Heike Möller

Auch Vampire brauchen Liebe


Скачать книгу

      Prüfend blickte er sein Spiegelbild an, korrigierte den Sitz der Krawatte. Am kleinen Finger der linken Hand blitzte der schwere Siegelring mit dem Familienwappen auf. Ein Adler, der in den Klauen eine sich windende Schlange hielt, drapiert auf einem einfachen Schild. Am Rand eingraviert der Schriftzug „hrady-hrabé-cerný-milost-bozi“, was soviel bedeutete wie „Burg-Graf-Cerný-Gnade-Gottes“. Seit nunmehr eintausend Jahren trug er diesen Ring, mit einigen kleinen Unterbrechungen.

      Adolar nahm seine Aktentasche, verließ sein Schlafzimmer und ging hinunter in sein Arbeitszimmer. Als er den Korridor betrat, wurde ein Bewegungssensor aktiviert und gedämmtes Licht ging an. Adolar brauchte eigentlich kein Licht, aber er hatte keine Lust den übrigen Bewohnern der Burg zu erklären, warum er auch in beinahe absoluter Dunkelheit sehen konnte.

      In seinem Arbeitszimmer schaltete Adolar den Computer ein. Während der PC hoch fuhr, sortierte Adolar einige Akten und Briefe.

      >Jan muss ein paar Akten aufarbeiten, wenn er wieder zu Hause ist<, dachte er und fügte zwei Akten dem Stapel auf der linken Seite des Schreibtisches zu. Den Rest packte er in seine Aktentasche, überprüfte noch seine Schreibgeräte und den Kalender - Adolar hielt nichts von elektronischen Kalendern, weswegen er einen normalen DIN A5 großen Kalender mit sich führte - und ordnete auch diese nützlichen Dinge in seine Aktentasche ein.

      Adolar hörte seinen Majordomus kommen. Leise klopfte es an der Zimmertür. „Kommen Sie rein, Domek.“

      Die Tür ging auf und ein Mann Mitte fünfzig betrat den Raum. Er war in einem Morgenrock gekleidet und strahlte trotzdem etwas Würdevolles aus. >Jeder englische Butler könnte sich eine Scheibe von deiner Haltung abschneiden, alter Freund<, dachte Adolar.

      „Verzeihung, Herr Graf. Ich hatte nicht erwartet, Sie so früh anzutreffen. Brechen Sie früher nach Prag auf als sonst?“

      „Ja, Domek. Ich konnte nicht mehr schlafen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir noch einen Kaffee zu kochen bevor ich losfahre?“

      „Natürlich nicht, Herr Graf. Ich werde den Kaffee sofort zubereiten und ihn servieren. Möchten Sie auch etwas frühstücken, Herr Graf?“

      Kurz dachte Adolar an den Rehbock. „Nein, danke. Ich habe keinen Hunger. Ich werde vielleicht später in Prag etwas essen.“

      Mit einer leichten Verbeugung verließ der Angestellte das Arbeitszimmer.

      Adolars Blick fiel auf eine Zeichnung, die er ein paar Tage zuvor angefertigt hatte. Es waren lediglich Augen, aber es waren die Augen aus seinem Traum. Die Zeichnung war mit Bleistift skizziert, aber Adolar hatte das Gefühl, in einem See aus Lapislazuli zu blicken.

      Verärgert knüllte er dass Papier zusammen, und warf es in eine Ecke. Nachdem er sein Passwort in dem PC eingegeben hatte erschien sein Familienwappen als Hintergrund. Leer blickte er auf den Bildschirm, stand nach einigen Minuten auf und hob das unschuldige Stück Papier wieder auf. Vorsichtig faltete er es auseinander, strich es sanft glatt und betrachtete die Augen. Er wünschte sich, zu den Augen würde ein Gesicht erscheinen, aber das war eher unwahrscheinlich.

      >Einige Vampire haben manchmal Visionen, Adolar<, hatte ihm sein Mentor einst gesagt. Das war etwa 980 Jahre her.

      >Visionen, die zu Träume werden. Träume, die zu Visionen werden. Und beide können dir eine Richtung weisen oder dich komplett in die Irre führen. Einige unserer Art haben ihre Träume und Visionen niedergeschrieben.<

      Adolar stand schlagartig auf. „Natürlich!“

      Mit langen Schritten ging er an dem verdutzt blickenden Domek vorbei, der Adolar gerade den Kaffee auf einem kleinen silbernen Tablett bringen wollte. Graf Cerný ging in die Bibliothek und machte das Licht an.

      >Wie lange war ich eigentlich nicht mehr hier drin?<, fragte er sich selbst, als ihm bewusst wurde, wie groß dieser Raum war.

