Justine la Mour

Selfie


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machst du? Sie macht den Anfang, wer hätte das gedacht! Er muss entspannt bleiben, locker, trocken antworten. Ich schreibe. Wie bitte? Ich schreibe, wiederholt er ruhig im selben dunklen Tonfall. Du bist Journalist? Nein. Was schreibst du denn? Geschichten. Kurzgeschichten. Und davon kannst du leben? Er lächelt ein breites, schönes Lächeln, seine Lippen sind feucht, sein Blick schweift umher. Auf diese Frage antworte ich schon lange nicht mehr. Google einfach meinen Namen, dann siehst du wer ich bin. Sie lächelt. Er sieht hinter ihrer Stirn, was sie denkt. So einer ist er, ein armer Poet, ein einsamer Schreiberling auf einem Gemälde von Carl Spitzweg, ein geborener Dichter, ein Held der Kunst. Sie betrachtet seine dunklen schimmernden Locken und die feuchten Lippen, an denen ein Rest Milchschaum hängengeblieben ist. War seine Stimme zu dominant, der Ton arrogant? Er spürt wie sie überlegt umzudrehen, die Richtung zu wechseln bevor es zu spät ist, ihn zu verlassen, tritt aber noch auf der Stelle, zögert. Etwas in ihren Augen leuchtet auf wie eine Erkenntnis, ein Wiedererkennen, Sicherkennen als wären sie einander schon einmal begegnet. Ist es sein Äußeres, das Geschniegelte, Gedrechselte, auf das er immer achtet sobald er die Wohnung verlässt? Zu seiner Jeans trägt er ein graues Hemd, darüber, trotz des warmen Wetters, ein hellgrünes Samtjackett auf dem über der Brusttasche der Name des Designers eingestickt ist. Seine schwarzen Lackschuhe laufen spitz zu und glänzen. Würde er den Arm heben und sie genau hinschauen, könnte sie vielleicht seine abgeschabten Hemdsärmel entdecken, so aber bleiben sie vom Jackett verdeckt. Er beobachtet wie sie mit sich ringt, sieht es an der Bewegung ihrer Augen, der Unruhe, die durch ihren Körper geht, ein Zittern wie in großer Erwartung.

      Komm´ zu uns. Ich wünsche mir wieder eine Familie. Leonardo lächelt. Wie heißt du? Justine. Justine, das erinnert ihn an etwas, Marquis de Sade hatte eine Gespielin mit diesem Namen. Justine? Ja, Justine. Er kennt sich aus mit diesen Frauen, kennt sie besser als sie sich selbst. Riesinnen mit breitem Kreuz, großen Füßen und signalrotem Dauerlächeln. Wie sie Karriere mit Emanzipation verwechseln und Mutterwerden mit Selbstverwirklichung und beides zusammen mit einem gelungenen Leben. In ihren enganliegenden Kostümen, geschminkt, gelackt, gestriegelt, mit sorgfältig frisiertem Haar fallen sie in ihre Rollen und am Ende liegen sie doch wimmernd zu seinen Füßen, um eine andere zu sein, sich fallen zu lassen, schwach zu werden. Er saugt sie aus, lässt sie als flatternde Hülle zurück, dünne Papierhaut mit bläulich schimmernden Adern, die hervorstechen, große runde Augen, hungernd nach Liebe. Und es ist nicht sein Wunsch, sie zu verführen, es ist ihr eigener Befehl.

      Als er seine Bücher und den Laptop einpackt, den Lieferwagen für seine Matratze bestellt, hat er die Zeit vor ihrer Begegnung beinahe vergessen, sie zerfällt in bunte Puzzleteile und löst sich auf. Es ist ein Umswitchen, ein Klick in eine andere Welt, ein neues Leben, und schon ist er da, lindgrüne Bäume, kleine Cafés, lächelnde Studentinnen. Hochhäuser und bunt durcheinander gewürfelte Schirme auf Balkonen sind verschwunden, bellende und streunende Hunde, dunkle Hintereingänge aus der Erinnerung vertrieben. Wie ein Müllschlucker saugt die Gegenwart die Bilder der Vergangenheit auf und lässt sie im Abgrund verschwinden.

      Jetzt nur noch diesen Sonntag überstehen, die Umzugskartons in ihre Wohnung schaffen und den Vater ihres Kindes meiden. Das hat sie ihm verschwiegen, ihr Mann, der Vater ihres Kindes wohnt noch bei ihr. Wie kommt sie dazu den einen ein –und den anderen ausziehen zu lassen an einem Wochenende? Was hat sie sich dabei gedacht? Ein Männerumtausch, Väterumtausch mit begrenztem logistischem Aufwand? Umzugskartons und Männer wechseln die Orte. Die gleichen Kartons, dieselbe Firma, der Schriftzug, sogar die Größe identisch. Müssen wir aufpassen, dass wir sie nicht verwechseln. Blick nach unten, die Neugierde lässt sich nicht fesseln, nur ein einziger Blick, einen Blick muss er doch riskieren, er hebt den Kopf und sieht eine Halbglatze mit feinen hellgrauen und weißen Härchen, da hebt der andere den Kopf: Hallo, Jean, ich bin Jean, der Vater von Charlotte. Himmelblaue Augen mit zwei schwarzen Flecken, kleine Einsprengsel, eine sanfte Stimme, die über ihn hinweg gleitet und ein freundliches Echo in seinen Ohren hinterlässt. Wie kann man so einen Mann verlassen, denkt er, aber nein, was für ein Gedanke, weg damit. Sie will es so, es hat sich so ergeben. Halbglatze gegen Lockenschopf, sanfte dunkle Stimme gegen bestimmende helle, achtundvierzig Männerjahre gegen neununddreißig.

