Ingo M Schaefer

Die Tote am Steinkamp


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Familie Hemlock. Die Tür öffnete sich, ohne dass jemand über die Freisprecheinrichtung fragte, wer wir seien.

      Wir gingen in den zweiten Stock. Eine junge Frau mit einem Kleinkind auf dem Arm lächelte uns an. Ich fragte mich, ob wir hier richtig waren. Laut Akte stand vor mir die Besitzerin der Vollstreckungsbescheide gegen Hermann Lewinski.

      „Hallo?“, fragte sie.

      Wir zückten unsere Marken und Ausweise. Außer einem leichten Stirnrunzeln las ich weder Sorgen noch ein schlechtes Gewissen im Gesicht. Ich stellte uns vor. Sie ließ das Kind herunter und bat uns in die Wohnung.

      „Möchten Sie Kaffee?“, fragte sie, während die Kleine um die Beine der Mutter hervorlugte.

      „Nur wenn es Ihnen keine Umstände macht“, sagte ich.

      Sie geleitete uns ins Wohnzimmer, in dem ich nichts erkannte, das auf zweihundertfünfzigtausend Euro hinwies. Dafür eine Couch vom Ihlpohler Möbelmarkt, vielleicht weil Meyerhoff zu weit war. Ein Regal aus Schweden. Viele kleine gerahmte Fotos hingen an den Wänden. Ein Nordseebild über der Couch wärmte mein Heimatherz. Die Drei-Zimmerwohnung ließ mich die Straße, und was wir da draußen erlebten, vergessen. Das Kind war zu beneiden.

      Und ich erkannte die obligatorische Chromdeckenleuchte aus dem Hause meines Freundes Hinnerk, der wahre Obi wa Kenn obi. Diese Standlampe allerdings war komplett. Mir hatte er seinerzeit den Standfuß und die Glühbirne zum doppelten Preis verkaufen wollen, damit ich, wie er anpries, meine ganze Kreativität ausleben könne sozusagen zum Künstlerpreis. Was soll ich sagen. Marga warf mir sauer den Stahlfuß auf die Zehen und die Birne an meine.

      12

      Kein fixer Aufbrühkaffee, keine Kaffeemaschine. Frischer gemahlener Kaffee in einem Bodum Kaffeebereiter. Ein Sieb drückte die gemahlenen Kaffeebohnen zu Boden. Über dem Sieb blieb ein starker tiefschwarzer Kaffee, in dem der Löffel steckenblieb. Genau denselben Kaffee machte Marga.

      Frau Hemlock setzte sich auf einen Stuhl, den sie aus einem anderem Zimmer brachte.

      „Worum geht es?“, fragte sie.

      „Kennen Sie eine Martha Grenitz?“, fragte Chico.

      „Nein.“

      „Kennen Sie eine Irene Lewinski?“, fragte ich.

      „Nein, aber“, fügte sie freundlich hinzu, „Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Worum geht es? Da wo ich herkomme, Lesum,“ betonte sie und schaute uns mit hochgezogenen Brauen von oben herab an, wie wir Lesumer das so machen. Das liegt in unserem Blut. „Hier in Lesum hat man Anstand genug eine Frage zu beantworten. Und wenn ich mir recht überlege“, sie dehnte die Pause, „gilt dies überall. Sollte die Bremer Kriminalpolizei eine Ausnahme sein, sollte die Bremer Kriminalpolizei anstandlos sein?“

      Sie drückte das Sieb langsam herunter.

      Diese Frau gefiel mir. Jemanden bei den Eiern packen, nannten wir das.

      „Die beiden genannten Frauen sind tot,“ erklärte ich. „Eine wurde ermordet, eine starb unter fragwürdigen Umständen. Die Witwer dieser Frauen schulden Ihnen per Vollstreckungsbescheide insgesamt eine halbe Million Euro.“

      Himmelblaue Seelenblicker durchbohrten mich und Chico, als ob wir ihr erklärten, Zeitreisen und Beamen wären jetzt neu im TUI Angebot. Mein Untergebener konnte nur blinzeln.

      „Kommt gleich die versteckte Kamera?“, fragte sie lustig. Dann wurde sie ernst, sehr ernst, so ernst, dass ich mich unwillkürlich zurückversetzt als Junge vor der Schultafel stehen sah, die Lehrerin mir vor der Klasse die unmöglichste Aufgabe stellte, man im Boden versinken wollte und der Anblick der grinsenden Mädchen das Gehirn entleerte. Ein Seitenblick auf Chico, dem ging es genauso.

      Diese Frau drückte mit voller Kraft zu.

