Paula Wuger

Räderwerk


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sich Judith um die Brote kümmerte, fragte sie Manuel, ob er daran gedacht habe, ihre Uhr zum Service zu bringen.

      „So etwas erledigt der Meister selbst“, erklärte er.

      „Das heißt …“

      „Das heißt, dass dein Maurice Lacroix Les Classiques Chronograph …“

      „Mit Mondphase …“

      „Nach seiner Entmagnetisierung wieder tadellos funktioniert.“

      „Entmagnetisierung?“, fragte Judith erstaunt.

      „Die Batterie war in Ordnung, auch sonst waren keine Mängel zu erkennen, also habe ich vermutet, dass die Uhr nicht funktionierte, weil sie einem starken Magnetfeld ausgesetzt war.“

      „Aber …“

      „Ich tippe auf unseren Herd mit den Induktionskochfeldern.“

      „Beunruhigend, diese geheimnisvolle Kraft im Hintergrund, die ein Uhrwerk stillstehen lässt.“

      „Solche Magnetfelder können auch Herzschrittmacher beeinflussen.“

      „Die wir beide nicht haben. Und wie hast du die Uhr entmagnetisiert?“

      „Bei Hildner an der Hochstraße. Er hat ein Gerät dafür.“

      „Und deine Rolex funktioniert noch?“

      „Leider nur eine Imitation.“

      „Aus Italien?“

      „Aus dem Internet.“

      „Und warum funktioniert deine Uhr noch?“, ließ Judith nicht locker. „Immerhin kochst du auch.“

      „Ich nehme sie immer vorher ab.“

      „Das werde ich auch machen. Wenn ich nicht darauf vergesse.“

      Am nächsten Vormittag setzte sich Judith an ihr Notebook und blickte durch das Fenster der Dachterrasse auf den Park des Thermalbades. Sie nahm sich vor, sobald sie die Aufgabe erledigt hatte, die sie sich vorgenommen hatte, schwimmen zu gehen. Der Tag war zu schön, um in der Stube zu hocken.

      Sie hielt ihre bisherigen Erkenntnisse schriftlich fest und suchte dann im Internet nach Artikeln über den Entführungsfall.

      Sie studierte gerade einen Beitrag in Österreich aktuell, als sie das Signal ihres Handys bei der Arbeit unterbrach.

      Der Anruf kam von Gretel Mardein, jener Bekannten ihres Chefs, die sie in Bad Gastein kennen und schätzen gelernt hatte.

      Die 82-Jährige hielt sich nicht lange mit Höflichkeiten auf. Sie bat Judith um ein Gespräch, Hans Waldheim betreffend.

      „Ich mach mir Sorgen um ihn. Wir müssen ihm helfen“, sagte sie. „Sind Sie einverstanden, mich im Gutshof Thallern zu treffen? Das liegt für Sie und mich auf halbem Weg.“

      Judith blickte auf ihre Armbanduhr, die nun wieder funktionierte, sah, dass es halb elf war und freute sich auf die Spezialität des Restaurants, auf Backhendlteile. Das Wetter war schön, also bestand die Möglichkeit, im Gastgarten zu sitzen. Ein zusätzliches Plus, trotz des ernsten Hintergrundes, den Frau Mardein angedeutet hatte.

      „Wir treffen einander um zwölf?“, vergewisserte sich Judith.

      „Beim Glockenschlag der Johannes-Kapelle“, bestätigte Gretel Mardein.

      Frau Mardein saß schon bei einem Glas G’spritzten und erhob sich, als Judith den beinahe vollen Gastgarten betrat. Jetzt erst dachte sie daran, dass sie einen Tisch hätte reservieren lassen sollen. Aber das hatte die umsichtige ehemalige Journalistin für sie erledigt.

      Gretel Mardein war wie immer untadelig gekleidet, an diesem Donnerstag in einem rosaroten Kleid mit Gürtel, das ihre noch immer gute Figur unterstrich, ohne zu viel Haut zu zeigen. Das weiße Haar, streng dauergewellt, glich dem Helm eines Ritters ohne Furcht und Tadel.

      Die beiden Frauen umarmten einander, während eine Kellnerin auf sie zueilte, um zu fragen, was sie speisen wollten.

      „Backhuhn, natürlich“, sagten sie im Chor. „Und für mich auch einen G’spritzten“, fügte Judith hinzu.

