M. Perthes Friedrich

Treibsand


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ihren Lidstrich nach. Etwas verwirrt schaute er sich in der Toilette um. „Wieso kann ich hier nirgends hinpissen? Verdammt, ich bin in der Damentoilette gelandet. Richtig?“ Die Blonde nickte ihm lächelnd zu. In ihren Augen lag etwas Verführerisches.

      „Willst du jetzt hier wie angewurzelt stehen bleiben und uns begaffen?“ Der aggressive Ton passte zu dem allgemeinen Auftreten der kleinen braunhaarigen Freundin. Sie hatte sich an der blonden vorbeigeschoben und blickte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Ihr kleines rundliches Gesicht sah wütend aus. „Genauso stell` ich mir ne Boxerin vor“, dachte Tim. „Ich bitte die Damen meinen unabsichtlichen Voyeurversuch zu entschuldigen. Wobei ich eh das Gefühl habe, dass mein versehentlicher Überraschungsangriff bei den Damen so oder so umsonst war.“ Tim reckte die Faust in die Luft. „Schwestern!“ Die Mimik der Kleinen wurde noch angriffslustiger. „Macho Arschloch!“ Sein Blick wanderte gleichgültig an ihr vorbei, wieder auf das Gesicht der verführerischen Blondine. „Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest. Meine Blase sorgt hier gleich für `ne Riesensauerei. Und bevor dein Wachhund auf mich los rennt, mach ich mich lieber vom Acker.“ Er öffnete die Tür und lief zur Herrentoilette.

      „Ich geh raus eine Rauchen Marlon Brando. Pass auf meinen Platz auf!“ Während er sich seinen Mantel anzog, zwinkerte er provozierend dem gegenüberstehenden Barkeeper zu.

      Die Plätze vor der Bar waren überdacht und geschützt vom Wind. Dadurch ließ es sich eigentlich gut aushalten. Er genoss das befreiende Gefühl, das sich durch die frische Luft in seinem Kopf breit machte. Seine Wahl fiel auf die letzte Holzbank der Reihe. In der Ecke, an der die Bar an eine weitere Hauswand grenzte. Draußen war es ruhig. Die restlichen Tische und Bänke waren leer. Nur zwei Männer standen etwa fünf Meter von ihm an einem hüfthohen Aschenbecher. Er stellte seinen Drink auf den Tisch und breitete die zwei beschriebenen Seiten vor sich aus. Er musste diese Idee irgendwie weiter verarbeiten. War dies ein neuer Ansatz? Wie konnte er das nutzen? „Vielleicht muss ich ihre Vergangenheit verstehen lernen um die Wahrheit zu finden.“ Aber wie konnte ihm das jetzt noch gelingen?

      Auf einer hatte er viele verschiedene Stichpunkte geschrieben. An manchen waren Markierungen mit einem Stern gemacht. Einige andere hatte er unterstrichen. Auf der zweiten Seite war eine lange Linie zu sehen, die sich quer über das Blatt Papier zog. Davon gingen in verschiedenen Abständen Striche ab, an denen er wiederum Stichpunkte platziert hatte. Über der langen Linie am Blattrand stand groß „Leila“.

      „Hallo Fremder! Schon beim Einnicken? Weißt du, die meisten Menschen gehen zum Schlafen einfach nach Hause.“ Sein Kopf lag abgestützt auf seinen Unterarmen, direkt auf seinen Notizen. Was waren seine letzten Gedanken gewesen? Er konnte sich nicht erinnern. Wie lange er eingenickt war, wusste er nicht. Ein Blick nach vorn verriet ihm aber, dass die beiden Männer bereits wieder in die Bar gegangen sein mussten.

      Die scharfe lesbische Blondine hatte sich gegenüber von Tim auf die andere Tischseite gesetzt. Langsam stütze er sich an dem dicken Holztisch ab und setzte sich aufrecht auf die Bank. „Wenn das nicht meine neue lesbische Freundin ist. Wo hast du deinen kleinen Sexschlupf gelassen?“ Die Beschreibung ihrer Freundin amüsierte sie sichtbar. „Ist drin geblieben. Raucht nicht.“

      Noch immer etwas durch den Wind legte er seine Hände flach auf den hölzernen Tisch und schaute ihr direkt in die Augen. „Du darfst also ohne deinen bissigen Bewacher nach draußen?“ „Nun ich bin schon ein großes Mädchen, weißt du. Und eigentlich ist sie ganz harmlos. Was machst du hier so ganz alleine? Betrinkst dich und versprühst negative Laune?“ „Ja, das war so ziemlich mein Plan.“ „Du wirkst ziemlich deprimiert.“ Tim zündete sich in der Zwischenzeit seine nächste Zigarette an. „Was hast du da?“ Unter seinen Handflächen lagen noch immer die offen ausgebreiteten Papierseiten. „Sieht aus wie ein Zeitstrahl.“ Tim folgte ihrem Blick. „Gar nichts.“ Schnell nahm er das Papier, faltete es wieder zusammen und steckte es sich in die rechte Hosentasche. „Kommst du etwa direkt von der Arbeit? Waren das irgendwelche internen Notizen?“ Ihre Augen funkelten neugierig. Das Spiel mit ihm schien ihr zu gefallen. „Ich sagte doch, das ist nichts. Geht dich nichts an. Und wie kommst du darauf, dass ich eben von der Arbeit komme?“ Ihr Zeigefinger bewegte sich auf ihn gerichtet auf und ab. Tim verstand nicht ganz. „Was soll das denn bedeuten?“ „Na dein Anzug. Ich denke kaum, dass du in so `nem Aufzug normalerweise in ne Bar gehst. Hoffe ich zumindest mal für dich.“ „Ach so. Stimmt ja. Hab` ich ganz vergessen. Ja, du hast wohl recht. Hatte `nen langen Tag.“ „Dann solltest du vielleicht lieber nach Hause ins Bett gehn, als dich hier zu betrinken.“ Tim schüttelte nur den Kopf. „Wie heißt du eigentlich?“ „Tim!“ „Freut mich Tim. Ich heiße Johanna. Was machst du hier so alleine, Tim?“ „Ich versuch mich abzulenken.“ Mit seiner rechten Hand hielt er ihr sein Glas entgegen. „Verstehe. Deine Taktik ist also trinken, um zu vergessen? Und was versuchst du zu vergessen?“

