Klaus M. G. Giehl

Die Methode Cortés


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St. Louis und hob hierbei sämtliche Punkte hervor, die beim Kauf eines Gebrauchtwagens zu beachten seien. Sämtliche! Mus parallel dargebotenen Vortragsreihen konnte ich die Adresse eines Internetportals, das wirklich ideal sei, wenn man einen billigen Wagen, der nicht allzu lange halten müsse, suche, was für mich in meiner momentanen Situation eine vielleicht gar nicht einmal so schlechte Option sei, entnehmen. Ich hatte vor, mir den Wagen von dem Bargeld zu kaufen, das ich von der Reise mit meiner Smuk übrigbehalten hatte. Meine in der Zwischenzeit doch reduzierten Reserven in der Schweiz wollte ich nicht noch weiter strapazieren. Ich wusste nicht, was käme, und wollte flexibel bleiben. Mehr als zweitausend Dollar plante ich nicht für einen Wagen auszugeben.

      Mu lieh mir ihren „Toyota“ für meine „Car–Hunt“. Ich musste nicht lange jagen. Schon am Dienstagvormittag hatte ich „mein Gefährt“ getroffen: Es war ein ehemaliges Polizeiauto, ein alter „Ford Crown Victoria“ mit einem acht Zylinder vierhundert PS „Interceptor“ Motor. Der Wagen wurde günstig von einer Security Firma angeboten. Der Eigentümer des Unternehmens erklärte mir, die Geschäfte liefen im Augenblick nicht so toll. Er müsse die Schüssel verkaufen, um seiner einzig verbliebenen Angestellten das nächste Gehalt zahlen zu können. Vierzehnhundert Dollar wolle er für den Wagen. Passte also.

      Der Firmenbesitzer, Harry, war ein richtiger Bulle. Zwei Meter groß, stämmig–muskulös, dicker Bauch, Stiernacken und kahlgeschorener Kopf. Harrys Arme waren mit Tattoos übersäht. „‘Love Mom“ unter einem Totenkopf ist mir am lebhaftesten in Erinnerung geblieben. Harry war kein Freund großer Worte. Der Verkauf des Wagens war ohne Zeremonie in wenigen Momenten geregelt. Diese Art sagte mir zu. Harry lud mich in sein Office, eine mit Kartons und allerlei Unrat zugemüllte Halde, zu einem „Corona“ ein. Er bot mir einen Platz an, setzte sich hinter den Schreibtisch (ein schweres Holzfurnierteil, wenn ich das richtig erkannt habe, bei dem ganzen Gerümpel), und prostete mir zu. Wir stießen miteinander an.

      Entspannt legte Harry seine Füße auf einen Haufen Dokumente und erzählte von seiner Frau und zahlungsunwilligen Kunden. Ich pflichtete ihm bei, dass die Zeiten schwer seien. Unvermittelt griff er in seine Schreibtischschublade und knallte einige Schnappmesser und Schlagringe vor mir auf eine Kiste. Ich sei ein guter Junge und dürfe mir was aussuchen. Er wolle es mir schenken. Ich beäugte die Messer und nahm mir eines. Konnte nichts schaden, ein Messer zu haben. Harry gab mir seine Visitenkarte und meinte augenzwinkernd, wenn ich mehr „Stuff“ brauchte, solle ich mich melden. Er könne mir alles besorgen. Wirklich alles! Ich bedankte mich, sagte Harry, dass ich den Wagen später abholen würde, und fuhr zurück auf die Arbeit.

      Mu brachte mich in der Mittagspause wieder zu Harry, der mir erklärte, ich solle möglichst bald ins „Drivers and Licence Plate Department“ fahren, um den Wagen umzumelden. Bei der Gelegenheit könne ich meinen texanischen Führerschein in eine „Missouri Drivers Licence“ umtauschen.

      Am nächsten Tag meldeten wir den Wagen um. Auf dem Department offenbarte man mir, ich müsse einen neuen Führerschein machen. Meine Frage, ob ich ihn gleich machen könne, wurde bejaht, und am späten Nachmittag hatte ich eine neue Drivers Licence. Noch am Abend mailte ich einem Versicherer die unterschriebene Police für den Wagen zu und am folgenden Morgen war alles erledigt. Ich war „ready to go“.

      3 Was war nur mit mir los?

      „Irgendwie geht in den USA alles schneller.“ Diesen Spruch sollte ich auch bei meinem jetzigen Aufenthalt bestätigt bekommen. Am Donnerstag meiner ersten Arbeitswoche waren sämtliche Formalitäten an der Uni, sämtliche Versicherungen, die Etablierung meiner Wohnsituation und die anfängliche Projektplanung erledigt. Anderes, mich überaus Überraschendes, sollte auch „schneller gehen“. Doch dazu gleich. Zunächst zu dem mich weniger Überraschenden:

      Es war mein erster „normaler“ Arbeitstag im Labor. Ming Li hatte mich gebeten, in Gewebeproben, die ich ihr noch aus Austin geschickt hatte, vermittels Immunhistochemie den Aktivierungsgrad eines bestimmten Signaltransduktionsmoleküls nachzuweisen. Ich hatte alles vorbereitet. Die Objektträger, auf denen die Proben aufgezogen waren, lagen wie Gourmetpralinées feinsäuberlich arrangiert auf einem Beistelltisch bereit. Auf den Objektträgermarkierungen erkannte ich Lindas Handschrift. Offensichtlich hatte Linda, meine damalige Technician, das Material prozessiert. Eigenartig, nach so langer Zeit Gewebeproben aus meinem ehemaligen Labor zu sehen. Sie waren all die Jahre sicher bei minus achtzig Grad Celsius aufbewahrt worden.

