Ute Dombrowski

Tabu Liebe verlässt dich nie


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an Land, auf dem Wasser und in der Luft kommunizierten die Polizisten und Rettungskräfte per Funk miteinander. Sie fanden heraus, wem der Helikopter gehörte, wer an diesem Tag damit geflogen war und dass sie von Sanary-sur-Mer aus aufgebrochen waren nach Nizza, mit einem Zwischenstopp in Fréjus. Sie fanden heraus, dass sich an Bord des Helikopters vier Personen befunden hatten: Karim al Garegh, der Pilot, außerdem Daniel Hardeg, Thea Hardeg und Richard Hardeg.

      Zwei Polizisten machten sich auf den Weg nach Sanary-sur-Mer, um die Hinterbliebenen von dem traurigen Ereignis in Kenntnis zu setzen, gleichzeitig mit ihrem Fahrzeug kam ein Notarzt mit einem Rettungswagen in der Villa an.

      *

      Katja und Marie hatten sich in der Küche an die Arbeit gemacht. Francoise war noch einmal losgefahren, um die restlichen Lebensmittel abzuholen, die Marie bestellt hatte.

      Katja hatte einen Hefeteig mit Oliven und Tomaten geknetet, um daraus ein Brot zu machen. Plötzlich beschlich sie ein ungutes Gefühl der Unruhe. Sie konnte nicht genau sagen, woher es kam, aber es breitete sich unaufhörlich in ihr aus. Es war, als würde irgendwo etwas passieren, was nicht richtig war.

      Sie schüttelte sich und schob den Gedanken weg.

      Am Mittag schaute Katja auf die Uhr über dem Küchenschrank. Eigentlich hätten Karim und Daniel längst zurück sein müssen. Die Unruhe trieb sie vor die Tür. Sie horchte in die Luft. Nirgends war das Geräusch des Helikopters zu hören. Eine unbe­stimmte Angst griff mit einer kalten Hand nach ihrem Herzen.

      Katja dachte: Hoffentlich ist ihnen nichts passiert.

      Sie ging wieder ins Haus und fragte Marie, was sie davon hielt.

      Marie überlegte und sagte: „Wer weiß? Vielleicht sind sie noch woanders hingeflogen. Du kennst doch Karim: Fliegen ist sein Leben. Die beiden Männer haben sicher noch etwas Schönes entdeckt. Sie wissen ja, dass sie heute Abend wieder hier sein müssen, sonst gibt es Ärger.“

      Katja atmete tief ein und aus und hoffte, ruhiger zu werden. Nun war sie gerade einmal ein paar Stunden von Daniel getrennt und machte sich schon Sorgen. Sie war froh, dass sie ihn auf den beiden Reisen begleiten würde. Wer weiß, wie schlecht es ihr sonst in der Zeit gehen würde ohne Daniel.

      Am Nachmittag hörten Marie und Katja ein Auto in die Einfahrt kommen. Francoise war schon heimgegangen, alles war fertig, aber sie erwarteten keinen Besuch. Katja und Marie schauten sich an und zuckten mit den Schultern. Marie stand von der Sonnenliege auf und ging vor das Haus, um nachzuschauen, wer da angekommen war. Als sie das Fahrzeug der Polizei sah und gleich danach der Rettungswagen ankam, musste sie sich am Zaun festhalten. Sie dachte: Oh mein Gott, bitte lass nichts Schlimmes passiert sein.

      Die Gesichter der beiden Polizisten, die nun auf sie zukamen, beruhigten sie ganz und gar nicht. Entsetzen breitete sich in ihr aus und sie fror trotz der Hitze.

      Katja war neugierig geworden, als Marie nicht zurückkam und lief ihr hinterher in die Einfahrt. Da sah sie die Polizisten, einen Mann und eine Frau, und den Arzt, die mit Marie redeten. Sie war in sich zusammengesunken und drehte sich zu Katja um, als sie Schritte gehört hatte. Das, was Katja in ihren Augen sah, ließ sie zusammenzucken. Tränen waren in Maries Augen getreten. Sie kam auf Katja zu und nahm sie in den Arm.

      „Nein“, flüsterte Katja. „Nein. Nein, bitte sag nicht, dass etwas passiert ist.“

      Marie konnte nicht sprechen. Sie schob Katja vor sich her ins Wohnzimmer auf die Couch. Dann sank sie selbst im Sessel zusammen. Katja saß kreidebleich und kerzengerade dort und schaute die Polizisten an. Die Frau setzte sich zu Katja.

