Eva Markert

Stiefbrüder küsst man nicht


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schlechte Note.“

      „Das heißt also, du hast ein gutes Gefühl?“

      Dominik verlor die Geduld. „Mensch, lass mich doch endlich in Ruhe mit deinen Gefühlen!“

      Ich verlor die Geduld ebenfalls. „Warum bist du biestig zu mir, wenn ich mich freundlich erkundige, wie die Klausur gelaufen ist?“

      „Schrecklich, dass Mädchen so neugierig sind. Ich sehne mich zurück nach der Zeit, als mein Vater und ich noch allein wohnten.“

      Ich baute mich vor ihm auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Was hast du gegen meine Mutter?“

      „Nichts. Aber ich empfinde Weiber gelegentlich als störend.“

      „Weiber?! Störend?! Bist du schwul, oder was?“

      „Und wenn?“ Herausfordernd schaute er mich an.

      Ich wurde unsicher unter seinem Blick. „Du kannst mich mal!“, zischte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. „Lass mich einfach in Frieden.“

      „Nichts lieber als das. Dasselbe erwarte ich von dir.“

      „Weißt du was?“, schrie ich ihn an. „Du müsstest nicht Grau heißen, sondern Grauen. Oder Grauenhaft. Dominik Grauenhaft. Der Name würde zu dir passen.“

      „Wenn das von dir kommt, fasse ich es als Kompliment auf.“

      Weg war er.

      „Dominik ist ein echter Kotzbrocken“, erzählte ich Annika später. „Er bringt einen zur Weißglut. Man kann einfach nicht nett zu ihm sein.“

      ***

      Ein paar Tage darauf kam er mittags noch mürrischer nach Hause als sonst.

      „Was hat dir denn die Petersilie verhagelt?“, fragte ich, obwohl ich mir vorgenommen hatte, nie mehr das Wort an ihn zu richten.

      „Nichts.“

      Ich schnaufte durch die Nase. „Was frage ich überhaupt? Dir ist die Petersilie nicht bloß verhagelt, du hast gar keine. Ständig ziehst du ein Gesicht.“

      Es stellte sich heraus, dass er in der Englischklausur eine Zwei plus hatte. Keine Eins oder Eins Minus wie üblicherweise. „Seine Sorgen möchte ich haben“, dachte ich, während ich zuhörte, wie er sich bitter bei seinem Vater über die Note beklagte. Die beiden saßen im Wohnzimmer. Die Tür war zu, aber Dominik sprach so laut, dass es reichte, im Flur stehen zu bleiben, um jedes Wort verstehen zu können.

      „Der Kerl spinnt“, schimpfte er. „Was der erwartet, kann kein Schüler leisten.“

      Was Stefan antwortete, konnte ich nicht hören. Er sprach relativ leise. Wahrscheinlich fragte er, wie der Klassendurchschnitt war, denn Dominik beschwerte sich, dass es im gesamten Kurs nur eine Eins minus gab. Er wollte, dass sein Vater mit dem Lehrer redete. „Du musst ihm sagen, dass er Unmögliches verlangt.“

      „Das werde ich auf gar keinen Fall tun!“

      Ich hörte Blättern. Stefan guckte sich wohl die Klausur an. „Da hast du aber einige Fehler gemacht“, stellte er fest.

      „Ich bin eben nicht besonders gut in Grammatik. Aber mit dem Inhalt gleiche ich das immer aus.“

      „Darauf würde ich mich nicht verlassen. Stattdessen könntest du ein paar Grammatikregeln wiederholen. Ich sehe zum Beispiel, dass du vor allem Zeitfehler gemacht hast. Warum fängst du nicht damit an?“

      Mir fiel ein, dass Annika mir vor einiger Zeit ein Buch gegeben hatte mit Regeln und Übungen. Das hatte mir tatsächlich geholfen. Ich platzte ins Wohnzimmer. „Ich habe ein gutes Buch, mit dem du Grammatik üben kannst.“

      Die beiden starrten mich an. „Du hast an der Tür gelauscht!“, rief Dominik entrüstet.

      Erst jetzt wurde mir klar, dass ich mich verraten hatte. Himmel, war mir das peinlich! Ich stotterte was von „zufällig im Vorbeigehen gehört“.

