beantragen. Das ist zuständig für Personen, die im Ausland gelebt haben. Ich brauche dann noch das Familienstammbuch und die Heiratsurkunde. Gibt es ein Testament von irgendjemandem?“
Marie weinte wieder. Nun würde sie Karim beerben, der für sie wie ihr eigenes Kind war. Sie wusste nur, dass Thea und Richard ein Testament zugunsten von Daniel gemacht hatten. Er war ein Einzelkind und so würde das Erbe wohl zum größten Teil an Katja gehen und ein Teil an sie als Schwester von Richard. Karim und Daniel hatten kein Testament. Sie hatten ja auch noch lange nicht ins Auge gefasst zu sterben.
Der Anwalt wartete, bis sich Marie wieder beruhigt hatte. Das Unglück war erst zwei Tage her. Es fiel ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Am liebsten hätte Carsten Froehdes mit ihr geweint, aber das war sicher gerade nicht hilfreich. Marie und Katja erwarteten von ihm, dass er einen kühlen Kopf bewahren würde und das wollte er tun.
Er versprach, sich mit dem Nachlassgericht in Berlin in Verbindung zu setzen. Es mussten ja auch die Belange der Firma geordnet werden. Marie hatte den Hauptanteil behalten und im Vertrag war geregelt worden, dass beim Tod eines Anteilseigners die Anteile an den anderen übergingen. Somit war das geregelt, aber Marie bezweifelte, dass sie jemals wieder da arbeiten wollte, auch Katja war sicher nicht in der Lage, dort mit den Erinnerungen an Daniel und Karim einfach so weiterzumachen.
„Bitte kümmere dich um den Verkauf der Firma. Ich kann das nicht mehr … und Katja … nein, sie würde es nicht wollen“, sagte sie leise. „Morgen früh fahre ich ins Krankenhaus und hole Katja ab. Ich hoffe, sie übersteht die kommende Zeit. Bitte leite alles in die Wege für die Trauerfeier und die Seebestattung.“
Sie bot ihm noch ein kleines Abendessen an, das beide schweigend in der Küche einnahmen. Dann ging jeder in sein Zimmer.
*
„Hast du alles eingepackt, meine Liebe?“, fragte Marie Katja, die wie verloren im Krankenzimmer stand, während Marie ihre Tasche griff.
Katja zuckte mit den Schultern und nickte. Man hatte ihr ein Beruhigungsmittel gespritzt und ein paar Tabletten mit nach Hause gegeben. Die Ärztin hatte Marie erklärt, wie und wann die einzunehmen waren. Wie im Nebel hörte Katja die netten Worte der Ärztin, die sie aber nicht verstand. Mechanisch ging sie mit zum Auto und stieg ein. Die Fahrt über schwieg sie.
Als sie in der Villa ankamen und Katja ihre Tasche in ihr Schlafzimmer brachte, lag dort Daniels Pullover auf dem Bett. Sie legte sich dazu und nahm den Pullover, der noch intensiv nach ihm duftete, in den Arm und weinte sich in einen unruhigen Schlaf. Ab und zu setzte sich Marie an ihr Bett und schaute nach ihr. Auch am kommenden Tag blieb sie im Bett liegen. So bemerkte sie auch nicht, dass Besuch kam.
Cora und Michel hatten sich von Toulon ein Taxi genommen und erreichten die Villa um die gleiche Zeit wie der Anwalt einige Tage vorher. Cora weinte, als sie Marie in die Arme schloss. Auch Michel liefen die Tränen herunter. Carsten Froehdes kam dazu und erklärte, was passiert war und was in den nächsten Tagen anstand.
„Ist Katja oben?“, fragte Cora.
Marie nickte: „Ja, geh ruhig hinauf. Aber erschrick nicht, sie ist in einem jammervollen Zustand. Sie isst nicht, sie trinkt nicht, sie spricht nicht. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Vielleicht kommst du zu ihr durch.“
Michel setzte sich auf die Terrasse und starrte auf das Meer. Cora stieg die Treppe hinauf. Leise öffnete sie die Tür zu Katjas Zimmer. Katja lag unbeweglich mit Daniels Pullover im Arm auf dem Bett. Ein winziges Leuchten trat für einen Moment in ihre Augen, als sie Cora erblickte. Cora zog sie vom Bett hoch und nahm sie wortlos in die Arme.
„Es tut mir so leid, meine Süße. Was für ein Unglück …“, flüsterte Cora und streichelte Katjas Rücken. „Michel und ich sind jetzt da und stehen dir bei. Wir bleiben eine Weile hier, ja?“
Katja nickte unmerklich.
