Heike Möller

Auch Vampire brauchen Liebe


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sagte Agatha schrill. Ihr eisgraues Haar war zu einem Dutt geknotet und Strähnen hingen ihr ins Gesicht. Die Haut im Gesicht und an den Händen erinnerte an vergilbtes Pergament und der Blick aus ehemals blauen Augen war glasig und irr.

      „Du solltest da nicht hingehen, Weib. Niemand geht dorthin, wenn er einen klaren Verstand hat.“

      Die junge Frau hatte der alten Agatha zugehört. Höflich antwortete sie nun: „Ich danke Ihnen herzlichst für die Warnung. Aber ich kann sehr gut auf mich aufpassen. Sie müssen sich keine Sorgen machen.“

      Jannik fand die Stimme der fremden Frau aufregend. Rau, leicht heiser und warm. >Wow!<, dachte er. >Die ist es Wert, sich näher mit ihr zu beschäftigen.< Sein Blick landete wieder auf ihrem Hintern.

      „Da leben Dämonen!“ Agatha kreischte jetzt regelrecht.

      Die junge Frau hatte sich zwischenzeitlich wieder zu dem Wirt umgedreht. Als Agatha jedoch den Satz sagte, versteifte sich die junge Frau. Langsam nahm sie ihre Sonnenbrille ab und drehte sich zu Agatha um. Jannik, der eben erst bemerkt hatte, dass die Frau eine Sonnenbrille getragen hatte, klinkte sich rasch in die Gedanken des Wirtes ein.

      >Wahnsinn!<, hörte er die Gedanken des Mannes. Mehr konnte er nicht in Erfahrung bringen, denn die Frau sagte etwas, das ihn überraschte.

      „Lebt denn nicht jeder Mensch mit seinen Dämonen, gute Frau?“

      Jannik wünschte sich sehr, die Augen der Fremden sehen zu können, denn Agathas Reaktion war erschütternd. Wie ein Fisch an trockenem Land japste die alte Frau nach Luft, wurde zuerst kalkweiß, dann aschfahl und schließlich grün im Gesicht. Merkwürdige Laute kamen aus ihrer Kehle, aber kein einziger zusammenhängender Satz.

      Die junge Frau setzte ihre Brille wieder auf und drehte sich erneut dem Wirt zu. Agatha starrte fassungslos in den Rücken der Frau, dann verzerrte sich ihr Gesicht hasserfüllt. Mit einem Aufschrei riss sie dem Gast, der ihr am nächsten stand, den schweren Bierkrug aus der Hand und wollte damit auf die junge Frau einschlagen. Jannik, der kurz vorher Agathas Gedanken gesehen hatte, sprang hinter die alte Frau und versuchte sie aufzuhalten. Agatha hatte aber schon viel Schwung gehabt und der Krug machte sich auf dem Weg zum Hinterkopf der Fremden. Blitzschnell drehte diese sich um und fing Agathas Hand mit der linken Hand ab. Dabei musste sie reichlich Kraft aufwenden. Mit der rechten Hand nahm die Frau Agatha den Krug einfach ab und knallte ihn auf den Tresen. Jannik war über die Schnelligkeit und die Geschmeidigkeit der Bewegungen überrascht.

      „Sind Sie irre, Frau?“, zischte die Fremde. Jannik hörte unterdrückte Wut, sah, wie die Nasenflügel der jungen Frau bebten. Jetzt hörte er auch erstmals einen leichten Akzent. Jannik tippte, dass die Frau aus Deutschland kommen musste. Dann fiel ihm ein, dass Adolar einen Gast aus Deutschland erwartete, der die Bibliothek auf Vordermann bringen sollte. Er erinnerte sich auch dunkel, dass Adolar sagte, es wäre eine Frau.

      „Lass mich los, du Dämon!“, kreischte Agatha, als sie erkannte, wer sie festhielt. „Sei verflucht, du Missgeburt! Zur Hölle mit dir, Cerný!“

      Jannik verzog sein Gesicht. Die hohe Stimme der alten Frau tat ihm in den Ohren weh. Drei Männer nahmen ihm die tobende und Geifer spuckende Agatha ab und schoben sie in den hinteren Bereich der Schenke.

      „Tut mir leid, gnädige Frau. Die alte Agatha hat nicht mehr alle Tassen im Schrank!“ Der Wirt war wegen der Attacke blass geworden, fasste sich jetzt aber wieder. „Kann ich Ihnen vielleicht etwas zu trinken anbieten auf den Schreck?“

      Die junge Frau starrte Jannik an. „Cerný? Sie sind Graf Cerný?“

      „Nein, ich bin sein Cousin. Jannik Cerný.“ Jannik reichte ihr die Hand zur Begrüßung.

      „Nicole Sanders. Ich bin auf dem Weg zur Burg.“

      „Ja. Das hörte ich.“ Jannik machte der jungen Frau ein Zeichen, dass der Wirt immer noch auf eine Antwort wartete.

