr Ferber beigebracht?«, fragte sie immer noch ungläubig.

      »Ja, er ist ein guter Lehrer. Am Anfang ist es mir schwergefallen, die Worte auszusprechen, aber dann ging es«, antwortete sie bescheiden.

      »Das ist unglaublich, das hätte ich hier nicht erwartet.« Sie schüttelte den Kopf.

      »Wollen wir? Die Leute warten bestimmt alle gespannt auf Sie.« Jaíra stand auf.

      »Lass das blöde ‚Sie’, sag einfach ‚Du’, ich bin Margot.«

      Sie hielt der verblüfften Jaíra die Hand hin, die ihr spontan zwei Küsschen auf die Wange gab. Mit rotem Kopf ging Jaíra stolz mit Margot zum Schulgebäude.

      Jaíra hatte recht, jeder hatte sich auf den Weg gemacht, um die neue Ärztin zu begrüßen. In dem Schulsaal drängten sich die Menschen und noch vor dem Saal standen die Leute in Gruppen und unterhielten sich.

      In einer dieser Gruppen erkannte sie Adriano, der mit den Leuten zusammenstand, die das Hospital gebaut hatten. Sie winkte ihm zu. Hans und Padre Laurindo kamen ihnen entgegen. Sie führten sie an einen Tisch vor der Tafel. Hans stellte sich vor den Tisch und begann mit einer kleinen Rede.

      »Nachdem wir das Hospital fertiggestellt haben, bin ich sehr froh darüber, euch Margot Westkamp vorzustellen, die als Ärztin in unser Dorf gekommen ist, um hier zu arbeiten.«

      Er beschrieb noch einmal die Schwierigkeiten und die verschlungenen Wege der Bürokratie und dankte den Männern vom Bau für die saubere Arbeit, die sie geleistet hatten. Nach dem Ende seiner Rede bat er Margot Westkamp, auch ein paar Worte an die Zuhörer zu richten, was diese gerne tat. Es kam Jaíra so vor, als wäre es an ihrem ersten Schultag. Gebannt horchte sie den Erzählungen Margots.

      »Nach über fünfzehn Jahren Arbeit in einem kleinen Dorf in Mosambik wurde in der benachbarten Stadt ein großes Krankenhaus gebaut. Dadurch wurde unsere kleine Krankenstation überflüssig und ich hatte die Wahl, wieder nach Deutschland zu gehen oder einen neuen Auslandsaufenthalt in einem anderen Land anzunehmen. Da ich nicht mehr für das Leben in Europa geeignet bin und die beiden Länder die gleiche Sprache haben, entschloss ich mich für Brasilien und so bin ich nun hier.«

      Margot hatte leidenschaftlich gesprochen und Jaíra fühlte wie die anderen, dass ihre Worte von Herzen kamen.

      Endlich hatte Margot jedem die Hand gedrückt und ein paar Worte gewechselt. Erschöpft kam sie zum Tisch und ließ sich auf ihren Stuhl fallen.

      »Ich glaube, der erste Patient in meiner Klinik bin ich selber. Meine Hand ist vom vielen Händeschütteln bestimmt gebrochen und ich muss sie eingipsen«, meinte sie lachend.

      »Das hat bestimmt Zeit bis nach dem Essen, Sie müssen unbedingt die Spezialitäten unserer ausgezeichneten Küche probieren«, konterte Hans und deutete auf das vorbereitete Essen.

      »Hilfst du mir herauszufinden, was das alles ist?«, bat sie Jaíra, die ihr gerne die fremden Gerichte zeigte und erklärte. Margot war nicht zimperlich und probierte alles, was ihr einmal mehr die Sympathie der Leute einbrachte.

      Jaíra hörte gerade aufmerksam zu, wie Margot Westkamp über ihre Arbeit in dem kleinen Krankenhaus in Mosambik erzählte, als Adriano an den Tisch trat.

      »Komm, wir gehen jetzt«, forderte er Jaíra schroff auf und zog sie hoch. Jaíra merkte, dass er getrunken hatte. Es war ihr peinlich und sie wollte nicht, dass die anderen es bemerkten. Aufgebracht ließ sie sich von ihm nach draußen führen.

      Margot starrte ihnen hinterher. Einfühlsam hatte sie gemerkt, dass Jaíra widerwillig mitgegangen war. Sie war zu neu hier und traute sich nicht, die anderen über Jaíras Freund auszufragen.

      »Ein blöder Kerl, dieser Adriano. Jaíra hätte wirklich etwas Besseres verdient.« Hans schüttelte den Kopf. »Wie kann sie nur so dumm sein und sich ausgerechnet den aussuchen«, kam er ihr zuvor.

      »Ist sie schon lange mit ihm zusammen?«, fragte Padre Laurindo neugierig.

      »Vor ungefähr zwei Monaten ist sie zu ihm gezogen. Es muss ziemlich schnell gegangen sein.«

      »Was ist Jaíra eigentlich für eine Frau?«, wollte Margot wissen. »Wir haben uns ein bisschen unterhalten und ich glaube, dass sie ein bemerkenswerter Mensch ist.«

      »Das ist sie«, sagte Hans. »Als ich herkam, war sie acht. Sie blieb mittags einfach bei mir und wollte immer mehr wissen. Als sie einmal einen Brief an meine Eltern sah, kam sie auf die Idee, Deutsch zu lernen. So kam das alles.«

      Wütend ging Jaíra neben Adriano zum Ufer,