Annalies A. Beck

Nachhaltig wirksame Kollaboration in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit


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„ob die beobachteten Effekte wirklich auf die EZ zurückzuführen sind und warum [...], spricht für die Durchführung von Projekt-, Programm- und Sektorevaluationen“ (Stockmann, 2016: 578). Dies führte in den letzten Jahren zu einem regelrechten „Boom an Evaluationen“ (ders., 2016: 612). Dabei wird es als problematisch wahrgenommen, dass finanzielle Mittel bei EZ-Projekten eher in die Gestaltung der Leistung fließen als in die Verwaltung, was die Evaluation miteinschließt (vgl. ders., 2016: 551). Stockmann (2016: 564) macht darauf aufmerksam, Evaluationsberichte mit Vorsicht zu beurteilen: „Unsystematisch aneinandergereihte Defizitschilderungen mögen zu anregenden Diskussionen führen, taugen jedoch nicht als empirische Basis, um die (Un)Wirksamkeit der EZ oder wenigstens von Programmen [...] zu belegen.“ Seiner (ders., 2013: 541) Meinung nach „weist die Evaluation in der EZ eine Reihe von Defiziten auf, die ihren potenziellen Nutzen einschränkt“. Dementsprechend weist ders. (vgl. 2016: 596) darauf hin, dass die Durchführung einer Evaluation keinesfalls zum Selbstzweck werden darf. Somit muss eben gar nicht „jedes Projekt oder Programm [...] einer Wirkungsanalyse unterzogen werden“; vielmehr sollte das „zu erwartende Lernpotenzial“ (ebd.) das Hauptargument sein. Nuscheler (2008: 11) meint hierzu:

      „Es ist schwierig, die Wirksamkeit der EZ zu messen, weil sie mit einem viel‐dimensionalen Zielsystem operiert [...] Es liegt also weder an dem aus langer Erfahrung gespeisten Wissen, wo die Probleme liegen und was EZ leisten soll, noch am Mangel an Daten, dass die umfangreiche und aufwendige Evaluationspraxis, die schon große Archive füllt, die Zweifel an der Wirksamkeit der EZ nicht beseitigen konnte. Es besteht kein Mangel an Evaluierung, sondern ein Mangel an Transparenz.“

      Stockmann (2013: 544) stellt fest, dass Evaluationsberichte „häufig nur von den Projekt- und Programmbeteiligten“ zur Kenntnis genommen werden, was „darüber hinaus gehende[n] Lernprozesse“ (ebd.) verhindert.

      „Dabei zeigt sich kein Unterschied zwischen staatlichen und nicht-staatlichen, großen oder kleinen EZ-Organisationen; um die inter-institutionellen Lernprozesse ist es nicht weitaus schlechter bestellt, da die meisten Organisationen ihre Evaluationsberichte der Öffentlichkeit vorenthalten und damit einer Nutzung sowie Relevanz- und Qualitätsprüfung entziehen.“ (ebd.)

      Ehlers & Wolff (2008: 695) geben zu denken, dass „Lernen im EZ-Sektor als Lernen einzelner Organisationen wie als Sektorlernen [...] offensichtlich ein komplizierter, nuancenreicher Prozess [ist], der kaum selbstverständlich erkennbaren und ohne weiteres konsensfähigen Zielen folgen dürfte“. Trotz des vorhandenen Diskussionspotenzials zu Ergebnisüberprüfungen der EZ sind Wirkungsevaluationen auch in der Wissenschaft bisher kaum auffindbar (vgl. Stockmann, 2016: 585).

      Dieses Dilemma, mit dem sich die EZ auseinandersetzen muss, wirft die Frage auf, welchen Einfluss der Fortschritt der Digitalisierung und neue Technologien haben. Das BMZ stellt bereits 2013 (S. 13) in einem Bericht zu Schlüsseltechnologien fest, dass IKT einen „wichtigen Beitrag [leisten], um die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen.“{31}.

      Gerade aufgrund der auch innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte hohen Anzahl gescheiterter Entwicklungsprojekte und -initiativen (vgl. IEG, 2011; Dodson et al, 2013; vgl. Baduza & Khene, 2015; vgl. Sanner/Nielsen, 2018) erscheint es notwendig, die Ursachenforschung voranzutreiben.

      Diskussionen um die Frage der nachhaltigen Wirksamkeit und zu den möglichen Ursachen für das Scheitern von Entwicklungsmaßnahmen finden sich u. a. bei Moyo (vgl. 2011), Dedrick & Sharma (vgl. 2007), Heeks (vgl. 2012), Holtz (vgl. 2000), James (vgl. 2009), Kleine et al. (vgl. 2014), Nuscheler (vgl. 2008), Santiago et al. (vgl. 2012), Waweru (vgl. 2013), Yonazi (vgl. 2011) und Stockman (vgl. 2016). Mehrfach werden die „ungleiche Verteilung von Macht und Ressourcen [...], die inhärente Asymmetrie der ‚Entwicklungshilfe‘“ (Gomes et al., 2001: 2) und die Auswirkungen des „white savior complex“{32} für das Scheitern von EZ-Projekten verantwortlich gemacht. Längst wurde erkannt, dass langfristige Entwicklungsfortschritte nur erreicht werden können, wenn es gelingt, „Betroffene zu Beteiligten“ (v. Ameln, 2006: 87) zu machen und vielmehr „Hilfe zur Selbsthilfe“ (Holtz, 2000) zu leisten. Dennoch wird immer wieder von zahlreichen Entwicklungsmaßnahmen berichtet, die ihr eigentliches Ziel, Partizipation und nachhaltige Wirksamkeit, verfehlen.{33} Daneben greift Mefalopulos (2008: 8) auch den Aspekt der Kommunikation zwischen Projektverantwortlichen und Anspruchsgruppen auf, die die Qualität einer Entwicklungsmaßnahme maßgeblich beeinflussen kann: „The history of development has included failures and disappointments, many of which have been ascribed to two major intertwined factors: lack of participation and failure to use effective communication.“{34}

