Ute Dombrowski

Tabu Liebe verlässt dich nie


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was ist los? Brauchst du irgendetwas?“, fragte sie voller Sorge.

      „Nein, Marie. Aber rufe doch bitte Dr. Froehdes an. Er soll sofort kommen und alles in die Wege leiten. Wir beide schaffen das auf keinen Fall alleine. Ich … kann … nicht … denken ohne Daniel.“

      Wieder brach sie in Tränen aus.

      Wie würde sie je wieder einen klaren Gedanken fassen können ohne Daniel? Eine eiskalte Klammer legte sich um ihr Herz. Mit den vier Menschen war auch etwas in ihr gestorben. Sie würde nie wieder glücklich sein. Nie wieder. Dann verlor sie das Bewusstsein und mit ihrer Wahrnehmung versank ihr Schmerz ins Nirgendwo.

      Die Ärztin war ins Zimmer geeilt, nachdem Marie geklingelt hatte.

      „Der Schock sitzt tief und reißt Frau Hardeg immer wieder aus dem Bewusstsein“, erklärte sie der aufgeregten Marie. „So versucht ihr Körper, die Seele vor dem Schmerz zu schützen. Wir müssen viel Geduld haben. Es ist wichtig, dass Sie sich jetzt um die an­stehenden Angelegenheiten kümmern. Frau Hardeg wird dazu nicht in der Lage sein. Haben Sie jemanden, der Ihnen dabei hilft?“

      „Ja, ich werde jetzt unseren Familienanwalt in Deutschland anrufen, der muss herkommen. Ich weiß nicht, was zu tun ist und wo mir der Kopf steht. Die Sorge um Katja macht es nicht einfacher. Wir haben jetzt nur noch uns.“

      Sie weinte wieder und die Ärztin sagte: „Wir tun hier unser Bestes für Frau Hardeg. Haben Sie Vertrauen. Das Organisieren wird Ihnen helfen, wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Wenn Sie Hilfe benötigen, treten Sie an mich heran. Kommen Sie mit, Sie können in meinem Büro telefonieren. Eine Schwester wird hierbleiben, falls Frau Hardeg zu sich kommt.“

      Sie rief Schwester Amelie und begleitete Marie zum Büro. Dort setzte sie sich in den Sessel am Schreibtisch und wählte die Nummer des Anwalts, die Katja seit dem Vorfall mit Eva immer bei sich trug. Unter Tränen schilderte sie alles noch einmal.

      Der Anwalt war geschockt, aber er versprach, mit dem ersten passenden Flug zu kommen. In der Zwischenzeit würde er auch Bea und Cora informieren.

      *

      Cora hatte sich am Abend auf die Couch fallen lassen und den Fernseher eingeschaltet. Michel war auf dem Weg nach Hause, denn er hatte heute seinen Auftrag in Barcelona erledigt.

      Cora hörte nur mit halbem Ohr, als der Nachrichtensprecher mit sachlicher Stimme berichtete: „… war gestern in der Nähe von Saint-Raphaël abgestürzt. Der Pilot des Helikopters und die drei Insassen, die aus Deutschland stammten und in Sanary-sur-Mer einen Weinhandel betrieben, waren sofort tot. Alles deutet auf einen technischen Defekt hin …“

      Entsetzt hatte Cora lauter gemacht und sah nun die Bilder von roten Felsen, die ihr bekannt vorkamen und Teile des völlig verbrannten Helikopters. Ihr war in dem Moment so schlecht, dass sie ins Bad lief, um sich zu übergeben. Während sie sich das Gesicht mit klarem Wasser abspülte, hörte sie das Telefon im Wohnzimmer läuten.

      Sie nahm eilig ab und fragte: „Ja, bitte?“

      „Guten Abend, Frau Grostel. Ich bin Dr. Froehdes, der Anwalt der Familie Hardeg. Ich muss Ihnen etwas ganz Furchtbares sagen. Karim ist mit Daniel und seinen Eltern mit dem Helikopter unterwegs gewesen. Sie sind gestern abgestürzt. Es tut mir sehr leid.“

      „Ich weiß … oh mein Gott. Es kam gerade in den Nachrichten. Was ist mit Katja? Und Marie?“

      Dr. Froehdes berichtete ausführlich, was er wusste und legte dann auf. Cora setzte sich völlig fertig auf die Couch und wartete ungeduldig auf Michel. Sie flog ihm weinend in die Arme, als er ins Wohnzimmer trat und erzählte alles. Michel setzte sich mit ihr auf die Couch und nahm sie fest in den Arm.

