Evadeen Brickwood

Abenteuer Halbmond


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Bertrand. Kein ideales Ehepaar.

      Papa arbeitete an der Technischen Universität und kam jeden Tag zum Mittagessen nach Hause. Abends reparierte er oft noch Fernseher, um mehr Geld zu verdienen. Drei Kinder waren ein teurer Spaß. Er gab seinem ‘Vatersein’ die Schuld an denen sich lichtenden Haupthaaren und die Kochkunst meiner Mutter war für seine füllige Mitte verantwortlich. Königsberger Klopse vor allem, seine Lieblingsspeise. Am Anfang hatte ich sie auch mal gemocht, aber so oft wie die’s bei uns gab, hatte ich meine Meinung jetzt geändert. Ich wollte Müsli.

      Hinter der Bezeichnung ‘technischer Angestellter’ verbarg sich der wichtigste Mann an der Uni. Als wir noch jünger waren, sieben oder acht, hatte er Evelyn und mich manchmal mit zur Arbeit genommen. Sein Auto hatte einen angestammten Platz in der Tiefgarage und Papa hatte sein eigenes Büro mit Werkstatt. Bunte Kabel mit Klemmen hingen von Regalen voller Werkzeuge und Schrauben herab.

      Er erklärte uns geduldig, was er so machte. Papa konnte einfach alles und wurde oft angerufen. Dann musste er gehen.

      Wir drehten uns auf dem Schreibtischstuhl links und rechts und tranken Cola für 50 Pfennige aus dem Flaschenautomaten im gebohnerten Gang. Die große schwenkbare Lupe über dem Schreibtisch war unser Lieblingsspielzeug. Wenn man die kleine Lampe daran anknipste, war darunter alles riesig zu sehen. Zigarrenstummel im Aschenbecher, Schrauben und Briefmarken. Papa hatte uns früher gern um sich gehabt. Etwas davon war manchmal noch zu spüren.

      Er liebte seinen Schrebergarten, wo er in einem großen Beet die Atmosphäre von Masuren nachempfand. Mit Pflanzen aus dem nahen Schwarzwald. Papa war in Masuren aufgewachsen und sehnte sich oft nach seiner Heimat zurück. Der Schwarzwald erinnerte ihn an Masuren, sagte er.

      Meine Mutter war Hausfrau. Eine, die immer adrette Schürzen trug, immer kochte und ständig unsere Vierzimmer-Wohnung putzte. Ihre blonden Haare hatten wohl mal füllig geglänzt, aber zu viele Dauerwellen, die jede anständige Hausfrau unbedingt benötigte, hatten ihnen den Garaus gemacht. Das Ergebnis erinnerte mich eher an Schafwolle. Manchmal kam ich aus der Schule nach Hause und fand das Wohnzimmer abgeschlossen vor.

      ‘Ihr macht mir nur alles wieder schmutzig und ich habe mich den ganzen Morgen mit den Sofas abgeplagt,’ sagte sie dann mit wenigen Variationen, und sowas wie ‘Isabell, du kannst gleich den Mülleimer runtertragen und dann das Geschirr spülen. Komm, komm, keine Müdigkeit vorschützen!” sagte sie mit so vielen Variationen, dass ich schon gar nicht mehr zuhörte. Sie putzte auch eifrig die Fassade der Familie, denn ‘was sollen denn die Leute denken...‘. Als ob das irgendwen interessierte.

      Dabei war meine Mutter nicht immer Hausfrau gewesen. Sie trauerte ihren glorreichen Tagen als Oberschwester im Kurkrankenhaus Baden-Baden nach, von denen wir natürlich jede Einzelheit kannten.

      ‘Ja, Emmerich Kalman war einer meiner Patienten. Da, die Vase hat er mir zum Abschied geschenkt. Nein die mit den Fischen drauf. Nur die reichsten und wichtigsten Leute kamen zum Kuraufenthalt nach Baden-Baden.’ Wir hatten keine Ahnung wer Emmerich Kalman war. Oder die meisten anderen Namen, die sie immer einfließen ließ .

      Unsere Mutter liebte so langweilige Radiomusik von Tschaikowsky und dem Holzschuhtanz, und sie liebte es, uns im Befehlston bei unseren häuslichen Pflichten anzutreiben. Am meisten hasste ich Fensterputzen. Sie duldete keine Widerrede.

      Wenn wir es wagten krank zu werden, wurden wir tagelang ins Bett gesteckt und fachgerecht gepflegt. Wir bekamen Haferschleim und Kamillentee und Besuchszeiten waren begrenzt. Da war es besser gesund zu bleiben.

      Mittlerweile wusste ich, dass meine Mutter wegen ihrer schwierigen Kindheit so war wie sie war. Anscheinend hatte sie so eine Art Vertrag mit Papa geschlossen, dass er sie immer gegen die Kinder unterstützen musste, egal was.

      Wenn sie einen ihrer Wutanfälle bekam, hatte sich Klein-Isabell in Schränke verkrochen. Bestimmt hatten meine Magenkrämpfe und Kopfschmerzen etwas damit zu tun. Dann versteckte ich mich einfach so, auch wenn sie mal wieder gute Laune hatte. Ich traute ihr einfach nicht.

