Evadeen Brickwood

Abenteuer Halbmond


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Wege finden, dem wachsenden Problem etwas entgegenzusetzen.”

      Pah, wachsendes Problem, blah, blah! Brauchte man deswegen gleich einen Seelenklempner? Ich rollte mit den Augen und verkreuzte abwehrend die Arme.

      “Oh, ich bin mir nicht so sicher, dass eine dieser neuen und teuren Hippie-Methoden es das richtige ist,” sagte meine Mutter mit einem tiefen Seufzer. “Wir wollen doch nur das beste für unsere Tochter, wissen Sie. Isabell soll doch nur lernen sich richtig anzupassen.”

      Heuchlerin! Es war immer so einfach, Außenseitern was vorzuspielen. Mein Vater studierte den bunten Druck von Miló hinter der Frau und sagte nichts.

      “Aber sicher, Frau Bertrand, wir verstehen Ihr Problem. Ich versichere Ihnen, Dr. Albrecht hat Erfahrung mit Jugendlichen.” Die Messingreifen klingelten Beifall. “Diese neue Methode ist seriös und hat nichts mit Hippies zu tun. Sie steckt zwar noch im Anfangsstadium, aber die bisherigen Erfolge sind vielversprechend.” Die Sozialarbeiterin schielte ernsthaft. “Zwölf Jugendlichen konnte bisher geholfen werden. Mit ein wenig Glück wird es langfristig in unser Programm aufgenommen.”

      Dann war ich ja Nummer 13. Eine Glückszahl, dachte ich aufbegehrend. ‘Hypnose’ hörte sich ausreichend kontrovers an. “Ich würde sehr gern in eine Hypnose-Behandlung gehen,” meldete ich mich zu Wort, um meine Mutter zu reizen. Die Erwachsenen drehten sich erstaunt zu mir um.

      “Wirklich? Die Krankenkasse trägt natürlich sämtliche Kosten,” stammelte Joan Baez. Das brachte die Sache unter Dach und Fach. Meine Eltern nickten ihre Zustimmung und die Dinge nahmen ihren Lauf.

      “Ja wenn Sie meinen, dass es eine gute Behandlungsmethode ist… Sie kennen sich da ja sicher aus. Wir wollen doch nur das Beste für unsere Isabell.” Oh, wie wütend mich das machte! So ernst hatte es nun auch wieder nicht gemeint.

      “Frau Bertrand, ich verspreche Ihnen, Dr. Albrecht wird sich gut um ihre Tochter kümmern.”

      Ich begann die Behandlung am Montag nach der Schule. Zunächst sah ich den Psychologen nur feindselig an. Der stand ja auf der Seite meiner Eltern. ‘Wir verstehen Ihr Problem’ hatte die Sozialarbeiterin gesagt. Pah!

      Dann überzeugte er mich langsam. Seine Methode war nicht von schlechten Eltern. Ein Erwachsener wollte wissen wie ich mich fühlte! Wir redeten und Dr. Albrecht machte Notizen.

      Dann kam die Hypnotherapie. Beim ersten Mal hatte es geradezu ein Erinnerungsfeuerwerk gegeben, was uns beide überraschte. Es dauerte nicht lange bis Dr. Albrecht mich sozusagen eingeschläfert hatte. Ich fand mich sofort als Keinkind wieder.

      ‘Ich bin drei,’ sagte ich in einem hohen Stimmchen. ‘Mami hat mich in dem kleinen Zimmer bei der Küche eingeschlossen. Ich höre die Haustür zuschlagen.’ Es war mir peinlich, als ich mich später in der Aufnahme selbst hörte.

      ‘Was sehen Sie? Sie können sich an alles erinnern.’ Dr. Albrechts Stimme war eintönig und beruhigend. Mein unsichtbarer Freund im Hintergrund, während das Kleinkind einen Elefanten aus roter Knete rollte.

      ‘Evelyn ist im Kindergarten. Mir ist langweilig. In der Schublade ist eine große Schere. Mama braucht sie immer zum Nähen. Ich kann die geblümten Vorhänge damit schöner machen. Mami wird stolz auf mich sein. Die Schere ist schwer, aber ich schaffe es sie zu halten.’

      Ich lachte und betrachtete mich dabei, wie ich breite Fransen in den dicken Stoff schnitt. Es machte einige Mühe, aber bald waren die Vorhänge rundherum mit lustigen Fransen verziert.

      ‘Mama kommt wieder und mag meine Fransen nicht. Papa wird böse sein, droht sie. Ich bin erschrocken.’

      ‘Lösen Sie sich aus der Szene. Möchten Sie zurückkehren?’

      ‘Nein.‘ Ich stürzte mich gleich in die nächste Erinnerung. ‘Der Fernseher läuft und ich bin allein zu Hause. Schwarz-weiße Blumen öffnen und schließen sich im Zeitraffer.” Ich war schon woanders ‘gelandet’.

