Sonja Margolina

KALTZEIT


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      Sie hatte gerade eine schreckliche Nachricht erhalten: Das erst vor kurzem in Betrieb genommene Sonnenkraftwerk, das Tausende Bewohner des Deltas mit Strom versorgen sollte, sei zerstört worden. Eine Regierungsbeauftragte sei bereits angereist. Sie mussten los. Robert rappelte sich auf.

      „Haben wir denn Personenschutz?“

      „Sie hat jemanden mit einer Kalaschnikow mitgebracht.“

      Es war ein Pilotprojekt. Photovoltaik, der keine Strommasten und Übertragungsleitungen brauchte, war die einzige Chance, die ländlichen Gebiete mit Strom zu versorgen. Die Bauern weinten vor Glück, als sie zum ersten Mal in ihrem Leben bei sich zu Hause eine Glühbirne leuchten sahen.

      Das Bild, das sich ihnen vor Ort anbot, spottete jeder Beschreibung. Ein Großteil der Solarmodule war zertrümmert. Eine Befragung ergab, dass sich der Stammeshäuptling die Solaranlage unter den Nagel gerissen hatte. Er hatte zuvor verlangt, die Stromgebühren nicht an den Betreiber, sondern an ihn zu entrichten. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Offensichtlich konnte sich ein anderer Stamm, der nicht in den Genuss eines solchen Vorzeigeprojekts gekommen war, mit dem Glück seines Nachbarn nicht abfinden. Dessen Hintermänner hatten versucht, dem Häuptling einen Anteil abzupressen. Nachdem dieser sich geweigert hatte, seine Einnahmen mit den Rivalen zu teilen, schickten jene ein Rollkommando.

      Der Stammesführer, der erst seine eigenen Leute ausgenommen, nun aber seine Einkünfte verloren hatte, hetzte jetzt das Dorf gegen die Entwicklungshelfer auf. Die Regierungsbeamtin Omoya wurde als Hure der Weißen beschimpft und körperlich attackiert. Der Leibwächter musste zur Waffe greifen, um den aufgebrachten Mob in Schach zu halten. Als sie zurück fuhren, genauer gesagt, flohen, bekam sie einen Weinkrampf. Sie schrie:

      “Ich hasse euch Europäer. Ich hasse eure Entwicklungshilfe, eure verlogene Humanität, ihr macht uns ein zweites Mal kaputt mit euren blöden Almosen. Und ich hasse mich, weil ich an diesem verlogenen Zirkus auch noch teilnehme.“

      „Wenn du das für unvereinbar mit deinem Gewissen hältst“, erwiderte Robert, „hör damit auf. Mach etwas anderes.“

      „Etwas anderes?“ schluchzte die Frau. „Weißt du, was für eine Arbeitslosigkeit hier unter Akademikern herrscht? Schon Absolventen haben nicht die geringste Chance. Sie sehen nur, wie sie sich auf und davon machen können. Ich gehe hier auch weg, egal wie. Ich heirate einen alten dicken Blödmann mit britischem Pass“, lachte sie unter Tränen.

      „Entschuldige, das war ein Unsinn, was ich gerade gesagt habe. Anfangs habe ich mir vieles auch anders vorgestellt.“

      Sie erklärte den beiden, warum die Photovoltaik eine derart verheerende Wirkung entfalten konnte. Vor allem seien die Folgen leicht vorauszusehen.

      „Wir haben hier im Delta Hunderte von Projekten. Holländer bauen Polder, Amerikaner bauen Straßen auf den Poldern, Japaner schenken uns Solaranlagen – all das aber geschieht unkoordiniert und verschlingt auf diese Weise Unsummen. Das Schlimmste ist aber, dass dies alles nur ein Spiel ist, das ihr spielt und mit den Menschen hier nicht das Geringste zu tun hat. Ihr Europäer wollt die Realität nicht akzeptieren. Die Realität nennt ihr Rassismus.“

      Sie konnte sich lange nicht beruhigen.

      Roberts Freundin saß mit zusammengepressten Lippen im Jeep, ohne ein Wort zu verlieren. Omoyas Art, diese Dinge zu bedenken behagte ihr überhaupt nicht. Eine halbe Milliarde Menschen südlich der Sahara hatte keinen Strom. Das Scheitern eines solchen Vorzeigeprojekts konnte die Bereitschaft der Industriestaaten, Projekte mit erneuerbaren Energien in Afrika zu fördern, sinken lassen. „Du bist doch eine Regierungsexpertin“, wandte sich Robert an Omoya. „Wie kann man der Bevölkerung wirklich helfen, sich auf eigene Füße zu stellen?“

      „Jedenfalls nicht, indem man an ihrer Stelle geht.“

      Der Jeep wirbelte roten Staub auf. Ein Aasgeier, der über einem Zebrakadaver thronte, beobachtete die Eindringlinge mit seinem blutroten Auge.