      Dann sagte er entschlossen: „Ich sage in der Firma Bescheid. Wir fliegen so schnell wie möglich hin. Wir müssen Katja und Marie jetzt unterstützen.“

      Cora war froh, dass er so besonnen reagiert hatte. Sie hätte sonst nicht gewusst, was sie hätte tun sollen. Nach einer Stunde klingelte das Telefon erneut. Eine weinende Bea war dran und die Frauen teilten ihren Kummer und ihre Ohnmacht. Cora berichtete von Michels Plan, sofort nach Südfrankreich zu fliegen. Bea wollte sich mit Hannes anschließen.

      Da nahm Michel, der mitgehört hatte, den Hörer aus Coras Hand.

      „Bea, das ist lieb von euch. Aber ich glaube, einer sollte in Deutschland bleiben. Schließlich kommen viele amtliche Dinge auf Katja und Marie zu. Da wäre es gut, wenn jemand hier die Kontaktperson sein könnte.“

      Bea atmete tief durch. Auch ihr tat Michels Umsicht gut und sie erklärte sich bereit, hier zu sein und alles zu erledigen, was anfallen würde. So verblieben sie und drei Tage später hatten Cora und Michel einen Flug nach Toulon gebucht, um Katja in dieser schlimmen Zeit beizustehen.

      *

      Dr. Carsten Froehdes erreichte Maries Villa am späten Montagnachmittag. Er bezog ein Zimmer mit Blick auf das Meer, aber er hatte keine Freude daran. Daniel war ihm wie ein Sohn gewesen und Thea und Richard waren seine Freunde. Dass sie und Karim nun tot waren und er sie nie wiedersehen würde, machte dem sonst so kühlen, gefassten Anwalt schwer zu schaffen. Vier Menschen aus seinem nahen Umfeld waren durch dieses Unglück ausgelöscht worden.

      Marie hatte ihn nicht abholen können, sie war ihm vollkommen kraftlos entgegengekommen und hatte ihn willkommen geheißen. Er hatte das Taxi bezahlt und war ihr ins Haus gefolgt.

      Der Anwalt wollte so schnell wie möglich die Arbeit beginnen, nur so würde er den Schmerz in den Hintergrund drängen können, der sich überall breit machte. Also hatte er schon direkt nach Maries Anruf eine Liste erstellt, was zu tun war. Er hatte sich erkundigt, wie es in Frankreich mit der Beerdigung lief. Aber was wollte man beerdigen? Es war nichts da zum Beerdigen. Man konnte die Asche, die in den Bergen verstreut war, nicht mal jemandem zuordnen. Seine Überlegungen waren drastisch, aber sie halfen gegen den Kummer.

      Nun saß er bei Marie im Wohnzimmer und erklärte ihr alles Wichtige: Es gab die Möglichkeit einer Trauerfeier. Diese konnte am Ort des Absturzes stattfinden, aber das würde, wie Marie sagte, Katja nicht überstehen.

      Marie fragte: „Können wir mit dem Schiff hinaus aufs Meer fahren und die Trauerfeier dort machen? Das hätte allen gefallen. Können wir das überhaupt für alle gemeinsam machen? Gott sei Dank ist … war Karim französischer Staatsbürger. Nicht aus­zudenken, wenn ich mich um das alles auch noch in Ägypten bemühen müsste.“

      „Ihr könnt die Trauerfeier für alle vier machen. Gerne auf einem Schiff, wenn ihr jemanden kennt, aber man kann in einem Bestattungsinstitut eins für diesen Zweck mieten. Wir können auch symbolisch die Asche dem Meer übergeben. Man kann dabei sein, man nennt es eine Bestattung mit Begleitung, aber wenn Katja es nicht schafft, geht das auch als stille Bestattung, ohne dass jemand dabei ist. Dann bekommt man nur eine Urkunde.“

      Marie sagte entsetzt: „Sie muss mit dabei sein. Wenn ich mir vorstelle, sie würde nicht Abschied nehmen … nein, wir werden dabei sein.“

      Marie weinte bittere Tränen. Katja war allein. Ganz allein. Sie hatte keine Eltern mehr. Ihr Mann war tot und seine Eltern, die auch für sie wie Eltern waren, lebten nun auch nicht mehr und Karim war ein Freund und Bruder für sie gewesen. Wenn sie und Daniel doch wenigstens ein Kind zusammen gehabt hätten! Marie fürchtete sich vor dem Tag, an dem die Betäubung nachlassen und Katja die volle Tragweite des Geschehens begreifen würde, und sie hoffte, dass dann jemand da war, der sie auffing.

      Daniel, Thea und Richard waren zwar in Frankreich gemeldet, aber sie waren deutsche Staatsbürger geblieben, so wie Marie. Sie hatte nie die Absicht gehabt, nach Deutschland zurückzukehren. Dafür lebte sie zu gerne hier, auch wenn dieses Leben sich nun grundlegend ändern würde.

      Carsten Froehdes sprach weiter: „Ich werde mich mit den Behörden wegen des Totenscheins in Verbindung setzen. Dann müssen wir die Sterbeurkunden beantragen. Für Karim hier, für