verabschieden und du willst das doch auch, oder?“
„Ich erinnere mich noch so gut an den Abschied vor einer Woche. Er hat mich in den Armen gehalten und …“
Wieder kamen ihr die Tränen. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und ihre Schultern zuckten.
Dann blickte sie auf.
„Ich liebe dich sehr. Und ich hoffe, wir sind mehr als dreißig Jahre glücklich. Das waren seine letzten Worte. Wir sind voller Liebe auseinandergegangen. Aber wir werden keine dreißig Jahre schaffen. Nie mehr.“
Cora waren auch die Tränen gekommen und Michel legte einen Arm um sie.
Er sagte zu Katja: „Er wird immer in deinem Herzen sein. Mehr als dreißig Jahre. Dein ganzes Leben. Das weißt du.“
Katja schaute ihn an und nickte. Michel sah, dass sie sich an diesem kleinen Schnipsel Hoffnung aufrecht hielt und das war gut so. Er dachte an Karim, der niemanden hatte, der ihn so sehr liebte wie Katja Daniel. Und er dachte an Thea und Richard, die so lange verheiratet und nun auch gemeinsam aus dem Leben gegangen waren. Der Gedanke, dass die beiden an ihrem Ehrentag Arm in Arm zusammen waren, als das Schicksal sie von Himmel holte, beruhigte ihn. Nur Katja und Marie mussten nun mit dem schmerzlichen Verlust leben.
„Ja, ich will und ich muss Abschied nehmen. Ich muss Daniel noch soviel sagen und Karim wird mir so sehr fehlen. Er war mein bester Freund. Mit Thea und Richard sind meine zweiten Eltern gegangen. Ich schaffe das am Freitag, aber wie es weitergehen soll …“
Katja konnte nicht weitersprechen, denn sie konnte nicht weiterdenken.
Die Tage bis zur Bestattung vergingen langsam. Marie hatte mit der Hilfe von Michel alle Angelegenheiten von Karim geregelt. Dafür waren sie noch auf verschiedenen Ämtern gewesen. Bei der Polizei hatten sie erfahren, dass das Gutachten zum Absturz noch in Arbeit war, aber so, wie es aussah, hatte sich tatsächlich durch eine Materialschwäche einer der Rotorflügel gelöst und dadurch war der Helikopter nicht mehr steuerbar gewesen. Selbst durch noch so umsichtige Manöver hätte Karim die Maschine nicht halten oder landen können.
Sie hatten keine Chance gehabt.
Marie war froh, dass ihr Karim keine Fehler gemacht hatte. Das wäre für sie noch viel schlimmer gewesen. Es gab ja oft Unglücke, wo menschliches Versagen die Ursache war. Manchmal konnte keine Ursache gefunden werden und man gab im Nachhinein dem Piloten die Schuld.
Am Donnerstag kam Dr. Froehdes aus dem Büro, wo er telefoniert hatte. Bea hatte ihn davon unterrichtet, dass sie am kommenden Donnerstag einen Termin beim Nachlassgericht in Berlin hatten und dass Katja dort erscheinen musste. Er berichtete beim Mittagessen davon.
Michel schlug vor: „Dann buche ich für uns drei einen Rückflug am Mittwoch. Ist das für dich in Ordnung?“
Katja schluckte und legte die Gabel aus der Hand.
„Am liebsten würde ich hier bleiben, aber das geht wohl nicht. Also, dann mach das mit dem Flug. Kann ich die Tage bei euch bleiben?“
„Aber ja!“, rief Cora. „Du kannst bleiben, solange du magst. Das weißt du doch und es können ja auch Bea und Hannes kommen. Wir sind für dich da. Für immer.“
Mit Tränen in den Augen erhob sich Katja vom Tisch und setzte sich auf die Terrasse. Dort saß sie nun jeden Tag und hing ihren Erinnerungen nach. Oft weinte sie dabei. Cora und Michel kümmerten sich rührend. Auch um Marie, aber die lenkte sich mit den banalen Alltagsdingen ab. Mit Einkaufen, Besuchen in der Firma und Putzen fand sie ihren eigenen Weg zurück ins normale Leben, auch wenn es nie wieder so normal sein würde, wie es einmal gewesen war.
*
Wie zur Entschuldigung schien am Freitagmorgen die Sonne. Katja stand vor dem Kleiderschrank und wollte sich für den letzten Weg mit Daniel schön machen. Sie hatte eine Tasse Kaffee getrunken und einen Toast gegessen. Eigentlich hatte sie keinen Hunger gehabt und auch keinen Appetit, aber sie wollte bei Kräften sein für ihre Lieben.