      Sie erklärte in vollendetem Deutsch: „Es tut mir so unendlich leid, Frau Hardeg. Der Helikopter ist heute Vormittag nach einem technischen Defekt, so sieht es im Moment aus, im Esterel-Gebirge zwischen Saint-Raphaël und Cannes abgestürzt. Ihr Mann und die anderen drei Personen waren sofort tot. Es tut mir so leid.“

      Katja war aufgestanden und ans Fenster getreten. Sie starrte hinaus, ohne etwas zu sehen.

      Nach einer unendlichen Minute sagte sie: „Nein, Sie müssen sich irren. Mein Mann ist mit seinen Eltern und unserem besten Freund unterwegs hierher. Wir feiern gleich zusammen. Sie irren sich. Bestimmt irren Sie sich. Karim ist ein guter Pilot. Er würde niemals abstürzen. Nein … nein … nein … nein … nein …“

      Sie stand kopfschüttelnd am Fenster und sagte immer wieder dieses eine Wort. Nach unendlich langer Zeit drehte sie sich um, schaute in die tränengefüllten Augen von Marie und in diesem Moment traf die Erkenntnis, dass alle tot waren, sie mit einem groben, harten Schlag.

      Katja sackte zusammen und verlor das Bewusstsein. Der Notarzt trat eilig zu ihr. Marie weinte unaufhörlich. Sie konnte sich nicht bewegen und auch nicht sprechen, der Schmerz hatte sie stumm gemacht.

      Die Sanitäter hoben Katja auf die Trage und brachten sie vorsorglich in die Klinik nach Toulon. Marie wurde am Arm hinausgeführt und ebenfalls zur Kontrolle dorthin mitgenommen. Als sie sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, wollten die Polizisten, die im Krankenhaus bei ihnen geblieben waren, besprechen, was nun alles zu erledigen war und was auf sie zukam.

      Marie bat sie, dieses Gespräch noch zu verschieben.

      „Ich muss nach Katja sehen. Ihr Zustand macht mir große Sorgen.“

      Die nette Polizistin nickte. Sie sprach so gut Deutsch, weil sie vor Jahren hier ihre Liebe gefunden und geheiratet hatte. Sie war erschüttert, denn der Gedanke daran, dass sie ihren Mann verlieren könnte, war auch für sie schwer zu ertragen. Sie griff in ihre Tasche und reichte Marie ihre Karte.

      „Bitte rufen Sie mich an, wenn Sie bereit sind. Dann helfen wir Ihnen“, sagte sie mitfühlend.

      *

      Katja war in der Nacht zu sich gekommen und schaute sich um. Sie lag in einem Bett in einem kleinen Zimmer mit hübschen, fröhlichen Bildern an den Wänden. Draußen war es dunkel, über dem Nachttisch brannte ein kleines Nachtlicht. Neben ihrem Bett saß Marie zusammengesunken auf einem Stuhl und strich ihr sanft übers Haar, als sie bemerkte, dass Katja wach war.

      Katja dachte nach, warum sie hier war.

      Da kam die Erinnerung mit aller Macht zurück. Sie begann zu weinen. Marie setzte sich zu ihr auf das Bett und hielt sie im Arm. Ihre rechte Hand klingelte nach der Ärztin. Katja zitterte am ganzen Körper. Die Tränen, die am Nachmittag noch nicht herauswollten, bahnten sich nun ihren Weg.

      Sie sagte tonlos: „Marie, sag mir, dass alles nur ein böser Traum ist.“

      „Ich wünschte, es wäre so … aber wir müssen es irgendwie begreifen. Daniel, Karim … Thea, Richard … sie sind …“

      Sie konnte nicht weitersprechen, es zerriss ihr das Herz.

      Die Ärztin kam und setzte sich ans Bett. Sie fühlte den Puls von Katja, leuchtete ihr in die Augen und strich ihr liebevoll über den Arm.

      „Wie geht es Ihnen?“, fragte sie vorsichtig.

      Katja schaute sie an. Ihr Blick war eindeutig, es bedurfte keiner Worte, um zu sagen, wie es ihr ging. Trauer, Entsetzen, Machtlosigkeit standen ihr ins Gesicht geschrieben. Die Tränen liefen unaufhörlich über ihre Wangen. Die Ärztin nickte Marie zu und verließ das Zimmer wieder.

      Katja war ins Kissen zurückgesunken. Marie hielt ihre Hand fest.

      „Wie konnte das passieren?“

      Marie erzählte: „Es war wohl ein technischer Defekt. Alles ging so schnell. Es gab für niemanden eine Chance. Karim war immer so vorsichtig. Oh mein Gott … es muss jetzt so viel überlegt und erledigt werden. Ich weiß nicht, wie ich das schaffen und wo ich anfangen soll.“

      Ihr ratloser Blick beruhigte Katja nun noch weniger, aber sie hatte gegen Morgen einen klaren Moment. Ihr war nur einer eingefallen, der ihr jetzt helfen würde.