A.E. Eiserlo

Fanrea Band 2


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Tatsächlich wollte er unbedingt mit Henk van Vaal sprechen.

      Es hatte einige Überredungskünste gebraucht, aber schließlich stimmte seine Mutter zu. Ben hatte sich in die Idee verrannt, dass dieser Henk gar nicht verrückt, sondern, wie er selbst, in einer anderen Welt gelandet war. Seine irren Geschichten waren keine Hirngespinste, sondern Wirklichkeit. Henks Beschreibung der eiskalten, aber wunderschönen Hexe konnte nur auf eine passen: Xaria!

      „Wie ist Henk denn drauf zur Zeit?“, bemühte sich Ben, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken.

      „Es läuft langsam besser mit ihm, wir konnten die Medikamente reduzieren und er ist viel ruhiger geworden. Vergangene Woche hatte ich ein längeres Gespräch mit ihm, in dem er mich bat, ihm weniger Pillen zu geben, weil er nicht daran kaputt gehen wollte. Und weißt du was? Ich habe mich tatsächlich darauf eingelassen und seither wirkt er auf mich fast normal. Nur deshalb konnte ich deiner Bitte nachkommen und dich zu ihm lassen, was grundsätzlich verboten ist. Damit du Bescheid weißt: Ich habe gesagt, dass du ein Referat für die Schule schreibst und eventuell bei uns ein Praktikum machen möchtest.“

      Entsetzt verdrehte Ben die Augen und meuterte: „Das werde ich ganz bestimmt niemals machen. Den ganzen Tag mit irgendwelchen Bekloppten.“

      „Ben!“, stieß seine Mutter entsetzt hervor. „Das sind keine Bekloppten! Ich verbiete dir diese Ausdrucksweise.“

      „Entschuldige, tut mir leid“, nuschelte ihr Sohn. Seine Bezeichnung war tatsächlich mies gewesen, aber es war ihm einfach so herausgerutscht.

      Nach der Ankunft in der Klinik musste Ben die übliche Prozedur an der Pforte über sich ergehen lassen. Seine Mutter hatte ihn inständig gebeten, Henk nicht nach seinen Wahnvorstellungen zu fragen, aber genau das war der Grund, weshalb Ben mit ihm sprechen musste.

      Ein langer, trostloser Gang erwartete sie, Ben hörte irgendwann auf, die Zimmertüren zu zählen, an denen sie vorbei kamen. Aus einigen Zimmern drangen Schreie, Stöhnen oder unartikulierte Laute und Ben schüttelte sich. Der sterile Geruch nach Desinfektionsmitteln war so intensiv, dass Ben durch den Mund atmete.

      Schließlich standen sie vor Henks Zimmertür, automatisch schaute Nora durch das kleine, runde Fenster und murmelte: „Ach, er sitzt am Fenster.“

      Nora klopfte an, öffnete die Tür und trat ein. Angespannt folgte Ben ihr und atmete tief ein und aus, um seine Anspannung zu lösen. Während seine Mutter Henk begrüßte, betrachtete Ben das karge Zimmer. Er war auf einiges gefasst gewesen, doch das hier war noch trostloser als in seiner Vorstellung: Ein Krankenhausstahlbett, ein Stuhl mit einem kleinen Tisch, ein Schrank, das war`s.

      Verschreckt musterte Henk die Neuankömmlinge und wagte dann ein zögerliches Lächeln als er Nora erkannte, die nur kurz bei ihnen blieb, da sie zu einem anderen Patienten gerufen wurde. Endlich war Ben mit Henk van Vaal allein.

      „Deine Mutter ist die Einzige, der ich hier halbwegs vertraue“, murmelte Henk.

      „Ich denke, ich würde in dieser Anstalt auch niemandem vertrauen. Aber meine Mutter ist schon okay“, antwortete Ben vorsichtig. Wie sollte er ihm nur klar machen, warum er eigentlich hier war?

      „Warum wolltest du mit mir sprechen?“, fragte Henk ganz unverblümt. Verunsichert überlegte Ben, ob er einfach mit der Wahrheit herausplatzen durfte oder ob er damit eine monatelange Therapie kaputt machte.

      „Komm, sag schon. Weshalb bist du hier? Ich bin nicht so verrückt, wie alle meinen. Du kannst ganz offen mit mir reden. Oder ist das nur ein verdeckter Test deiner Mutter, ob ich wirklich geheilt bin?“

      Ben fühlte sich immer unwohler, es war dumm gewesen, ohne Plan hierhin zu kommen und er wünschte, Emma wäre bei ihm. Er entschloss sich, bei der Wahrheit zu bleiben und sein Anliegen offen vorzutragen.