      „Da bist du! Wieso dauert das denn solange? Ach, schau an, du hast den perversen Spanner aufgegabelt.“ Die Blondine lachte nur. Ihre kleine Freundin war zu ihnen gestoßen. Tim grinste sie breit an und winkte ihr über den Tisch zu. „Kommst du vielleicht wieder rein. Mir ist langweilig geworden.“ „Ja klar, ich komme. Kommst du mit Tim?“ „Ist das dein Ernst?“ Tim zog die Brauen hoch. „Ja wieso nicht. War doch nett. Ich will noch mehr von deinen selbstzerstörerischen Geschichten hören. Ich steh auf Drama.“ „Naja, weil ich irgendwie das Gefühl hab, dass Mike Tyson mir gleich ein Ohr abbeißen will.“ Mit einem tötend bösen Blick drehte sich die Kleine zu Tim um. „Siehst du? Gleich springt sie übern Tisch.“ „Ach was, jetzt komm schon. Sie ist wirklich ganz harmlos. Ihr werdet euch schon verstehen.“ „Gut!" Tim sprang auf und lief den beiden nach.

      Es dauerte nicht lange und die Kleine wirkte sehr gelangweilt. Die sexy Blondine und Tim verstanden sich gut und sie stand teilnahmslos neben ihnen. Mit einem kräftigen Schluck trank sie ihre Bierflasche aus und stellte sie mit einem heftigen Schwung auf die Bar zurück. „Vorsicht Prinzessin. Bei deiner inneren Wut zertrümmerst du noch die Bar.“ „Ach, fick dich einfach! Ich würde gerne gehen Schatz. Kommst du?“ „Nein wieso? Ich möchte noch bleiben. Ich war schon ewig nicht mehr aus. Und ich habe Spass. Geh doch du schon mal vor und ich komme spätestens in ein zwei Stunden nach. Ok?“ Tim bekam einen giftigen Blick zugeworfen. „Wenn du unbedingt meinst, du musst dich noch weiter mit dem perversen Macho vergnügen. Aber komm nicht erst morgen früh!“ „Mach dir doch keine Sorgen, Süsse. Ich möchte mich einfach noch ein bisschen weiter unterhalten.“ Ihre Freundin gab ihr einen provokativ leidenschaftlichen Abschiedskuss und nahm ihre Jacke. Tim gönnte sie zum Abschied ihren ausgestreckten Mittelfinger. „Och, ist das süß. Und ich hatte schon Angst, du willst mir gleich auch noch `nen Schmatzer aufdrücken.“ „Fick dich Penner.!“ „Alles klar, Hulk Hogan. Stoß dir nicht den Kopf beim Rauslaufen.“ Übertrieben freudig winkte Tim ihr zum Abschied nach.

      „Du bist echt unverschämt. Aber auch witzig.“ „Ohja, bitte mehr davon. Ich steh auf Komplimente. So bekommst du mich mit Sicherheit ins Bett. Und was machen wir einsamen Wölfe, jetzt wo Mike Tyson nach Hause ist?" „Lass uns raus gehn! Eine rauchen.“ „Dein Wille sei mir Befehl, oh Gnädigste.“ Er verbeugte sich und schnappte sein Glas.

      Dieses Mal setzte sich Johanna neben Tim auf die Bank. „Du scheinst ganz schön erschöpft zu sein. Musst wohl viel arbeiten?“ „Die letzten Wochen waren nicht gerade einfach. Eigentlich hasse ich momentan meinen Job. Vielleicht sollte ich einfach kündigen. Dann hat die Quälerei endlich ein Ende.“ „Ohje, du bist ja ein richtiger Jammerlappen, was?“ „Vielen Dank für die Analyse. Was machst du denn?“ „Ich bin Psychologin.“ „Wirklich? Da werd ich ja direkt feucht. Erzähl mir mehr! Ernsthaft, mir wächst direkt ein Ständer in meiner Hose.“ „Du bist widerlich.“ Aber es schien sie dennoch zu amüsieren. „Komm schon analysier mich. Treib mir den ganzen Schwachsinn aus, der mir die ganze Zeit im Hirn rum schwirrt. Bring mich zum Weinen.“ Sie grinsten sich an.

      „Wer ist sie?“

      „Wer ist wer?“

      „Die Frau?“ Johanna schaute ihn von dreißig Zentimeter Entfernung direkt mit ihren blau glänzenden Augen an.

      „Welche Frau? Was meinst du? Die da drüben?“ Indem er auf eine Frau in Ihrer Nähe zeigte, versuchte