      „Die ganze Hilfe lässt vor allem eure Bürokratie gedeihen und korrumpiert unsere Regierungen, sonst nichts. Die Entwicklungsagenturen geben 3500$ aus, damit das Einkommen eines armen Afrikaners um ganze $3.65 steigt.

      „Das gibt es doch nicht.“

      Omoya lächelte bitter. „Jahr für Jahr werden Tausende von Missionen zu uns geschickt. Als Regierungsbeamte beschäftigt man sich mit nichts anderem, als Anträge zu schreiben und Projektgelder zu beantragen. Dabei verrosten Fahrzeuge und Ausrüstung ungenutzt, weil Ersatzteile, Sprit und Reparaturmöglichkeiten fehlen. Man hat Schulgebäude für uns gebaut, vielen dank, aber es fehlen Mittel für Schulbücher und Lehrergehälter. Krankenhäuser gibt es, aber keine Medikamente. Während ihr von Menschenrechten schwafelt und mit Diktatoren schmust, eine Armee von Entwicklungshelfern – eure überflüssigen Arbeitskräfte – zu uns schickt, werden mit eurem Geld Kriege geführt und Paläste gebaut. Ihr wollt nur davon nichts wissen. Diese Heuchelei ist eine Beleidigung für den gesunden Menschenverstand. Wie viele Anträge hast du schon gestellt, wie viele Instanzen bist du durchlaufen, damit du weiter helfen durftest und deine Hilfe in den Taschen der Beamten versickert?“

      Robert grunzte zustimmend. Er hasste Anträge.

      „Wie könnte man dann die Lage in Afrika ändern?“

      „Gebt uns kein Geld. Eure Hilfe erstickt die Entwicklung, anstatt sie zu fördern. Schafft die Zölle endlich ab, investiert in die Industrie.“

      „Und dann kommen Hintermänner“, entgegnete Robert sarkastisch, „und wollen beteiligt werden.“

      „Wir brauchen billigen Strom, wir brauchen Absatzmärkte. Aber nicht soooo!“ Sie zeigte zurück, in Richtung des Dorfes mit der ruinierten Solartechnik. Robert spürte, dass Omoya im Grunde Recht hatte und hier seit Jahrzehnten vieles schief gelaufen war.

      Am nächsten Tag gab es ein Einweihungsfest in einem Millenniumsdorf. Jeffrey Sachs, der Vater des chilenischen Wirtschaftswunders, machte seine Dollarmillionen locker, um mit einer neuen Methode, der so genannten integrierten Entwicklung, Afrika aus der Armut zu führen. Hilfe sollte nicht für einzelne Projekte, sondern in allen Bereichen gleichzeitig – von Bildung, Geburtshilfe bis zur Landwirtschaft – geboten werden.

      Robert war schwindelig, sein Hemd klebte am Rücken. Er musste sich auf den Stehtisch stützen, um sich auf den Beinen zu halten. Ein heruntergekommener Brite gesellte sich zu ihm mit einer Whiskyflasche:

      „Schön hier?“

      Robert nickte. Der Brite beobachtete, wie eine Fliege in seinem Glas zappelte.

      „Du, Entwicklungshunne, weißt du überhaupt, warum Entwicklungsland Ent-wicklungs-land heißt?“

      „Wie meinst du das?“

      „Ein Entwicklungsland“, räusperte er sich, „ist ein Land, das sich nicht entwickelt. Und wir sind da, um es sich nicht entwickeln zu lassen, prosit.“ Er goss Roberts Weinglas mit Whisky voll.

      „Ist dein Projekt gerade ins Stocken geraten?“

      „Straßenbau läuft immer gut. Die Frage ist, ob die Verbindungen dadurch besser werden. Die Straßen verfallen schneller als neue gebaut werden.“

      „Warum, zum Teufel, bist du dann hier?“

      „Das ist eine andere Geschichte.“ Er rettete die Fliege aus dem Glas und nahm einen Schluck. „Ich muss hier von der Umverteilung des Weltvermögens leben. Weil meine Ex mein Vermögen perfekt zu ihren Gunsten umverteilt hat. Entwicklungshilfe ist die Umverteilung des Vermögens der armen Menschen aus reichen Ländern“ – er zeigte mit der Flasche auf Robert und dann auf sich selbst – „an die reichen Menschen in den armen Ländern“ – er drehte sich um und nickte einem gepflegten Afrikaner in einem Armani-Anzug zu. Der Afrikaner winkte freundlich. Der Brite schien richtig glücklich zu sein, einen so komplizierten Gedanken auf die Reihe gebracht zu haben. Er stürzte den Rest des Whiskys herunter. Robert verspürte plötzlich einen Brechreiz. „Entschuldige, ich muss mal raus.“

      Am Abend hatten sie sich gestritten.