„Du musst etwas trinken.“
Cora und reichte Katja ein Glas Wasser, das neben dem Bett gestanden hatte.
Katja trank einen kleinen Schluck. Dann glitt ihr das Glas aus den Fingern. Cora fing es auf und stellte es wieder hin. Katja war so ein Häufchen Unglück, dass Cora nun auch nur noch weinen konnte. Die Freundinnen hielten sich lange fest.
Als Katja eingeschlafen war, schlich Cora nach unten, wo Michel mit Marie und dem Anwalt saß. Er hatte ihnen gesagt, dass Bea und Hannes in Deutschland geblieben waren, um bei auftretenden Fragen sofort eingreifen zu können.
Er sah das Gesicht seiner Frau und ihm war klar, wie schlimm es um Katja stand.
„Ich muss dich nicht fragen, wie es ihr geht, oder?“, fragte er und nahm Cora in den Arm.
Cora schüttelte den Kopf.
„Ich habe echt Angst um Katja. Sie hat einen winzigen Schluck getrunken und dann ist ihr das Glas aus der Hand gerutscht. Wann soll die Trauerfeier sein? Denkt ihr, sie schafft das?“
Carsten Froehdes sagte: „Nächste Woche Freitag ist die Seebestattung. Wir fahren mit Joshuas Jacht hinaus und übergeben Asche von der Absturzstelle dem Meer. Ein Bestatter kommt mit. Um die Totenscheine habe ich mich schon gekümmert. Ich werde sie zusammen mit einer Vollmacht zu Frau Bernsing schicken, die kann dann schon einmal die Sterbeurkunden beantragen.“
„Wie ist das bei Karim?“, fragte Michel und schaute Marie an.
Sie antwortete: „Das muss ich hier erledigen.“
Michel bot ihr an, sie zu begleiten, was Marie dankbar annahm. Sie war froh, nicht mehr alleine zu sein. Dr. Froehdes war am Vormittag in der Firma gewesen, wo Giselle mit verweinten Augen die Stellung hielt. Er informierte sie über Maries Vorhaben, die Firma zu verkaufen.
Giselle hatte gesagt: „Das wird das Beste sein. Interessenten gibt es genug. Ich gehe sowieso im Sommer in den Ruhestand. Ich verliere nichts. Katja würden hier nur die Erinnerungen einholen. Ich werde die Zahlen für Sie zusammenstellen, dann können Sie sich einen Überblick verschaffen. Ach, das ist alles so schrecklich.“
Der Anwalt hatte sich bedankt und war zufrieden, dass die Menschen hier so viel taten, damit alles reibungslos erledigt werden konnte. Er würde nach der Trauerfeier nach Deutschland zurückfliegen und dort alles regeln. Allerdings musste Katja auch nach Deutschland, denn sie musste sich um die Angelegenheiten für die Erbschaft selbst kümmern. Cora und Michel hofften, dass sie dazu in der Lage war, sie zu begleiten, wenn sie heimflogen.
Sie saßen bis spät in der Nacht zusammen, ehe sie erschöpft ins Bett gingen.
Cora kuschelte sich an Michel und weinte sich in den Schlaf. Er hatte sie fest umschlungen.
*
Sie hatten sich an Katjas Bett abgewechselt. Cora saß im Sessel und war kurz eingenickt. Katja öffnete die Augen. Sie musste blinzeln, so hell war es. Die Sonne strahlte mit voller Kraft.
Als sie sich bewegte, wachte Cora auf.
„Süße, du bist wach, wie schön.“
„Wo ist Daniel?“, fragte Katja.
Cora war zusammengezuckt. Sie streichelte Katja über das Gesicht. Tränen standen in ihren Augen.
„Daniel … er … ist … “, stotterte sie.
Dann schien Katja wieder einzufallen, was passiert war. Sie setzte sich auf und begann zu würgen. Es kam aber nichts heraus, denn sie hatte seit längerer Zeit weder etwas gegessen noch getrunken. Ein heftiger Krampfanfall schüttelte sie. Als sie wieder atmen konnte, kamen ihr die Tränen.
„Nein … nein … nein … das kann nicht sein. Es war doch nur ein böser Traum. Sag, dass es ein Traum war, bitte“, flehte Katja leise.
Cora setzte sich auf das Bett und drückte ihre Freundin fest an sich.
„Es tut mir so leid. Wie