Tanja Lauber

Fabelfeuer


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stand er an seinem Wegesrand. Die Wirklichkeit funkelte ihn an, in Form dieser blauen Feder und er konnte nur staunen wie leicht und zart etwas sein konnte, auf der Hand liegend nicht zu spüren. Einige Male schloss und öffnete er die Augen wieder, um der Feder nachzuspüren. Jedes Mal war er ein bisschen verwundert, dass sie wirklich da auf seiner Hand lag.

      Königliche Zartheit, dachte er, und ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Als er seine Augen noch einmal schloss, spürte er plötzlich einen leichten, zarten Druck auf seinem Handblatt. Die Feder bewegte sich, nein das war nicht der Wind, es war völlig windstill. Er öffnete die Augen, doch sie lag einfach da. Aber er hatte doch eine Bewegung der königsblauen Feder gespürt. Als er die Augen erneut schloss, nahm er die Bewegung der Feder wieder deutlich wahr. Die Feder hatte ihm ein Wort in die Hand geschrieben. Er öffnete seine Augen, die Feder lag wie schwebend auf seinem Handblatt, so wie er sie am Anfang hingelegt hatte.

      Doch die Zeichnung des Federwortes hatte er auf seiner Hand gespürt:

      Lilie.

      Der Wanderer zeichnete das noch eben gespürte Wort in seiner Handinnenfläche nach. So als wolle er es damit in seine Erinnerung schicken, langsam, staunend und ein wenig angerauscht:

      Lilie.

      Der Hase mit dem goldenen Umhang

      Die Feder steckte er wie selbstverständlich in seine Hosentasche und lief mit neu gewonnenen Schritten weiter.

      Auf der einen Seite vor ihm wandelte die Sonne und auf der anderen Seite der Mond, welcher das Licht der Sonne in immerwährenden Zügen trank. Es konnte einfach nicht hell werden, der Mond zog das Licht der Sonne an und sie konnte nicht nach außen strahlen. Wie gefesselt lag das Sonnenlicht im Angesicht des Mondes. Für den Wanderer war es hell genug, um seinen Weg zu sehen, doch um ihn herum war Dunkelheit. Wie konnte es wieder Tag werden? Die Sonne war mit ihrem Licht dem Sog des Mondes erlegen. Und der Mond merkte das noch nicht einmal. Der Tag verbarg sich in diesem Bild. Er kam nicht zum Vorschein. Alles was der Mann mitnahm auf seinem spärlich beleuchteten Weg durch die Dunkelheit war seine Erinnerung an den fließenden Wechsel von Tag und Nacht. Dieser altbekannte Wechselstrom des Lichts stockte nun. Die Nacht staute sich auf. Der Mann wusste nicht mehr wie lange er schon gelaufen war. Die Schneeflocken fielen schier unablässig, auf Hände, Jacke, Kopf und Weg. Es raschelte im Wald. Der Mann drehte den Kopf in Richtung des Gehörten. Doch die Dunkelheit verschloss sein Sichtfeld. Wieder raschelte es, doch dann war das Rascheln erloschen. Das Wesen musste sich nun aus dem Wald heraus auf seinem Weg befinden. Es hüpfte direkt zum Mond und stellte sich vor ihn. Ein ganz gewöhnlicher Feldhase, dachte der Mann, endlich wieder etwas erklärbar Normales. Das Hasentier schaute in den Mond und im selben Augenblick legte sich ein goldener Umhang aus Mondlicht um es. Ein Geschenk des Mondes. Der Mann war seinem Staunen völlig hingegeben, wieder hatte sich etwas scheinbar Normales vor seinen Sinnen verwandelt. Der Hase wirkte nun größer mit dem Umhang, ja er wuchs. Schnell oder langsam, das konnte der Wanderer nicht erfassen. So groß wie ein Pferd drehte sich das Tier mit dem goldenen Umhang zu ihm um und sah ihm in die Augen. Haselnussbraun, wie bei einem gewöhnlichen Feldhasen, dachte der Mann, in dem Bedürfnis und Wunsch sich etwas Normalität zu erhalten. Der Blick des Hasen war warm und sprach:

      Steig auf meinen Rücken. In dem Moment erinnerte sich der Wanderer an die Feder und er stieg mit einem schweren, weil unheimlichen, aber auch warm anmutenden Gefühl im Bauch auf den Rücken des Tieres. Als er den Hasen berührte flog der Umhang nach hinten und so als hätte er schon immer dort hingehört, umkleidete das goldenen Mondgewebe den Mann. Er hüpfte mit dem pferdegroßen Hasen weiter auf seinem Weg. Sein goldener Umhang lag nach hinten fliegend auf dem Wind wie auf einem weichen Kissen.