      Als ich älter wurde, begann ich mich aufzulehnen.

      ‘Du hast jedes Recht dich zu wehren,’ hatte Renate gesagt, als ich ihr mal einen besonders blauen Fleck zeigte. “Warum sollst du ausgerechnet Fensterputzen, wenn du zu müde dazu bist und auf die Klausur lernen musst?”

      Und das tat ich dann auch. Ich wehrte mich. Das heißt, ich flüchtete.

      Bei jeder Gelegenheit fuhr ich mit meinem Klappfahrrad in den Schlosspark, der sich in meilenweiter Freiheit ausbreitete. Endlich Ruhe! Der Park nahm mich in seine grünen Arme, wenn ich Sorgen hatte, und tröstete mich. Ich liebte die Ruhe, ich liebte die Anlagen, den See und die bunten Azaleenbüsche. Hier spielte ein paar geduldigen Zuhörern auf meiner Gitarre vor. ‘If I had a Hammer’ und ‘Blowing in the Wind‘ und all so was.

      Danach schwang ich mich wieder auf den Sattel und fuhr mit der baumelnden Gitarre am Lenkrad wieder nach Hause. Am liebsten hätte ich ja im Park gewohnt. In einem schönen Haus, viel kleiner als das Schloss. In einem der Teehäuser, vielleicht. Das wäre dann mein richtiges Zuhause gewesen.

      Meine Schwester Evelyn war ein Jahr älter als ich und schon fast genauso launisch wie meine Mutter. Paula war drei Jahre jünger und das verzogene Nesthäkchen. Beide hatten im Gegensatz zu mir eine helle, sommersprossige Haut und hellblonde Haare. Genau wie unsere Mutter.

      Kein Wunder also, dass ich ‘anders’ war. Ich sah anders aus, war unfügsam und aufmüpfig und hatte mich zum schwarzen Schaf der Familie entpuppt. Ein Teenager, der sich einfach nicht anpassen wollte. Ein Rebell.

      Wir Kinder stritten uns meist genau wie unsere Eltern, aber oft handfest und unfair, mit Kinnhaken und Haareziehen. Irgendwann würde ich mein eigenes Haus haben, träumte ich, wenn ich im Schlosspark war. Dort würde es ruhig sein. Friedlich. Streiten verboten. Ich hatte die brillante Idee gehabt aus dieser Kriegszone wegzuziehen. Zu meiner Großmutter, die in einer kleinen Einzimmer-Wohnung zwei Häuser weiter wohnte.

      Oma Bertrand war Papas 82-jährige Mutter. Eine ehrwürdige, calvinistische Witwe, die immer in lange schwarze Kleider und graue Schürzen gekleidet war. Oma Bertrand kam uns Kindern fast wie ein Dinosaurier vor, so alt war sie. Ihr dünnes weißes Haar war zu einem streng geflochtenen Knoten hochgenadelt, ihre Haut war verrunzelt und voller Altersflecken, aber ich liebte sie.

      Mir machte es nichts aus. Sie mochte mich und meinte oft, wie sehr ich der Familie ihres gefallenen Mannes glich. Wie konnte ich sie da nicht lieben? “Es waren französische Hugenotten, mein Kind. Adelige, denen der Preußenkönig Friedrich Wilhelm II vor Generationen Land in Ostpreußen gegeben hatte. Dann mussten wir alles zurücklassen und vor den Russen flüchten.”

      Die Geschichte mit der Flucht über die Danziger Bucht kannte ich schon auswendig. Angeblich waren die Bertrands ziemlich gutaussehende Adelige gewesen. Papa glich ein wenig einem jungen Marlon Brando. Das sagten zumindest alle. Nicht schlecht für mich.

      Oma Bertrand lächelte zahnlos und seufzte, wenn sie sich an ihren Mann erinnerte, dem sie zehn Kinder geschenkt hatte. Sie sah dann fast wieder schön aus. In der Wohnung meiner Eltern ging derweil der Krieg für die Bertrands weiter.

      “Sie zieht mir auf keinen Fall zu deiner Mutter. Du hast versprochen, sie in meinem Glauben zu erziehen. Außerdem ist Isabell viel zu jung, um auszuziehen,” hörte ich meine Mutter eines Abends aufbrausen, als ich mal wieder im Flur lauschte. Mein Herz sank. Ich durfte nicht zu Oma Bertrand ziehen.

      “Na gut, Hannelore, wie du meinst.” Papa hatte offensichtlich keine Lust sich auf ein Streitgespräch einzulassen. “Dann zieht sie eben nicht zu meiner Mutter.”

      “Vielleicht hat sie ja einen Gehirntumor.” Ich schnappte nach Luft.

      “Hannelore, sie ist in der Pubertät. Da ist es doch normal rebellisch zu sein. Die Schule ist wohl auch anstrengend. Der Stoff wird ja immer schwieriger.” Papa faltete seine Tageszeitung zusammen und legte sie neben den Aschenbecher. Oje, ging jetzt wieder ein Streit los?

      “Aber Evelyn und Paula schaffen ihre Schularbeit doch auch, und Magdas Tochter hat