Ingo M Schaefer

Die Tote am Steinkamp


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„Spurg“ stutzte. „Laut meinen Informationen gräbst du gerade eine bronzezeitliche Abfallgrube an unserer alten Schule aus.“ Er ließ mich nicht mal grüßen. Gleich sagte er wohl Sachen wie ,Na, schaufelst du jetzt schon die Gruben für deine Leichen‘ und solche Dinge. Ich sagte dem Leiter der Spurg, wo die Leiche lag.

      „Ich dachte, wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Warum musst du nur alles ins Gegenteil verkehren. Bald heißt es, du schaufelst Gruben für -“

      „Verstanden!“, unterbrach ich ihn.

      „Halte die Füße still und mach‘ Fotos und Filme!“

      „Jawoll!“, sagte ich ohne die Hacken zusammenzuschlagen.

      Vor wenigen Wochen bewilligte die Verwaltung uns diese neuartigen Wischminicomputer für die Hosentasche. Ich machte Fotos und filmte.

      In den letzten zwei Tagen hackte, schaufelte und kratzte ich fest gepressten Sand. In der Zeit entwickelte man eine Beziehung zur Grube, und jeder sprach sehr viel mit den Grubennachbarn. Ich nutzte die Gelegenheit und wollte den Studenten nahebringen, dass die heutigen Problem-Fernsehpolizisten kein Maßstab für uns echten waren. Jedenfalls wollte ich Ermittler und Schutzpolizei in ein besseres Licht rücken und den jungen Leuten beibringen, dass eine vordergründige bequeme Wahrheit meist eine andere unbequemere Wahrheit verdeckte. Letztere war: Sie hörten mir überhaupt nicht zu.

      Yannick und seine dreiköpfige Begleitung parkten den Geländewagen aus den Bremer Mercedes-Werken auf dem Kiesweg. Weil die Kollegen vom Lesumer Revier noch unterwegs waren, rammten sie selbst Pfähle in die Erde, kleideten sich in weiße Overalls und spannten ein rot-weißes, schräg gestreiftes Absperrband vom Kiesweg über die Bäume zu den Büschen. Danach fotografierten sie mit ihren Hightech-Kameras jeden Grashalm, bis mein Schulfreund vergangener Tage mir erlaubte wegzutreten.

      „Bleib auf unserem Platz stehen“, befahl mir Yannick und zeigte auf den asphaltierten Fußballplatz. Ich kam mir vor als spielte ich „Rasen ist Lava“ und lief auf Zehenspitzen zum ehemaligen Bewährungsplatz.

      4

      Stenhagen und Hornung kamen von der Treppe neben der Turnhalle, wie ich Markus zuvor empfahl, um Spuren zu schützen. Sie fuhren mit den VWs der Bremer Polizei vor. Wir hatten keinen genialen Leasingvertrag wie das LKA mit den angeschlossenen Laboren. Als beide bei mir ankamen, sah ich den nächsten Mercedes oben an der Treppe rasten. Die Gerichtsmedizin.

      Stenhagen und Hornung kamen zu mir. Es gab nichts zu sagen. Rita reichte mir Handschuhe und Schuhüberzieher, nicht um die Treter zu schützen sondern den Tatort vor meinen Sohlen. Ich hielt den Beutel hoch und rief Yannick zu:

      „Hey, Meister Gandalf von der hohen Spurg. Das hättest du mir auch geben können.“

      Wie üblich zogen sich seine Mundwinkel nach unten. So war das immer mit uns. Er verscheuchte mich. Ich scheuchte ihn. Er würde stundenlang um Marker herumscharwenzeln. Er würde betonen, dass es sich um Fachgespräche handelte. Ich hielt ihm entgegen, ohne meine Leichen würden sie sich nie sehen. Mein Tatort war ihr Treffpunkt. Das wäre genug. Zudem sei er glücklich verheiratet.

      Dr. Sonja Marker stieg aus, winkte mir zu. Sie ging ans Heck, um den blauen Overall anzuziehen. Die Leiterin der Gerichtsmedizin schleppte ihre Koffer die Treppe herunter. Sie war schlau und intelligent. Mittlerweile war ich es leid allen den Unterschied zu erklären. Ihre einfachen Erklärungen über Todesursachen waren beides. Leider hörten die meisten Kollegen nie zu, weil die Leichenanalystin außerdem hungrige Blicke einfing. Dafür strahlte sie satte Männer wie mich regelmäßig an, was die Hungrigen sauer machte.

      Mich interessierte, was die Leiche sagte, und Dr. Sonja Marker dolmetschte mir.

      „Hallo, Herr Nagel“, grüßte sie und strahlte mich an. Ich grinste zurück.

      „Moin, Frau Dr. Markert!“, nickte ich.

      „Hallo, Dr. Marker. Dort in der Grube“, mischte sich Stenhagen sofort ein. Ich war nicht im Dienst.