      Das Flackern

      Tuday hielt sich an dem Pferdehasen fest und ließ sich von ihm leiten. Zielstrebig hüpfte das Hasentier über Felder und Büsche, so als hätte es einen richtungsweisenden Kompass in sich. Tuday bekam schwere Augenlider, die Dämmrigkeit, die ihn wie aus einer fernen Zeit herangezogen, umgab, ermüdete ihn. Er schlief ein. Der Hüpfhase kannte den Weg, er trug Tuday mit sich wie einen wertvollen Schatz. Der goldenen Umhang wehte, ein goldener Wächter, der ihn schützte. Heimlich viele Stunden waren vergangen. Tuday, der inzwischen wieder in die Dämmerung zurückgekommen war, erblickte ein Flackern in nahender Ferne. Der Hase war stehengeblieben. Tuday rutschte von seinem Rücken. Das Tier drehte sich zu ihm um und im selben Moment wurde es wieder kleiner und hüpfte davon. Tuday hatte sich dem Flackern schon so genähert, dass es sich in seinen Augen spiegelte. Jetzt erst konnte er das Fenster wahrnehmen, durch das er die ganze Zeit geschaut hatte. Denn das flackernde Licht drang von einem Raum heraus durch eine große Öffnung nach draußen. Das Fenster hatte keine Scheibe, sie war auch nicht zerbrochen, sie war einfach nicht da. Es war eine einfache Holzhütte, die diese Fensteröffnung umschloss. Auf Tuday hatte es eher den Anschein als wäre es einzig und allein ein Fenster, die Hütte diene nur dazu diesem Gestalt zu geben. Es gab keine Tür. Tuday stieg durch die fast ebenerdige, mächtig groß wirkende Öffnung und rutschte fast auf dem Boden der Hütte aus. Der Boden war uneben und glatt. Auch wenn es ein recht offener, sehr spärlich geschützter Raum war, wurde es Tuday warm als er darin stand. Kerzen, überall schwebten Kerzen. Sie brannten. Die Kerzenflammen tanzten wie zu einer geheimnisvollen Melodie. Tuday vernahm das auf den Boden tropfende Wachs wie ein zärtlich dahinhuschendes Trommeln. Manchmal wiegten einige Kerzen ihren Kopf zur Seite. An diesen Stellen lief das Wachs in kleinen Flüssen nach unten. Die Kerzen schütteten sich aus. Es war Tuday ein bisschen unheimlich zumute. Seit diese Geschichte begonnen hatte erlebte er mysteriöse Dinge, so als würde das Leben aus mysteriösen Dingen bestehen. Vielleicht waren andere Menschen gerade im Supermarkt, putzten, kamen von der Arbeit nach Hause oder schauten einen Film. Und bei ihnen wurde es wahrscheinlich Tag und Nacht in beständigem Wechsel. Aber er, Tuday, war von Anbeginn dieser Geschichte durch eine gleichbleibende Dämmerung gewandelt, wohl ausgelöst und begleitet von den beiden Gestirnen Sonne und Mond. Sie hatten ihren Platz am Himmel verlassen, zogen beide selbst wie verloren vor ihm her.

      Während sich das warme Kerzenwachs schmelzend von den Kerzen löste, den Boden tropfend berührte, fragte sich Tuday: Wie konnte ich nur in diese Geschichte geraten? Oder seid ihr schon einmal auf einem pferdegroßen Hasen durch die Gegend gehüpft und hattet plötzlich einen goldenen Umhang an? Doch Tuday vergaß das Wundern über sich selbst und seinen Weg bei dem Anblick dieses märchenhaften Klangbildes.

      Unzählige Kerzen an der Decke, die ihre Flammen nach unten züngeln ließen. Und dazu Tropfen, miteinander, nacheinander, in einer einvernehmlichen Harmonie. Der Raum hatte von Außen so klein gewirkt. Doch schon als Tuday durch das Fenster nach Innen gestiegen war, hatte sich die Größe des Raumes geöffnet, breitete sich nun majestätisch anmutend vor seinen Augen und Ohren aus. Er zog seine Stiefel aus, wollte die Wärme des Bodens ganz spüren. Schön fühlte sich das an; Tuday versank in einer träumerischen Stimmung, genoß ganz und gar diesen Raum. Auch seine Hände legte er nun auf den Boden, um der Wärme näher zu sein. Das Wachs tropfte nie auf ihn, der goldene Umhang schützte ihn. Die Kerzen schienen in schwebender Leichtigkeit zu tanzen. Seine Hände fuhren über den Boden; Tuday spürte die Wärme und Unebenheiten. Er erspürte die wächserne Form des Bodens. An manchen Stellen tropften die Kerzen stärker, hier hatten sich Erhebungen des Wachses am Boden gebildet. Seine Hände empfanden beim Wandern über den betropften Boden eine Form.

      Diese Form erschien ihm wie die Nachbildung eines Bauwerks, doch er konnte es nicht sehen, das Licht war zu hell. Nach einer Weile wich Tuday langsam zurück, stieg in den bodennahen Fensterrahmen. Von hier aus konnte er das Wachsbodengemälde augenblickend betrachtend, da das Licht aus dieser Perspektive etwas gedämmt war. Doch es war für ihn nun keine klare Form zu erkennen, es erinnerte ihn nun nicht unbedingt an ein Bauwerk, wenn er mit den Augen darauf schaute. Ja, es hätte zwar ein Bauwerk darstellen können, doch auch andere Formgebungen waren enthalten und er hätte Vieles, Verschiedenes darin entdecken können, fast so wie es ihm beliebte. Wie ein Wolkenbetrachter, vor dessen Augen die Wolken zeitzwinkernd in unterschiedliche Formen fließen.

      Der kleine Zwerg und die