Justine la Mour

Selfie


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an dem Aneinanderreiben von Haut, dem Saugen und Ziehen, dem Hin und Her der auf und ab wogenden Becken, ein mechanisches Bewegen, nur im Rausch erotischer Fantasien auszuhalten. Zu schnell erschöpft, das Interesse an Frauenkörpern, Seelen, Lebensläufen, die in Echtzeit langweilen.

      In der Erinnerung kaum Fundstücke, Bilder oder Beweise für den Genuss an der Liebe, eine fiebrig glänzende Stirn hier, ein nasser Slip da, Hunderte von Mails, die Begegnungen vorangingen und sie beendeten. Je länger die Mails, je größer die Sehnsucht, umso weniger Erfüllung bahnt sich an, die Sprache ersetzt die Lust, die Lust an der Sprache größer als die Lust am Körper. Körpersprache, was immer das ist, ein Widerspruch, Körper und Sprache scheinen zwei gegensätzliche Begriffe zu sein, das Fabulieren und das Experimentieren mit einem fremden Körper unvereinbar. Das eine nimmt die Zeit für das andere. Und was ihm die Zeit zum Schreiben nimmt, nimmt den Atem zum Leben. Wieder am Schreibtisch, mehr Vergnügen, sich mit Worten eine Figur zu erschaffen als mit Akribie am Körper einer Geliebten dahin zu schmelzen. In manchen Zeiten gelingt ihm der Absprung aus dem Alltag, er blendet aus, was stört, überlässt sich dem Fluss des Schreibens. Im Schwelgen in Worten und Sätzen findet er Ruhe, in Formulierungen, aneinandergereiht auf schönem Papier, er schreibt mit Füllfederhalter und blauer Tinte, setzt Bogen an Bogen und Buchstabe an Buchstabe bis er zuletzt das freie Flanieren durch die Landschaften der Sprache von selbst gelingt. Wenn das Schreiben ihn forttreibt wie andere das Laufen, gegen Schneestürme und Eisregen, gegen grelle Sonnenstrahlen, fallen ihm die Worte entgegen, ein Wirbel, in den sich ihr ganzes Wesen einschließt und er beginnt es zu lieben und sich darin aufzulösen, ausgelöscht der Weltschmerz. Die Erzählungen fließen nur so heraus aus ihm, er muss sich nicht bemühen, eine nach der anderen entspringt ihm, schreibt sich von selbst, macht keine Mühe. Nebenbei trinkt er Tee oder Kaffee, beantwortet Mails und schaut aus dem Fenster seines Arbeitszimmers, träumt vor sich hin. Seine Insel, seine Arbeitsinsel, sein Glück, ein Zimmer für sich allein. Das Klingeln des Telefons schreckt ihn aus seinen Gedanken, er lässt es läuten, will sich nicht ablenken lassen, morgens blendet er den Alltag aus. Er verfolgt die Tauben auf den Dächern, die vorüber ziehenden Wolken, die Äste der Bäume, die sich im Wind verbiegen. Aus der Ferne wirkt die Welt weniger bedrohlich, in der Dachterrassenwohnung lebt es sich wie im weißblauen Himmel gebettet, er umgibt ihn von allen Seiten und sein Erzähler kann seine Geschichten ohne Mühe zu Papier bringen. Die große Form liegt ihm nicht, der Roman, der unsägliche, der geschrieben werden soll, er schafft es nicht einen einzigen Tag ohne Unterbrechung an seinem Manuskript zu arbeiten. Justines Fragerei geht ihm im Kopf herum, ihre Stimme drängt sich auf, ein Ohrwurm: Warum willst du schreiben? Ich will nicht, ich muss. Was heißt das? Etwas staut sich auf in mir, eine Ansammlung von Geschichten, Eindrücken, wie ein Verarbeiten im Traum, eine Aufbereitung von Stoffen, ein Wiederkauen, ich konstruiere sie, ich beherrsche sie, sonst entgleitet mir mein Leben. Such´ dir irgendeine Arbeit, geh‚ morgens aus dem Haus… Wenn ich morgens rausgehe, kann ich nachmittags nicht mehr schreiben, die Leute, die Dinge lenken mich ab, wie sie sprechen, wie sie aussehen, das halte ich nicht aus. Ich ertrage ihre Floskeln nicht, diese Allgemeinplätze, diese Formulierungen, alle reden dasselbe, Sprachmüll, Gerede, Textfragmente fallen aus ihren Mündern. Du kannst nicht leben, das ist dein Problem, du suchst einen Ersatz, du ziehst dich zurück in deine Schreibwelt. Ich lebe, indem ich schreibe. Diese Gespräche mit Justine, immer wieder und wieder ein Kreisen um etwas, ein Refrain, die ewiggleichen Sätze drehen sich schneller und schneller, ein Farbenkarussel. Zuletzt mündet alles in einem Weiß, das sich vor ihm aufbaut wie eine undurchdringliche Wand.