      Ich begann, mit einer zweihundert Mikroliter–Pipette die für die Immunhistochemie benötigten Lösungen auf die Objektträger zu träufeln. Das war eine sehr ruhige Arbeit. Man musste dabei aufpassen, dass die Gewebeproben vollständig mit Flüssigkeit bedeckt waren und die Lösungen nicht über die mit Wachsstift um die Schnitte gemalten Kreise hinwegliefen. Ich fühlte mich durch das Procedere zurückversetzt in eine längst vergangene Zeit, die hierdurch nicht mehr vergangen zu sein schien. Ich befand mich mitten in ihr! Die letzten Jahre waren nichts weiter gewesen als ein merkwürdiger Traum. Jetzt war ich aufgewacht und wieder in der Realität, in die ich gehörte.

      Mich umgab flimmernde Ruhe. Nur die Tiefkühltruhe surrte im Hintergrund, was mich nicht störte. Ich empfand das Geräusch eher wie das mesmerisierende Summen eines meditativen Chorals. Ich war bei der Andacht im Labor. Bei jenen heiligen Verrichtungen, die Wahrheit herauszufinden.

      Mein erster Arbeitstag war schön gewesen. Am Feierabend fuhr ich befriedigt durch die Stadt. Ein bestimmtes Ziel hatte ich nicht. Ich wusste lediglich, dass ich auswärts essen wollte. Langsam glitt ich mit meinem „Crown Victoria“ durch die breiten Straßen an Wohnvierteln und Malls vorbei. Hier sah ich ein „Home Depot“, dort einen „Wal–Mart“, einen „Whole Foods Market“ erspähte ich auch, und endlich machte ich einen „Burger King“ aus. Ich lächelte beseelt, bog bedachtsam ab, und schwebte in der freudigen Erwartung saftigen Fleisches auf den Parkplatz.

      Nachdem ich stoisch den Zündschlüssel abgezogen hatte, stieg ich aus, drehte mich um, und näherte mich dem Eingang des „Burger Kings“. Die Luft roch klar und trocken, nach Mittlerem Westen. Die Sonne stand tief, doch schien hell, fast grell. Überall standen große Wagen, zwischen denen ich gemessen, einem weihenden Priester gleich, hindurchschritt. Gelegentlich schlenderte jemand mit einer Papiertüte auf dem Arm an mir vorbei. Amerikanische Gesichter, amerikanischer Duft. Und ein leichter, verheißungsvoller Wind wehte wie Liebkosung über meine Wangen. Schließlich hatte ich den Eingang erreicht. Ich trat ein.

      An der Kasse warteten einige Leute. Ich hatte keine Eile und genoss den Klang der amerikanischen Sprache. Vor mir stand eine etwa zwanzigjährige Frau. Ihr knackiger Hintern presste den Stoff ihrer grauen Jogginghose glatt, sodass sich zwischen den prallen, ausladenden Pobacken einige in Zugrichtung verlaufende, stramme Faltenträger wie Stangen spannten. Das T–Shirt war charmant nach oben gerutscht und gab ein verspieltes Tattoo in ihrer Michaelisraute frei. Wenn ich meinen Hals leicht reckte, konnte ich von hinten in den Ausschnitt des T–Shirts, das mit drallen Brüsten gefüllt war, spitzen. Die Frau hatte einen rosigen, sommersprossenübersäten Teint. Aus ihrem Ausschnitt drang ein warmer, aromatischer Duft wie von frisch bereitetem Reisbrei in meine Nase. Aus ihrem Nacken (sie hatte ihre Haare zu einem Puschel, der an ein Vogelnest erinnerte, nach oben gebunden) quoll es mir zwischen feinen, an Babyflaum erinnernden Löckchen noch berauschender entgegen. Als mischte eine zarte Honignote sich in ihren Brei. Meine Nasenflügel legten sich an und ich fokussierte eine prominente, freistehende Locke an ihrem Haaransatz, der so schmackhaft weich und saftig war, dass ich am liebsten hineingebissen hätte, meine Zähne versenkt hätte in ... Meine Gedanken wurden unterbrochen. ...

      ... Jetzt war ich an der Reihe! Ich orderte einen Double Whopper und eine Cola Light und wartete geduldig an einem Raumtrenner, auf dem bunte Plastikblumen standen, vor der Kasse. Als ich meine Bestellung entgegengenommen hatte, bewegte ich mich wie in Trance treibend durch den Raum und auf die Fenster zu, wo ich mich in die weichen, roten Kunstlederpolster hockte. Ich packte meinen Burger aus, biss lustvoll hinein, und kaute das knusprige Fleisch, das seinen Saft und ein dezentes Bukett von Flammen und Holz über meine Zungenränder goss. Meine Lider kitzelten vor Genuss und ich beobachtete das Geschehen auf dem Parkplatz. Eine alte Frau schlurfte gekrümmt und sich an einem Stock gegen ihren Fall stemmend