      Es stellt sich die Frage der Berücksichtigung entscheidender Rahmenbedingungen. Nguyen (2016: 71) vermisst im Rahmen der internationalen EZ eine ausführliche Diskussion zur „kulturellen Bedingtheit von Entwicklungszielen, -vorgaben und -methoden“. Stockmann (2016: 450) konkretisiert diese Feststellung und merkt an, dass die „Kontextbedingungen der einzelnen Länder und ihre Entwicklungsniveaus ausschlaggebend dafür sein müssen, wie Entwicklung vorangetrieben und welche Konzepte eingesetzt werden“.{35} Fraglich ist, inwiefern sich die nachhaltige Wirksamkeit von Entwicklungsmaßnahmen vor dem Hintergrund neuer „Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Vernetzung“ (Gimpel, 2018: 61) verändert. In diesem Zusammenhang gilt es auch die Thesen von Wang & Bar (vgl. 2015), Reilly (vgl. 2010), Loudon & Rivett (vgl. 2011) und Smith et al. (vgl. 2011) zur „Open Development{36}“-Bewegung einzubeziehen, die den Einfluss eines offenen Umgangs mit EZ-projektspezifischem Wissen diskutieren. Grundsätzlich bedarf es eines umfassenden Wissens, um den komplexen Anforderungen entwicklungsschwacher Regionen gerecht zu werden, was auch Haas & Schwaab (2013: 243) betonen:

      „Wissen ist entwicklungspolitisch zum Schlüsselbegriff geworden. Er gewinnt als Produktionsfaktor{37} neben Arbeit, Kapital und Boden stark an Bedeutung [...] Wo Wissen fehlt, so die gängige Hypothese, bleibt Entwicklung eingeschränkt.“

      V. Guretzky (2001) geht noch einen Schritt weiter und merkt an, dass EZ „im wesentlichen aus Wissenstransfer“ besteht. Diese Annahme erfordert wiederum zunächst eine Auseinandersetzung mit einer Deutung des Wissensbegriffs in Organisationen, die mit der Umsetzung von Entwicklungsprojekten betraut werden. Das folgende Teilkapitel bietet hierzu einen grundlegenden Überblick über die Organisation von Entwicklungsmaßnahmen, indem sowohl die beteiligten Akteure, deren Beziehungen zueinander sowie deren Umgang mit Wissen beschrieben wird.

      2.1.3 Besonderheiten von Entwicklungsprojekten aus handlungstheoretischer Sicht

      Im Folgenden wird erläutert, worin sich die Zusammenarbeit im Rahmen von Entwicklungsprojekten grundsätzlich manifestiert. Die empirische Untersuchung der Bedingungen der intra- und interorganisationalen Kollaboration setzt die Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses für das jeweilige Handeln der an der Zusammenarbeit beteiligten Akteure voraus. Dies legt zunächst eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Handlung nahe.

      In Anlehnung an die arbeitspsychologische Handlungstheorie (vgl. u. a. Hacker, 1978) und insbesondere Volperts (vgl. 1974) Begriffsdefinition folgend, soll ein solches Handeln von Entwicklungsprojektbeteiligten als bewusstes, zielgerichtetes Verhalten verstanden werden. Um Handlungen bzw. menschliches Verhalten zu differenzieren, schlägt Rasmussen (vgl. 1983) drei Kategorien vor: Er unterscheidet zwischen fertigkeitenbasiertem Handeln („skill-based behaviour“), regelbasiertem Handeln („rule-based behaviour“) und wissensbasiertem Handeln („knowledge-based behaviour“; s. Abb. 6).

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      Abbildung 6: Fähigkeiten, Regeln und Wissen als Handlungsdeterminanten nach Rasmussen (1983)

      (eigene Darstellung)

      Akteure handeln entsprechend ihrer Fähigkeiten fertigkeitenbasiert, wenn sie unbewusst oder automatisiert Aufgaben erledigen (vgl. Rasmussen, 1983: 257). Regelbasiertes Handeln ist zu beobachten, wenn die Aktivität eines Akteurs mit einer gezielten Anweisung und/ oder Kontrolle einhergeht. Diese Handlungsweise wird durch ihre Zielorientierung charakterisiert, obwohl das jeweilige Ziel oftmals nicht explizit formuliert wird, sondern vielmehr implizit mit der regelgeprägten Situation