      „Es gibt Dinge, über die macht man keine Witze, meine Herren. Ich schlage Ihnen also vor, um das bis jetzt gute Ansehen der Bremer Kriminalpolizei nicht ins Gegenteil zu wandeln, dass sie mit dem Unfug aufhören und mir erklären, was sie wollen.“

      Ich legte Marke und Ausweis auf den Tisch.

      „Bitte rufen Sie eins-eins-null an“, bat ich. „Nennen Sie bitte denen die Dienstnummern auf diesen Ausweisen und lassen sich die Namen sagen. Damit zeigen wir, dass wir es ehrlich meinen. Es ist, wie ich gesagt habe.“ Ich entnahm meiner Innentasche einen Briefumschlag und entfaltete den Inhalt. Mehrere Kopien. „Hier ist die Übertragung der Vollstreckungsbescheide auf sie. Der Gerichtsvollzieher hat vor drei Wochen zwei in einer Gesamthöhe über zweihundertfünfzigtausend Euro eingetrieben. Das Geld wurde auf Ihr Sparbuch überwiesen. Hier ist der Überweisungsbeleg des Gerichtsvollziehers. Das ist der Grund, warum wir hier sind. Ihrem Gesicht entnehme ich, dass sie nichts darüber wissen.“

      Die Frau wurde blass, als sie die Papiere studierte.

      „Das Konto kenne ich nicht. Was bedeutet das?“

      „Ich sollte erklären, dass dieses Geld wirklich legal Ihr Geld ist. Sie können darüber verfügen. Sie brauchen nichts zurückgeben, Frau Hemlock.“

      „Aber woher? Wer hat mir so was übertragen?“

      „Das hoffte ich von Ihnen zu erfahren. Leider lief alles über einen Anwalt, der sich wohl auf sein beruflich erlaubtes Schweigen konzentrieren wird.“

      Sie nahm meine Marke in die Hand, drehte sie mit den Fingerspitzen.

      „Meine Eltern sind tot“, gab sie bekannt. „Ich habe keine Verwandten. Meinen Vater kannte ich nicht. Meine Mutter verunglückte vor sieben Jahren. Weder schulde ich anderen etwas, noch schulden andere mir etwas. Mein Mann und ich kommen gut zurecht. Ich weiß nicht, was ein Vollstreckungsbescheid ist.“

      „In der Regel versuchen Geschäftsleute auf diese Weise Geld von anderen Geschäftsleuten gesetzlich einzutreiben.“

      „Ich habe nie eine Firma besessen“, rief sie erstaunt.

      „Ich frage mal anders. Wer könnte Ihnen Gutes wollen?“, fragte ich.

      Sie stand auf und ging hin und her.

      „Meine Mutter hat nie wieder geheiratet. Es gab dennoch Männer in meinem Leben. Einer war besonders. Ich muss sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein. Er brachte mir auch Geschenke, ist mit uns verreist. Mir schien, das war Liebe. Dann verschwand er. Ich erinnere mich, dass meine Mutter sehr traurig war und ständig darüber sprach, dass Leute ihn betrogen hätten. Jedenfalls sah ich ihn nie wieder. Wie hieß er nochmal, Martin, Johann, ach, ich weiß es nicht.“

      „Schon gut, Frau Hemlock“, beruhigte ich sie. „Oft erinnert man sich, wenn man es nicht bewusst will. Ich möchte Sie für morgen um etwas bitten.“

      13

      Chico spielte Babysitter und fuhr mit dem Mädchen zur Wache, während ich mit der Mutter zur Sparkasse in der Hindenburgstraße ging. Jennifer Hemlock wandte sich direkt an den Schalter und fragte, ob auf ihren Namen ein weiteres Konto existierte.

      Das wurde bestätigt.

      Seit wann sie es hätte

      Das Sparbuch wurde vor fünfundzwanzig Jahren eingerichtet durch die Kanzlei Henriksen. Der Kontostand betrug 251.015,36 Euro. Sie müsse das Sparbuch vorlegen.

      Sie hatte keins und legte dafür ihren Ausweis vor. Warum man sie nie über das Sparbuch informiert hätte?

      Auf dem Sparbuch wäre erst vor kurzem diese Summe drauf gekommen. Man hat es wohl nicht erwähnt, weil mit der Eröffnung fünf Euro eingezahlt wurden. Der Bankkaufmann wusste nicht mehr zu sagen, außer dass er sie gern beraten würde, um das Geld gewinnträchtig anzulegen, da das Sparbuch nicht mehr zeitgemäß als Geldanlage sei.

      Frau Hemlock ging hinaus. Ich folgte.

      „Dann zur Kanzlei. Sie machen das sehr gut“, munterte ich sie auf.

      „Wer macht so was?“, fragte sie mich.

      „Genau den suche ich!“,