      Auge in Auge, eine Mischung aus Stolz und Angst , es könnte etwas geschehen, einer von beiden handgreiflich werden wie früher beim Duell, die Frau als Liebesobjekt, doch nein, ein kurzes Zucken, fast gleichgültig, dann tragen sie die Umzugskartons aneinander vorbei, der eine raus, der andere rein in ihr Leben. Oder soll er es sich nochmal anders überlegen? Wieder zurück in sein stilles Apartment, seine kleine heile Schriftstellerwelt? Als er in die himmelblauen Augen schaut zieht der Gedanke gleich mehrfach wie ein Werbebanner vor einem Zeppelin durch seine Gehirnwindungen. Immer wieder flattert er auf, schwebt hindurch, macht sich breit, nicht zu übersehen, nicht zu überhören, vor seinen Augen weht das Werbebanner: Zurück! Da ist die Schwelle schon längst überschritten, der Umzugskarton steht im sonnendurchfluteten Wohnzimmer, willkommen strahlt Justine, herzlich willkommen. Sie läuft mit offenen Armen auf ihn zu, drängt sich an ihn, er hält ihrem Überschwang kaum stand, sie umschließt seinen Körper fest bis die Rippen schmerzen. Wie riesig sie ist, nur wenige Zentimeter überragt er sie, ihr Kreuz breit und stark, das lockige lange Haar struppig vom Kopf abstehend, ein knallroter lachender Mund.

      Alles verändert sich und doch verändert sich nichts. Einen Tag später fliegt sie mit ihrer Tochter nach Paris, einen Tag später sitzt er vor seinem Computerbildschirm und starrt auf schwarze Buchstaben auf gelblichweißem Hintergrund, einen Tag später ist alles, wie es war. Er vergisst seine Umgebung, seinen Umzug, seine neue Familie und taucht ein in die Welt seiner Figuren.

      Charlotte

      Der Zauber des Anfangs steckt noch in den Knochen. Das Dauerlächeln beginnt schmaler zu werden, aber es steht noch Morgen für Morgen auf den Gesichtern. Charlottes Augen leuchten, liebäugeln mit Leonardo am Frühstückstisch wie mit einem Geschenk unter dem Weihnachtsbaum, das ausgepackt werden muss. Silbriges Papier raschelt, Sterne blinken, goldene Schleifen kräuseln sich. Er kauft Blaubeeren zum Frühstück und sie angelt in der Müslischüssel nach den runden kleinen Bällchen, die ihr immer wieder vom Löffel fallen. Ihr schneeweißes Kleid hat am Kragen und an den Armsäumen Spitzen wie ein Hochzeitskleid. Sie verwendet große Mühe darauf, es nicht mit Blaubeeren zu beschmieren, nur die Zähne färben sich dunkel und an den Fingerspitzen kleben kleine Flecken. Eines Tages heiraten in Weiß, eines Tages Prinzessin sein und in einem Schloss wohnen. Charlotte träumt und wünscht und hofft und lacht und wenn Justines Augen zucken oder die Mundwinkel nach unten fallen prustet sie los. Es ist ein Lachen, das leicht kippen, in einem Weinen oder Schluchzen enden kann.

      Die Tage sind lang. Lange Tage, lange Wochen, lange Jahre zieht sich der Kindheitsalltag hin. Nächtliche Träume sprühen Farbe, helle Funken, in den grauen Morgen hinüber gerettet. Das frühe Aufstehen scheucht sie auf aus ihrer rosaroten Prinzessinnenwelt, sie schlüpft in Kaschmirpullover mit riesigen Herzen auf der Brust, sie lackiert ihre Nägel zartrosé, sie trägt Ballerinas im Sommer und weiße Fellstiefel im Winter. Wenn Leonardo sie aus der Kita abholt schlurfen ihre Füße über den Asphalt, sie sehnt sich nach Süßigkeiten, weiße Mäuse aus weicher Gummimasse, die sich zwischen den Zähnen herausziehen lässt, Lakritz in schwarzpink oder grünpink, saure Pommes mit Zucker bestreut. Müdigkeit breitet sich aus nach all den Stunden spielen, tanzen, singen, essen, trinken, reden und drückt schwer, flüssiges Blei in ihren Adern. Alles zieht nach unten, tief in den Boden hinein, der sich auftut und sie fast verschlingt. Mit Leonardos Einzug hat Justine ihre Chauffeurdienste eingestellt. Keine weichen Ledersitze, kein pfeilschneller Wagen mehr, stattdessen ein mühsames hin –und her morgens und abends.

      Ihre Augen bleiben auf dem dunklen Pflaster haften, sie versucht, keine Abgrenzung zu betreten, nur die Platten berühren, keine Zwischenräume, so kann ihr nichts passieren. Ohne traurig zu sein muss sie manchmal weinen, es ist zu viel, jeden Tag zu viel, zu viele Kinder, zu viel Spaß, zu viel Lernen, zu viel von allem. Aus den Augenwinkeln quillt eine Träne, zwei, es werden mehr, sie weiß nicht warum, es beruhigt sie. Ein Fließen wie ein Bachstrom, ruhig und regelmäßig, ein Rhythmus. Langsamer gehen, bitte. Leonardo nimmt ihre Hand und zieht sie weiter zum Kiosk. Ein Eis? Kaktuseis, ja! Es knackt und knirscht an den Schneidezähnen als sie hinein beißt in den lindgrünen