      Als Judith sich erhob, um sich beim Salatbuffet zu bedienen, bat Gretel Mardein sie, ihr Kartoffelsalat mitzubringen.

      „So, jetzt können wir reden“, sagte die beinahe mütterliche Freundin des Herausgebers von Familie Österreich. Immerhin war sie 13 Jahre älter als er. „Hans leidet wie ein Hund“, begann sie das Gespräch und schob etwas Salat in den Mund. „Und das muss ein Ende haben. Die Sache schadet seiner Gesundheit. Haben Sie ihn in letzter Zeit gesehen?“

      „Gestern“, erklärte Judith. „Er hat mich gebeten, die Umstände des Todes von Hans-Josef Hebenstreit zu klären. Sie wissen schon, des Entführers des jungen Mannes.“

      „Aber Judith, Sie tun ja, als ob ich auf dem Mond lebte! Die Medien berichten über nichts anderes mehr. Und genau darum geht es. Hans-Josef Hebenstreit war der Sohn Waldheims, aus der geschiedenen Ehe mit Nadja Hebenstreit.“

      Judith schob die Tasse mit dem Salat beiseite und räusperte sich. Das war eine überraschende Offenbarung.

      „Hajo Hebenstreit, Waldheims Sohn“, wiederholte Gretel Mardein. „Um die vierzig Jahre alt – es war Waldheims zweite Ehe, die ebenso wie die erste geschieden wurde. Der Sohn nahm nach einem Streit den Familiennamen der Mutter an.“

      „Hebenstreit hat anfangs für Waldheim gearbeitet.“

      „Das war noch zu meiner Zeit in der Redaktion. Irgendwann kam es zum Bruch zwischen Vater und Sohn.“

      „So, die Backhühner“, unterbrach die Kellnerin das Gespräch und stellte die Teller auf den Tisch. „Ich wünsche guten Appetit.“

      Mit einem scheuen Blick auf die jeweils andere begannen Judith und Gretel die panierten Hühnerteile mit Messer und Gabel zu zerteilen, bis Frau Mardein ein Flügerl in die Hand nahm und daran knabberte.

      Damit war das Eis auch für Judith gebrochen, und auch sie aß mit den Fingern.

      „So wie es sich gehört“, bemerkte Gretel Mardein. „Sie stellen nicht umsonst Feuchttücher zur Verfügung. Wobei es früher hier viel nobler zuging, mit einer Wasserschale, auf der Zitronenscheiben schwammen und einer Stoffserviette. Ich erinnere mich noch, wie Onkel Fredi irrtümlich die Schale leertrank.“

      Judith musste trotz des ernsten Gesprächs, das sie geführt hatten, lachen.

      Dadurch ermuntert, fuhr Gretel Mardein in ihren nostalgischen Erinnerungen fort: „Mein Vater und eben jener Onkel genossen den Wein ohne Hemmungen, und wenn es zurück nach Wien ging, wurde im Auto gesungen. Es gab damals noch keine Einschränkungen, Alkohol am Steuer betreffend. Allerdings waren noch nicht so viele Autos unterwegs.“

      Als satt waren, baten beide Frauen, die Kellnerin, die übrig gebliebenen Hühnerteile einzupacken. Sie wollten noch einen Teil ihres Magens für eine Nachspeise freihalten und entschieden sich für Salzmandeleis.

      „Mit Schlag natürlich“, sagte Gretel Mardein. „Wir können es uns leisten. Aber wo war ich vorhin stehengblieben?“

      „Bei dem Zwist zwischen Waldheim und seinem Sohn.“

      „Ja. Das war tragisch. Aber was sollte Hans tun? Der Junge war von der Mutter großgezogen worden, verwöhnt, vernachlässigt und unerträglich. Er war notorisch unpünktlich, konnte nicht schreiben, also, ich meine journalistisch, und war frech. Hans wollte und musste ihn erziehen, obwohl er damals schon achtzehn war, an der Matura gescheitert. Eines Tages ist es zu einem Schreiduell zwischen den beiden gekommen, Waldheim hat ihn in seiner Wut als Schwuchtel bezeichnet. Von da an gingen die beiden getrennte Wege.“

      „Und jetzt das noch“, sagte Judith. „Der schwere Verdacht, sein Selbstmord. Ich werde mich bemühen, den Fall zu klären.“

      „Das ist wichtig, Judith, und Sie werden es wie immer