      „Haben Sie nicht frei?“, grinste sie mich an und überging meinen Stellvertreter.

      Ich zuckte nur mit der Schulter. Es gab nichts zu sagen. Sie ging direkt zur Leiche.

      „Bist du zurück, Chef?“, fragte Stenhagen.

      „Chico und Frederike riefen vorhin an und sie fragten, ob sie gebraucht werden“, berichtete Rita.

      „Vorerst machen wir es wie besprochen“, raunte ich beiden zu. „Diese provisorische Absperrung muss auf das gesamte Gebiet ausgeweitet werden und ruft den Gafferwagen. Informiert die Kollegen. Yannick wird ja wohl irgendeine Spur finden.“

      Yannicks behaubte Overalls suchten in Sträuchern, zwischen den Gräsern und in den Gruben nach Abfall. Jedes Kaugummipapier und die sonstigen Schülerreste fielen in Müllsäcke.

      Yannick kam zu mir, nachdem er gefühlte Stunden mit Misses Gerichtsmedizin tratschte und sie, wie ich meinte, von der Arbeit abhielt.

      „Na, hast du den alten gelben Tennisball gefunden, den du damals ins Gebüsch geschossen hast, und den wir nie fanden?“, rief ich laut über den Platz.

      „Du bist nicht informiert. Den hat der alte Kort gefunden und behalten, als Erinnerung an uns. Er hat es mir gebeichtet bei einem Jahrgangstreffen. Er bat mich, den Ball in seinen Sarg zu legen. Was ich getan habe.“

      5

      Mittlerweile standen mehr Personen um mich herum. Staatsanwalt Weinhaus zappelte umher und wartete wie wir alle auf Marker, die sich ungewöhnlich viel Zeit ließ. Die Absperrung stand. Seit ich angeordnet hatte, das die Gaffer offen gefilmt wurden und wir laut wegen unterlassener Hilfeleistung mit Gefängnis drohten, gingen die Bremer recht schnell weiter an rot-weiß gestreiften Flatterbändern. Vor allem sorgte der Mannschaftswagen mit der Aufschrift MOBILES GEFÄNGNIS für Abschreckung. Vor einem Jahr hatte ich genug und schlug dem Präsidenten vor, wie ein einfacher Mannschaftswagen Gaffer weitergehen lassen würde. Aus einem Testwagen wurden zwei, dann drei mit Bereitschaftsfahrer und Beifahrer. Zurzeit buchte die Feuerwehr fast täglich die Kollegen und sorgte für Geldfluß, über den unsere Verwaltung sich freute und die Lorbeeren einsteckte, weil sie die Einnahmen als Einsparungen deklarierte, was die Verwaltungskosten verringerte. Das war deren Sache. Mir war wichtig, dass wir in Bremen kein Gafferproblem mehr hatten. Damit hatte ich den Präsidenten geködert. Mittlerweile war der Lack und das Gitter aus dem Baumarkt wieder drin. Zahlen taten auf jeden Fall die Gaffer. Jetzt stand der Wagen auf dem Rasenplatz neben dem Schleichweg und sorgte für ein rasches Vorbeigehen.

      Wir alle atmeten auf, als Marker aus der Grube stieg.

      „Der Tod trat zwischen zehn und zwölf Uhr nachts ein. Es ist unklar, was den Tod bewirkt hat. Das Genick ist gebrochen. Ich muss feststellen, wie das passieren konnte. Keine Würgemale, keine Druckpunkte am Hals, um den Genickbruch zu erklären. Allerdings ist das nur die vordergründige Wahrheit, weil ich ein Pflaster an der Schulter gefunden habe, das eine Rötung ante mortem, vor dem Tod, hervorgerufen hat. Die Tote heißt Martha Grenitz und muss sofort in die Gerichtsmedizin.“

      „Ein Pflaster am Nacken?“, fragte ich.

      „Zwischen den Schulterblättern“, sagte sie.

      „Pflaster? Hautreizung? Das erinnert mich an ein Unfallopfer. Vor vier Wochen fast vor meiner Haustür. Hatte die nicht auch ein Pflaster auf dem Rücken?“, fragte ich laut. An der Reaktion der anderen erkannte ich, dass meine Stimme dröhnte.

      Marker seufzte und blickte Yannick an.

      „Das war ein Nikotinpflaster“, sagte Weinhaus.

      „Hast du es untersucht?“, fragte ich Yannick.

      „Das war nicht nötig“, schaltete sich Weinhaus ein. „Ein tragischer tödlicher Verkehrsunfall ohne Fremdeinwirkung. Die Tote hatte nullkommasieben Promille und viele Zeugen bestätigten, dass niemand am Unfall beteiligt war. Keine Mitfahrer. Das Unfallopfer Frau Lewinski wollte zu spät abbiegen. Alkohol war im Spiel. Es gab keinen Grund für weitere Untersuchungen oder der K007 den Fall zu übergeben.“