      Charlotte

      Sie liegt in einem Dämmerschlaf zwischen Himmel und Erde, nicht ganz schlafend, noch nicht wach und sieht Leonardos Locken vor sich, schwarze schimmernde Locken, in denen Justines Hand sich vergreift, sein Kopf in ihrem Schoß. Wo hat sie das gesehen? Davor schiebt sich ein anderes Bild. Das Haar ihres Vaters weich und ausgedünnt, sie streicht ihm über den Kopf, es fühlt sich an wie der Pflaum eines Babies. Er ist nicht da, Leonardo ist da. Tagsüber in seinem Arbeitszimmer tippt er Buchstaben in den Computer, sein Körper sitzt dort, er selbst ist anderswo in Gedankenwelten unterwegs. Ein Sirren und Klappern dringt durch die Türritzen, unterbrochen von Pausen, in denen eine Stille sich endlos dehnt. Blass, den Blick in eine weite Ferne gerichtet, stellt er Fragen wie auswendig gelernt. Hast du Hunger? Willst du etwas essen? Trinken? Nein, nein. Sie schleicht sich vorbei ins Kinderzimmer. Allein sein, aus dem Fenster träumen, der Garten unter ihr, Herbstlaub, Schneeflocken, Apfelblüte, Sommerrasen. Auf Apfelblüte, Herbstlaub, Schneeflocken und Sommerrasen kann sie sich verlassen. Der Lärm der Kita, der in ihren Ohren nachhallt schwächt sich ab, die Stimmen versiegen, die Stille des frühen Abends umhüllt sie. Er gefällt ihr nicht, er muss ihr gefallen, er gefällt ihr nicht. Es soll ihr gefallen, der Liebhaber ihrer Mutter, der Mann, der bei ihnen lebt, der dunkelgelockte Fremde. Das Leuchten in Leonardos Augen, Blitze zucken auf wie Feuerwerkskörper und verlöschen. Sie lauscht an seiner Zimmertür wenn das Tippen unterbrochen ist, er telefoniert. Ein Lachen, das sie nur von Stimmen der Bösen aus Hörspielaufnahmen kennt, ein schallendes, hallendes, metallisches Lachen, endlos gedehnt. Sie hört ihn telefonieren, seine Stimme selbstsicher, sein Lachen fremd, ein Telefonlachen, lange und laut, künstlich und scheppernd als lache er jemanden aus, Mä ze nin, Mä ze nin. Mäzenin. Meine Mäzenin. Und wieder dieses Wort: Mäzenin. Klingt wie Kaiserin oder Fürstin oder Mätresse.

      Wer nicht fragt, bleibt dumm. Mama, was ist der Unterschied zwischen Mäzenin und Mätresse? Justines blasses abendliches Gesicht fällt in sich zusammen, stürzt ein, ein Altersschub, die Zeit zusammengezurrt, in die Zukunft gebeamt. Leonardo dreht sich zur Seite, um die Mundwinkel zuckt es als bemühe er sich, ein Lachen zu unterdrücken. Eher als vermutet fasst sie sich wieder, die Stirn glättet sich, ihre Stimme fängt sich nach den ersten Worten und endet in einem festen Ton. Erkläre ich dir später. Sie läuft ins Bad, lange rauscht Badewasser, noch länger schließt sie sich ein, als sie die Tür wieder öffnet sind ihre Augenlider geschwollen und das Gesicht rötlich aufgedunsen. Vielleicht bedeutet Mäzenin doch so etwas wie Mätresse, aber Leonardo ist kein Fürst, kein König, kein Herrscher, wie sollte er sich eine Mätresse leisten können? Mäzenin, Mätresse, sie muss das herausfinden, der Klang des Wortes erinnert sie an etwas. Versailles, Paris, Versailles, Hand in Hand mit ihrer Mutter, ihre erste Reise zu zweit.

      Ludwig der XIV, der Sonnenkönig mit seinen Mätressen am Hof in Frankreich, einen Tag nach Leonardos Einzug, ihre Reise mit Justine. Was für ein schöner Park! Sie flanieren im verregneten französischen Frühling auf aufgeweichten Kieswegen, ein Sumpfgebiet, in dem jeder Schritt einsinkt. Sie trägt ein Kleid mit hellblauen Streublümchen, weiße Lackschuhe und eine Handtasche aus weißem Kunstleder über die Schulter drapiert. Mit den Schuhen wagt sie es kaum abseits der Wege aufzutreten, um keine Schlammspritzer zu riskieren. Im Schloss laufen sie zwischen Reisegruppen hindurch, schlängeln sich durch Sprachengewirr und blitzende Kameras bis sie in die Unendlichkeit gespiegelter Spiegel fallen. Liegt es an den gespiegelten Unendlichkeiten, an der Überfülle aus Gold und Glanz oder an der Luft, die in dicken Schwaden wie Nebel vorüberzieht, sie hechelt, muss sich an der Wand abstützen, um nicht zu fallen.

      Ein Blick aus dem Fenster auf die Gartenanlage, sie atmet durch, sie schließt die Augen. Wie wäre es, Marie Antoinette zu sein, die Frau Ludwigs des XVI, am Latona Springbrunnen mit goldenen Fröschen zu sitzen und in die endlose Weite der Parkanlagen zu schauen? Endlose Nachmittage vergehen und nichts geschieht außer dem Plätschern der Springbrunnen und dem Rauschen des Windes, der durch Baumkronen streicht, einige Gesellschafterinnen fächern ihr Kühle zu, man plaudert bis ein Teewagen kommt und Petit Fours mit rosarotem Zuckerguss serviert werden. Als die Sonne versinkt, der Himmel sich violett in Streifen verfärbt und der Fliederduft einer herben Abendnote weicht fährt eine Kutsche vor und bringt sie zu ihren Gemächern. Noch immer hält der Schwindel sie gefangen, je länger sie aus dem Fenster sieht, umso unwirklicher wird ihr eigenes Leben, umso mehr verschwimmt es mit dem, was sie träumt. Diese weißen Kieswege, scheinbar ins Nichts führend, sternenförmig angeordnet wie die Straßen von Paris. Vielleicht gehört sie gar nicht in die Gegenwart, sondern in eine andere Zeit als Prinzen, Prinzessinnen, Könige und Mätressen noch über Schlösserflure mit dicken Geräusche schluckenden Teppichen liefen, in Gartenanlagen flanierten und Kuchen aßen statt Brot während ihre Bediensteten sich beeilten ihre Wünsche von den Augen abzulesen noch ehe