      „Herr Graf?“ Domek´s Stimme klang ein wenig besorgt. Sein Arbeitgeber hatte sich in den zehn Jahren, die er bei ihm weilte, noch nie so aufgeführt.

      „Domek, wie viele Bücher werden das hier sein?“

      Verblüfft über die Frage sah sich der Majordomus blinzelnd um. „Ich, ähm … ich kann nur vage schätzen, Herr Graf!“

      Adolar nickte. Der Raum hatte eine Höhe von beinahe vier Meter und eine Fläche von achtzig Quadratmeter. Regale türmten sich nicht nur an den Wänden bis zur Decke hinauf, sondern standen auch Rücken an Rücken mitten im Raum.

      Und alle waren sie prall gefüllt, mit Werken aus den verschiedensten Epochen.

      „Es sind über zehntausend Bücher, Domek. Über zehntausend.“

      Adolar zog sein Jackett aus und legte es über den Sessel, der an einem der Fenster stand. Dann schnappte er sich die Rollleiter und schob sie an das Regal, wo die ältesten Schriften standen und lagen.

      Er erinnerte sich, dass sein Mentor ihm einst seine niedergeschriebenen Träume und Visionen gegeben hatte. Nur wann? War das, als Adolar bereit war als mündiger Vampir seinen eigenen Weg zu gehen?

      Oder war es, als sein Mentor starb und Adolar dessen Vermächtnis zugeschickt bekommen hatte? Und wie sah das Buch aus? Adolar hatte es vergessen. Wie so manches in seiner Existenz hatte er Dinge, die er für unwichtig hielt, einfach weg geblendet.

      Der Graf kletterte die Rollleiter empor und blickte die Buchreihen ab, versuchte zu erkennen, ob ihm irgendetwas bekannt vorkam. Dabei fiel ihm auf, dass viele Werke vermutlich durch die Zeit unrettbar verloren waren.

      „Wo ist das verdammte Buch?“, knurrte er missgelaunt.

      „Herr Graf, vielleicht kann ich ja das Buch während ihrer Abwesenheit suchen. Sagen Sie mir den Titel oder den Autoren und ich ….“

      „Nein, Domek. Schon gut. Es ist ein sehr altes Buch. Ich habe neulich einen Hinweis auf dieses Buch erhalten und das es seit Generationen im Familienbesitz ist. Aber weil niemals die Bibliothek archiviert und katalogisiert worden ist kann das Buch sonst wo sein.“

      Nachdenklich kletterte Adolar die Rollleiter wieder herunter.

      „Soll ich der Dienerschaft auftragen, damit zu beginnen?“

      Adolar lächelte seinen Majordomus freundlich an. „Danke, Domek. Aber das ist eine Aufgabe für jemanden, der sich nur mit Bücher und Archive beschäftigt. Ich werde Wohl oder Übel jemanden damit beauftragen müssen.“ Adolar nahm seine Jacke vom Sessel und klopfte vorsichtig den Staub aus.

      „Herr Graf, ein einzelner Mensch wird vermutlich Jahre dafür brauchen.“ Domek zog bei der Vorstellung die Stirn kraus.

      Adolar nickte. „Wahrscheinlich. Aber es muss sein, bevor Schriften und Bücher in diesem Raum vollends zerstört werden.“ Er nahm in der Drehung die Kaffeetasse von dem Tablett, dass Domek immer noch in der Hand hielt. Dann ging er wieder in Richtung Arbeitszimmer.

      „Legen Sie sich noch ein wenig hin, Domek. Ich brauche Sie nicht mehr. Und vielen Dank für den Kaffee.“

      „Ja, Herr Graf. Vielen Dank, Herr Graf. Fahren Sie bitte vorsichtig.“

      Wieder schenkte Adolar seinem Angestellten ein Lächeln. „Das werde ich.“

      Adolar öffnete sein E-Mail Portal und sortierte gleich die Mails aus, die Werbung oder anzügliche Angebote beinhalteten. Einige geschäftliche Anschreiben beantwortete er sofort, andere hob er sich für sein Büro in Prag auf.

      Er wollte den Computer gerade ausschalten, als ihm etwas einfiel. „Warum eigentlich nicht“, murmelte er. „Vielleicht kann sie mir ja helfen.

      Er klickte auf >New Mail< und auf >To< und wählte dann den Namen der Person aus, die ihm vermutlich helfen konnte.

      Einen Moment überlegte Adolar, was er unter >Betreff< eingeben sollte, dann entschied er sich für ein einziges Wort.

      >Hilfe<