Klaus M. G. Giehl

Die Methode Cortés


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Jakob schlecht: Nun vermisst er nicht nur seinen Beruf, sondern auch die Kinder! Das freie Seglerleben und diverse marokkanische Grazien lindern seinen Schmerz rasch, doch dämmert ihm bald, dass er mit seinem jüngsten Weggang wieder „ein Schiff verbrannt“ hat: Ob angespannter Finanzlage kann er keinen Unterhalt zahlen, und da Magnolia dies thematisiert, wird ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet, was seine Rückkehr nach Deutschland „erschweren“ würde!

      Zunächst kümmert ihn das wenig. Dort wolle er ohnehin nicht hin. Als er aber nach einer kleinen Odyssee (inzwischen weilt er in Mohammédia bei Casablanca) ein Angebot aus Austin erhält, auf seine vormalige Stelle zurückzukehren, wird das Strafverfahren doch relevant: Seine alte Universität ist nicht bereit, ihm die Professur zu geben, solange das Strafverfahren anhängig ist. Magnolia unterdessen tut – mit Erfolg! – alles, dass es auch wirklich anhängig bleibt. Und die Chance verpufft im Nichts!

      Jakob ist zerschmettert, versteht die Welt nicht mehr. In seiner Not zeigt sich ein Licht der Hoffnung: Ming Li, Professorin in St. Louis und Jakobs alte Bekannte, hat die verzweifelten Verhandlungen um die Einstellung der Strafsache mitverfolgt. Nicht ganz uneigennützig bietet sie ihm an, er könne eine Stelle als Research Associate1 in ihrem Labor haben. In diesem Setting sei das schwebende Strafverfahren nicht bedeutsam. Zwar ist die Stelle bei Ming Li nicht vergleichbar mit der Professur in Austin, aber Jakob, mittlerweile zermürbt, ist froh, wenigstens wieder forschen zu können. Er nimmt das Angebot an.

      Während Ming Li sich um Jakobs Arbeitsvisum kümmert, segelt er nach Lanzarote, um einen günstigen Liegeplatz für seine Smuk zu finden. Fündig wird er schließlich auf La Graciosa, einem Eiland nördlich von Lanzarote. Dort genießt er das idyllische Inseldasein, bis er sein Visum erhält. Nun ist Jakob glücklich: Endlich könne er in sein altes Leben als Forscher zurückkehren!

      Wird ihm dies tatsächlich gelingen? Wird er das Rätsel um das verschwundene Erbe lösen? Und wird er verstehen, womit Onkel Richard seinerzeit Magnolia zum (wie sich herausgestellt hatte: scheinbaren) Einlenken hatte bewegen können?

      I. BACK

      1 Ankunft in St. Louis

      Am 12. April 2007 kam ich in St. Louis an. Als ich das Gateway verließ, strömte mir von einem nahen Bistro ein wohlig–warmes Kaffee–Haselnuss–Aroma entgegen. Ich liebte diesen Geruch! Und nicht nur das: Für mich hatten amerikanische Flughäfen eine ganz eigene Atmosphäre, die ich in ihrer Essenz durch genau diesen Geruch – dieses feine, dieses süße, dieses hochsynthetische Kaffee–Haselnuss–Aroma – repräsentiert sah. Ein emsig strudelndes Ameisenrudel überkitzelte mich und ich fühlte mich wie zuhause:

       Endlich! Endlich wieder in den USA! Endlich wieder in der Forschung! Wie sehr hatte ich beides vermisst!

      Ich begab mich zur Gepäckausgabe. Ming Li und George wollten mich vom Flughafen abholen. George war Ming Lis Mann. Ich kannte ihn seit Mai 2001. Damals hatte ich Ming Li eingeladen, einen Vortrag an der Johannes Gutenberg–Universität, an der ich zu jener Zeit Forschungsgruppenleiter gewesen war, zu halten. George hatte Ming Li zu diesem Anlass begleitet und die beiden hatten die Gelegenheit genutzt, einen Kurzurlaub anzuhängen (das übliche Programm: Neuschwanstein, Schwarzwald, Kölner Dom und Hofbräuhaus). Ich verstand mich gut mit George. Er wirkte ein wenig verloren, ja, andeutungsweise verrückt, hatte eine hohe Stirn, schütteres hellbraunes Haar, und verbrachte seine Zeit hauptsächlich in seiner Werkstatt, um den perfekten Knieschoner zu kreieren. Wie Ming Li mir kürzlich erzählt hatte, hatte er mittlerweile sogar einen Prototyp entwickelt und zum Vertrieb eine kleine Firma gegründet: „nO.peelinG.whilE.knEEling“ (das Unternehmen besaß ein Internetportal und war innOVativ, daher die eindrückliche Schreibweise).