„Liebster, ich bin bei dir. Ich werde deine Hand halten und deinen Kuss spüren“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild.
Es klopfte und Cora trat ein.
„Bereit?“
Katja nickte und folgte ihr. Die beiden trugen ein schwarzes Kleid, Cora hatte die roten Locken in einem strengen Knoten gebändigt. Katja ließ die Haare offen.
Michel nahm sie in den Arm und sagte: „Du bist wunderschön, Daniel wäre glücklich, dich jetzt zu sehen.“
Marie hatte ein schwarzes Kostüm angezogen, die beiden Männer einen schwarzen Anzug.
Mit Maries Autos fuhren sie nach Toulon, wo am Hafen die Jacht von Joshua lag. Er umarmte alle, dann trat der Bestatter auf sie zu und erklärte sachlich den Ablauf, nachdem er ihnen sein Beileid ausgesprochen hatte.
Katja weinte unaufhörlich.
Auf dem Schiff lagen die Blumen bereit, in der Kabine stand eine kleine Urne, die Asche von der Absturzstelle enthielt. Weit draußen auf dem Meer sollten Katja und Marie sie an einem goldenen Band im Wasser versenken.
Sie setzten sich und die Jacht legte ab.
Katja sagte zu Marie, die neben ihr saß und ihre Hand hielt: „Daniel hat das Meer geliebt, Karim auch und Thea und Richard hätten so gerne mal eine große Schiffsreise gemacht. Nun tun sie das heute. Wenn auch nicht um die Welt.“
Sie legte ihren Kopf an Maries Schulter. Beide weinten. Auch Cora und Michel weinten, sie saßen den beiden gegenüber. Carsten Froehdes behielt nur mühsam die Fassung.
Nach einer halben Stunde Fahrt machten sie halt und Joshua ließ den Anker herunter. Dann versammelten sie sich am Heck des Schiffes.
Der Bestatter sprach einige freundliche Worte in französischer Sprache, dann schloss sich Joshua als Kapitän an. Er erinnerte an schöne Touren mit Thea und Richard. Früher hatten sie das öfter gemacht, wenn die beiden bei Marie zu Besuch gewesen waren.
Der Bestatter hatte die kleine Urne in der Hand. Katja trat an den Rand der Jacht und kniete sich nieder. Ihr Haar wehte im leichten Wind. Sie weinte und dankte Daniel für die schöne Zeit. Marie kam dazu und wünschte Karim alles Gute, wo immer er auch jetzt sein mochte. Sie verabschiedeten sich gemeinsam von Thea und Richard. Der Bestatter gab ihnen die Urne. Sie schauten sich an und hoben sie gemeinsam über den Rand. Sanft ließen sie sie ins Wasser gleiten. Als die Urne in der Tiefe versank, brach Katja zusammen.
Michel war da und fing sie auf. Er hob sie auf seine Arme und setzte sie auf die Couch auf Deck. Sie kam nach zwei Minuten wieder zu sich und weinte hemmungslos an seiner Schulter. Cora versuchte Marie zu trösten.
Katja stand auf und nahm die roten Rosen, die man für sie bestellt hatte. Sie setzte sich wieder an den Rand und ließ langsam Rose für Rose über Bord gleiten.
„Was soll ich nur ohne dich tun?“, flüsterte sie leise vor sich hin. „Mein Leben ist zu Ende. Ich werde nie wieder glücklich sein. Ich war mit dir auf der Überholspur und nun wurdest du so ungerecht aus dem Leben gerissen. Warum tust du mir das an? Wie soll ich alleine klarkommen? Ich liebe dich so sehr. Gerne würde ich dir jetzt folgen, aber ich weiß ja, du wartest auf mich. Ich will bald wieder bei dir sein, mein Geliebter. Das Leben ist ohne dich nichts mehr wert. Ich weiß nicht, was ich tun soll … ich habe so eine Angst allein.“
Cora half ihr auf. Sie hatte entsetzt und traurig die Worte gehört. Wie konnte sie ihrer Freundin helfen? Sie befürchtete, dass Katja sich von diesem Schicksalsschlag nicht wieder erholen würde.
Alle ließen die restlichen Blumen auf der Wasseroberfläche schwimmen. Die Strömung trieb sie aufs Meer hinaus. Es war, als würden mit den Blumen die geliebten Menschen in die Welt hinausschwimmen.
Katja schaute ihnen hinter einem Tränenschleier sehnsüchtig nach. Dann sank sie kraftlos in Michels Arme. Joshua holte den Anker ein und die Jacht wendete. Sie erreichten den Hafen von Toulon,