      „Dann musst du aber seeehr langsam vorbeigegangen sein ...“

      Stefan mischte sich ein. „Guck dir Merles Buch doch mal an.“

      Ein geringschätziger Blick traf mich. „Was die gut findet, kann nur Mist sein.“

      „Rede nicht solch einen Unsinn“, war das Letzte, was ich Stefan sagen hörte, bevor ich die Tür hinter mir zuknallte. Ihm konnte man absolut nichts vorwerfen, er war okay. Aber sein Sohn ... Einfach grässlich! Grauenvoll!

      Ich beschwerte mich bei Mama über Dominik.

      „Das wird schon“, meinte sie zuversichtlich. „Ihr rauft euch bestimmt noch zusammen.“

      „Du irrst dich. Das wird nie was“, sagte ich im Brustton der Überzeugung.

      Drei

      In den Herbstferien fuhren Mama, Stefan und ich an die holländische Nordseeküste. Wir nahmen unsere Räder mit. Die Eltern – ich nenne sie mal so – reisten unheimlich gern und sie liebten das Meer und Radwanderungen. Dort konnten sie beides miteinander verknüpfen, und ich hatte nichts dagegen.

      Mein blöder Stiefbruder, wie ich ihn insgeheim nannte, kam natürlich nicht mit. Das hätte mich auch gewundert. Er und sein Freund Thomas fuhren mit ihrer Judogruppe in ein Trainingslager. Mehr wusste ich nicht, noch nicht einmal, wo das war, denn er tat mir nicht die Ehre an, mich genauer zu informieren, und ich tat ihm nicht die Ehre an, mich genauer zu erkundigen. Das Einzige, was er diesbezüglich zu mir sagte, als ich eines Nachmittags Hip-Hop durchs Haus schallen ließ, war: „Gott sei Dank bin ich dich bald für ein paar Tage los.“

      „Dito“, gab ich zurück.

      Als ich Annika davon berichtete, erlebte ich eine Überraschung. Sie reagierte völlig anders, als ich es erwartet hatte. Ich dachte, sie würde etwas äußern wie: „Sei froh, dass du den nicht die ganzen Ferien an der Backe hast.“ Stattdessen sagte sie: „Schade eigentlich, dass er nicht mit euch fährt.“

      „Hä?“ Ich schaute sie verständnislos an.

      „Dann hättet ihr euch richtig kennenlernen können“, setzte sie erklärend hinzu.

      „Nein, danke“, rief ich. „Was ich bisher von ihm gesehen habe, reicht mir vollkommen.“

      „Möglicherweise ist er netter, als du glaubst.“

      „Im Gegenteil“, erwiderte ich. „Er ist noch viel schlimmer, als du es dir vorstellen kannst.“

      ***

      Die Reise nach Holland ohne Dominik war richtig schön. Ich mochte Stefan von Tag zu Tag mehr. Fast vergaß ich, dass er früher mein Lehrer gewesen war. Privat war er sowieso total anders als in der Schule. Dort war er Herr Grau, zu Hause war er Stefan und richtig lieb und nett.

      Ich weiß nicht, was Dominik über meine Mama dachte. Sie war ebenfalls furchtbar lieb und nett zu ihm, manchmal sogar netter als zu mir, fand ich. Er war nicht direkt nett zu ihr, aber auch nicht unnett. Ich glaube, er mochte sie und wollte es bloß nicht zeigen.

      Von ihm hörten wir die ganze Zeit über nichts. Kein Anruf, keine SMS, keine WhatsApp.

      Irgendwann schickte Stefan ihm eine Nachricht. Er schrieb, dass es uns in Holland gut gefiel, und wollte wissen, wie es im Trainingslager wäre. Dominiks Antwort bestand aus einem Wort. „Okay.“ Bestimmt fand er das Trainingslager hauptsächlich deshalb okay, weil ich nicht dort war!

      ***

      Als die Schule – viel zu schnell! – wieder anfing, ging mit Annika eine seltsame Veränderung vor. Sie wurde auf einmal extrem anhänglich. Wir hatten uns immer schon oft getroffen – bei ihr, bei mir oder in der Stadt –, und wir telefonierten und simsten mehr oder weniger unablässig, aber nun bestand sie plötzlich darauf, jeden Nachmittag bei uns zu verbringen, obwohl sie ziemlich weit mit dem Bus oder Rad fahren musste.

      Im