      Ming Li und George hatten Verspätung, was mich nicht störte. So hatte ich die Muße, in der Wartezone eine Zigarette zu rauchen. Nach meinem dritten Päckchen sah ich die beiden auf mich zukommen. Und ich musste schmunzeln über dieses ungleiche Paar: George war zwei Meter groß und dünn und kam schlaksig dahergestapft, Ming Li maß höchstens einen Meter fünfzig, war ein bisschen pummelig und stöckelte kaum Schritt halten könnend auf wackeligen Knöcheln neben ihm her. Mit ihrem Schottenrock, ihren schwarzen Wollstrumpfhosen, ihrem rosafarbenen Parker, und ihren glatten pechschwarzen Haaren nahm sie sich beinahe wie Georges Adoptivtochter aus. Unterstrichen wurde dieser Eindruck von ihrem dankbar–milden, fernöstlichen Lächeln. Doch der Eindruck täuschte: Eindeutig hatte Ming Li in der Beziehung „die Hosen an“. Und sie führte ein strenges Regiment! Sie war allerdings, wie man zugeben musste, überaus freundlich zu George, wenn er sich fügte.

      Das Hallo bei unserem Wiedersehen war groß, aber ich merkte Ming Li an, dass sie angespannt war (sie schob sich ständig ihre überdimensionierte Hornbrille über die zuckende, barbykleine Nase nach oben). Ich konnte Ming Lis Anspannung verstehen. Mich mutete unsere neue Situation auch seltsam an: Früher waren wir als unabhängige Forscher gleichberechtigte Kollaborationspartner in vielen Projekten gewesen. Jetzt war sie mein Boss. Ich hoffte, das würde funktionieren!

      Auf dem Weg nach Ladue, einem gediegenen Viertel in St. Louis, in dem die beiden residierten, eröffnete mir Ming Li, ich solle erst einmal bei ihr und George wohnen. Dann könne ich mich in aller Ruhe auf Wohnungssuche begeben. Für den Abend, fuhr Ming Li fort, sei ein Essen geplant. Sie werde für uns kochen! Am nächsten Morgen wolle sie mit mir ins Labor gehen, mich den Mitarbeitern vorzustellen und die Formalitäten für meine Registrierung an der Uni anzuleiern. Und das Wochenende biete sich an, ein Apartment für mich zu suchen (ein One–Bedroom genüge für den Anfang wohl!). Wenn wir danach noch Spielraum hätten, könnten wir einige Sachen für mich besorgen, die ich eventuell brauchte. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, sagte zwischendurch „ja“ und „gut“ und manchmal auch „aha“, und schaute aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Häuser und Gärten.

      Wir erreichten Ming Lis Haus, einen im modernen Stil gebauten, von großen Bäumen umgebenen Bungalow. George trug mein Gepäck rein (er hatte darauf bestanden!). Ming Li zeigte mir zuerst die neue Küche und geleitete mich dann in mein Zimmer. Meine Sachen – George hatte sie dort abgestellt und sich zurückgezogen – solle ich in diesem Schrank da aufhängen. Er sei leer. Das Bad befinde sich gegenüber, Handtücher für mich lägen frischgebügelt da (George bügelte gern), und eine Tube Zahnpasta auch, wenn ich die benötigte. In der Küche könne ich mich bedienen, wenn ich Hunger hätte, solle aber alles wieder schön auf seinen Platz zurückstellen, wenn ich fertig sei. Nicht wahr? Ming Lis Nase zuckte. Sie, Ming Li, ergänzte: Und etwas zu trinken sei auch da. Jetzt aber wolle sie mit dem Kochen anfangen, damit wir endlich in die Gänge kämen. Ming Li schob sich die Brille auf der zuckenden Nase nach oben und verschwand in Richtung Küche. Ich sah mich um in meiner Bleibe, ein hübsches Gästezimmer mit Blick auf den Vorgarten.

      Das Ambiente wirkte amerikanisch, was mich allerdings nicht wunderte. Schließlich war ich in Amerika! Doch mir kamen diese vielen, mich auf meinen Verweilort hinweisenden Details besonders vor: Die schwarze Nachttischlampe aus „Home Depot“ (die gleiche hatte ich in meinem Arbeitszimmer in Austin stehen). Die Steckdosen mit den zwei parallelen Schlitzen und dem zentriert unter diesen befindlichen Löchlein (wie allgegenwärtige „Funny–“ oder besser „O–faces“). An der Wand die lustigen Kippschalter, die man, glaube ich, nach oben klappen musste, um das Licht anzuknipsen. Und die runden, goldglänzenden Türknöpfe, die mir beim Öffnen der Türen immer ein wenig Schwierigkeiten bereitet hatten. Alles war mir vertraut und doch fremd. Dann war da dieser dezente Geruch, der fast allen amerikanischen Häusern eigen war. Er ist schwer zu beschreiben. Eine Mischung aus Bakelit, Imprägnierungsspray, Zink und Wolle vielleicht. Ich hatte nie herausfinden können, woher er stammte. Möglicherweise vom Holz, das man für die Konstruktion verwendete? Oder von der Isolierung? Kurzum, ich mochte diesen Geruch. Er symbolisierte für mich etwas Ruhiges und Verlässliches.

      Ich ging zum Fenster und schaute auf die gegenüberliegende Straßenseite. Dort stand unter mächtigen Life Oaks einer dieser riesigen amerikanischen Caravans, deren untere Hälfte mit Folie aus Holzimitation beklebt waren. Ich liebte diese Schiffe.

      Mann, was hatte ich durch meinen Weggang aus Austin alles aufgegeben! Den idealen Beruf, das ideale Umfeld! Mein Leben hätte perfekt