      Stirn runzelnd drehte sich Nicole zu dem Wirt um. „Vielen Dank, aber ich möchte nichts. Es ist ja nichts passiert.“

      „Vielleicht kann der junge Herr Cerný Sie ja zur Burg bringen, gnädige Frau.“

      „Das wollte ich auch gerade vorschlagen, Frau Sanders. Möchten Sie mir hinterherfahren?“

      Nicole lächelte dem Wirt dankend zu und drehte sich wieder zu Jannik um. Der machte ein Geste mit der Hand und sagte: „Bitte nach Ihnen!“ Sie nickte ihm kurz zu und verließ die Schenke, gefolgt von dem hübschen jungen Mann.

      Es war Freitagabend, die Sonne würde bald untergehen und Nicole nahm ihre Sonnenbrille endgültig ab. Lässig klappte sie sie zusammen und steckte sie mit dem Bügel an die Knopfleiste ihres Poloshirts.

      „Sie wollen also Licht ins Chaos unserer Bibliothek bringen?“ Jannik konnten den Blick von Nicoles Hinterteil einfach nicht losreißen.

      „Ich werde es zumindest versuchen, Herr Cerný.“ Sie drehte sich lächelnd um und sah dem Mann in die braunen Augen. Dieser blickte in ihre Augen und erstarrte.

      „Ach du Scheiße!“, rutschte es ihm raus.

      „Wie bitte?“ Nicole war sichtlich irritiert. Das die Dorf-Alte ausgeflippt war, konnte sie gerade noch so verkraften. Aber der junge Mann? „Warum flippen hier alle aus, wenn sie in meine Augen sehen? Habe ich den bösen Blick oder so was?“

      Jannik riss sich zusammen. „Tut mir furchtbar leid, Frau Sanders. Ich wollte nicht unhöflich sein. Es ist nur so, dass …. Diese Farbe ist absolut ungewöhnlich. Agatha sieht überall das Böse. Sie hat ja auch mich beschimpft. Wir haben uns hier alle schon daran gewöhnt. Aber Sie fallen auf!“

      „Toll! Ich hätte mir einen Kartoffelsack anziehen und mein Gesicht schwärzen sollen. Wäre vielleicht besser gewesen“, zischte sie sarkastisch.

      Jannik schmunzelte. Sie waren inzwischen an einem Volvo Kombi angelangt. Wie angewurzelt blieb er stehen und das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. Mit geweiteten Augen starrte er auf die Ladefläche und war heilfroh, dass die Heckklappe geschlossen war.

      Ein riesiger Hund stand da und bellte sich die Kehle aus dem Leib.

      „Sie haben einen Hund?“, krächzte Jannik.

      Erstaunt blickte Nicole zu dem Mann auf. „Hat Ihnen Ihr Cousin nicht gesagt, dass ich Pumuckel mitbringen darf?“

      „Pumuckel? Nein! Ich meine, ja! Er sagte mir, dass Sie einen Hund namens Pumuckel mitbringen würden. Ich dachte aber, dass wäre ein Yorkshire oder ein Pudel oder so etwas in der Art.“

      „Ich habe dem Grafen aber gesagt, das es ein irischer Wolfshund ist.“

      Jetzt erinnerte er sich, dass Adolar ihm das ebenfalls gesagt hatte. „Mein Fehler. Ich habe es manchmal nicht so mit dem Zuhören.“

      „Tut mir leid, wenn Sie Angst vor ihm haben. Aber er ist wirklich ein liebes Tier. Ich verstehe nicht, warum er sich gerade aufregt!“ Nicole verstand es wirklich nicht. Pumuckel war vom Charakter eher träge. Neben ihm konnte ein Knallfrosch landen, er zuckte gerade mal mit den Ohren. Als aber sie und Jannik Cerný auf das Auto zugingen, sprang der Rüde plötzlich auf und gebar sich wie tollwütig.

      >Ich verstehe schon, warum der Hund sich aufregt. Er erkennt, was ich bin!<

      „Frau Sanders, eine Bitte. Wenn wir oben in der Burg sind sollten Sie den Hund vielleicht noch einen Moment im Wagen lassen bis Adolar Sie begrüßt hat.“ Er versuchte jetzt souverän zu klingen. „Und, ähm …. Angst habe ich nicht, nur großen Respekt.“

      Sie zuckte kurz mit der linken Augenbraue. Eine kleine und stumme Geste. Jannik war sofort wieder von Nicole begeistert.

      „Ich werde nicht so schnell wie sonst zur Burg hochfahren. Also lassen Sie sich Zeit und äh …. Ich rufe mal Adolar an, das wir gleich da sind. Autsch!“

      Rückwärts gehend fischte Jannik sein Handy aus der Hosentasche und blickte dabei die ganze Zeit Nicole in die Augen. Dabei vergaß er völlig seine Umgebung und stieß mit den Kniekehlen in die