      Mit gemischten Gefühlen betrachtete Ben sein Gegenüber und sah diesen Mann im mittleren Alter vor sich, dessen Leben von einer durchtriebenen Hexe zerstört worden war. Henk hatte ein nettes Gesicht mit lieben Augen, in denen aber auch tiefer Schmerz eingegraben war und Ben wollte ihm gern helfen. Er gab sich einen Ruck: „Henk, ich weiß nicht, ob es gut ist, dass ich mit diesem Thema anfange und meine Mutter würde ausrasten, wenn sie wüsste, worüber ich mit Ihnen rede, aber ich muss es einfach tun. Ich glaube Ihnen ihre Geschichte.“

      In grenzenloser Panik weiteten sich Henks Augen, er knetete nervös seine Hände und Schweiß trat auf seine Stirn. Gequält stöhnte er: „Nein, bitte nicht darüber reden. Ich möchte das abschließen, wieder ein normales Leben führen, ich will mein Leben zurück.“ Seine Stimme erstarb, seine Hände verkrampften sich ineinander und er wiegte den Oberkörper vor und zurück.

      Schließlich schluchzte er: „Ich muss hier raus, ich ertrage diese nächtelangen Schreie nicht mehr, die Zwangsjacken und Gummizellen*, die vielen Pillen und die Gewaltanwendung. Ich kann nicht mehr, sonst werde ich wirklich irgendwann wahnsinnig.“ Mit glasigem Blick starrte er geradeaus und schwieg.

      Ben war völlig überfordert und bereute, dass er hierhin gekommen war. Er hatte alles vermasselt.

      Plötzlich packte Henk wütend Bens Hand und drückte schmerzhaft zu: „Wer bist du und was willst du von mir? Lüg nicht herum! Der Leiter hat dich mir auf den Hals gehetzt oder diese Hexe! Was will sie von mir?“ Sein Griff verstärkte sich.

      Zunächst saß Ben wie erstarrt da, aber dann wurde er wütend. Hitze schoss in seinen Bauch und flutete von dort aus seinen gesamten Körper, er schüttelte die Hand ab, sprang auf und rief energisch: „Sie tun mir weh!“

      Erschrocken ließ Henk von ihm ab und begann zu zittern. „Bitte tu mir nichts, ich will keine Medikamente und ich will keine Angst mehr haben.“ Er schluchzte und Tränen strömten seine Wangen entlang.

      Ben verzweifelte, alles lief falsch. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und ein muskelbepackter Wärter mit Gummiknüppel kam herein. Aus eiskalten Augen musterte er Henk und spielte nervös mit seinem Schlagstock:

      „Na, Henk, wieder einer deiner Tobsuchtsanfälle? Gummizelle oder Spritze?“, spottete er und lächelte bösartig.

      Pures Entsetzen stieg in Ben hoch und er wandte sich an den Wärter: „Nichts davon. Es ist alles in Ordnung. Sie können wieder gehen.“

      Der Wärter stutzte und räusperte sich verunsichert, er war es nicht gewohnt, dass Jugendliche so mit ihm sprachen. Da erhob Ben sich und sah dem Wärter direkt in die Augen, es war ein Kräftemessen der besonderen Art. Die Brutalität des Wächters prallte auf Bens Magie, die Luft knisterte und die Situation drohte zu eskalieren. Schließlich zwang etwas in Bens Blick diesen Typen, wegzuschauen und das Zimmer zu verlassen. Ben war erleichtert, das war äußerst knapp gewesen. Vor seinem Aufenthalt in Fanrea wäre es ihm nicht gelungen, einen so gewalttätigen Kerl nur mit seinem Blick zu bezwingen.

      Leise weinte Henk vor sich hin, er ertrank fast in seiner Angst. Ben fühlte mit ihm, aber so kamen sie nicht weiter. Ungeduldig wandte er sich um und sprach den wimmernden Mann energisch an: „Henk, hören Sie auf zu weinen. Das hilft Ihnen auch nicht. Wenn Sie sich jetzt zusammenreißen, kann ich Ihnen vielleicht helfen. Bitte!“

      Henk rieb sich die Tränen weg, straffte den Rücken und flüsterte verstört: „Ich bin nur noch ein menschliches Wrack. Und ich schäme mich, so ein Jammerlappen zu sein. Die haben mir meine Würde genommen und meine Selbstachtung. Erst diese Hexe mit ihrer Folter und ihren Demütigungen und dann das hier. Ich wünschte, ich wäre tot.“

      Der Mann tat Ben unendlich leid und eine Welle von Mitgefühl überflutete ihn. „Ich hole sie hier raus, das verspreche ich Ihnen. Aber Sie müssen mir die Wahrheit sagen.“

      Mühsam beherrschte sich Henk: „In Ordnung. Was möchtest du wissen?“

      „Kennen Sie jemanden, der Xaria heißt?“

      Das blanke Entsetzen spiegelte sich in Henks Augen und er konnte nur nicken.

      „Sind Sie auf Hydraxia gewesen?“

      Erneutes Nicken.

      „Okay,