      ‘Wie alt sind Sie?’

      ‘Zwei. Mir ist langweilig. Dann kommt eine Tanzgruppe in weiten Hosen und bunten Hemden an die Reihe. Grün und schimmernd.‘ Ich betrachtete das einen Augenblick lang. Hübsch. ’Die Frauen haben einen roten Fleck zwischen den Augenbrauen.’

      ‘Eine indische Tanzgruppe?’

      ‘Vielleicht, ich weiß das nicht. Ich bin zu klein. Aber ich will mittanzen. Ich klettere aus meinem Hochstuhl. Da ist Mamis Lippenstift! Ich brauche auch so einen roten Fleck. Ich schmiere mir einen grell-roten Punkt auf die Stirn. Dann lege ich den Lippenstift in die Frisierkommode zurück und watschle in den Flur, wo ich mich im langen Spiegel betrachte. Ich tanze zu der Musik im Fernseher.’

      ‘Warum lächeln Sie Isabell?’

      ‘Ich bin so glücklich und tanze vor dem Spiegel.’

      ‘Gut. Kosten Sie das Glücksgefühl aus… was geschieht als nächstes?’

      ‘Ich lausche. Ich habe Angst. Schritte im Treppenhaus. Der Schlüssel dreht sich im Schloss. Ich flüchte zum Hochstuhl zurück, aber ich bin zu langsam...’

      ‘Alles ist in Ordnung. Sie lösen sich aus der Szene. Gehen Sie zu einer anderen angenehmen Erinnerung zurück, wenn sie das möchten.’

      ‘Ja, meine Mutter lacht mit uns und singt Kinderlieder. Sie liest Märchen aus einem Bilderbuch vor. Mein Vater lehrt Evelyn und mich lesen und malt kleine Hasen und Gesichter, um uns zum Lachen zu bringen. Wir pflücken zuckersüße rote Kirschen im Garten. Ich bin glücklich. Mutti sieht nicht so verkniffen und bitter aus.’ Ich schwelgte in den angenehmen Erinnerungen.

      ‘Das ist gut, das ist sehr gut.’ Dr. Albrecht ließ mich verweilen.

      ‘Meine Schwester Paula ist ein Baby,’ sagte ich plötzlich. ’Evelyn und ich werden zu einem Nonnenkloster in den Schwarzwald verschickt.’

      ‘Sie sind… drei?’

      ‘Ja, meine Mutter soll sich erholen und um das neue Baby kümmern. Sechs Wochen lang müssen wir Salzbäder nehmen und Grießbrei essen.’

      Ich schüttelte mich. ‘Ich bin in der ‘Kleinen Gruppe’ und sehe Evelyn nicht oft. Ich mag die Nonnen nicht. Sie haben einen der Jungs auf einen Stuhl gebunden und in den Gang gestellt, weil er vor Heimweh weint. Er schluchzt die ganze Nacht.’ Mir stiegen Tränen in die Augen.

      ‘Ich falle hin und mein Kopf tut weh. Die Nonnen nehmen mich in die Küche und holen ein riesiges Messer raus, um es auf die Beule zu drücken. Ich schreie und will davonlaufen, weil ich denke sie wollen mich erstechen.’ Mir lief eine Träne die Wange herunter und ich drehte meinen Kopf nach links und rechts, um die Nonnen abzuwehren.

      ‘Lösen Sie sich aus dieser Szene. Sie sind in Sicherheit, niemand kann Ihnen etwas anhaben.’ Ich beruhigte mich.

      ‘Ich zähle jetzt rückwärts. Wenn ich bei eins angelangt bin, wachen Sie auf. Drei, Sie kommen zurück…’

      Ich brauchte eine ganze Weile, um zu begreifen, dass ich kein Kleinkind mehr war. Die Kassette wurde zurückgespult und das mittlerweile altbekannte Gespräch mit dem guten Doktor fand statt.

      “So, das war mehr als genug für den Anfang, Isabell,” meinte der Psychologe.

      “Wow, ich kann mich noch an alles erinnern,” hatte ich gestaunt. “Genau wie Sie es gesagt haben.”

      “Ja, das ist meistens so. Wir werden beim nächsten mal mehr darüber reden.” Von diesem Tag an fühlte ich mich nicht mehr so wütend und hilflos. Dr. Albrecht war ein echter Zauberer.

      Als wir heimlich mit der Regressionen anfingen, war ich schon ein alter Hase. Das war jetzt etwas ganz anderes.

      Dr. Albrecht schien beeindruckt zu sein. “Sie haben zwischendurch in einer Fremdsprache gesprochen. Vielleicht können Sie mir das ein oder andere noch erklären.”

      “Wirklich?” sagte ich verträumt.