Andreas Zenner

GMO Indien


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verkündete ihr Sprecher, „ist das Produkt der Zukunft, eurer Zukunft. Der Weltmarkt reißt sich um indische Baumwolle, die Preise schießen in die Höhe. Wollt ihr ein gutes Einkommen für euch und eure Familien, baut Baumwolle an. Wir bieten euch ein Saatgut, die BT-Baumwolle, eine neue erfolgreiche Züchtung aus Amerika. Baumwolle mit der ihr einen um 80 Prozent gesteigerten Ertrag erzielen könnt. Sie hat außerdem den unschätzbaren Vorteil, deutlich weniger Pestizide zu brauchen.“

      Das hörte sich gut an. Die Anwesenheit des Sekretärs des Landwirtschaftsministeriums schuf Vertrauen. Die Bauern glaubten, ihre Regierung unterstütze das Projekt. Dass der Sekretär diese Veranstaltungen lediglich wegen des guten Honorars besuchte, ahnten sie nicht. Es folgte ein langer Vortrag über die Möglichkeiten und die Ertragsaussichten, die sich aus dem Anbau von BT-Baumwolle ergeben sollten. Die neue Sorte zeige sich immun gegen den Kapselbohrer und gegen die Kräuselkrankheit, die gefürchteten Baumwollschädlinge. Sie sei resistenter in Dürreperioden. Dazu zeigten sie Grafiken und zitierten aus verschiedenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Obwohl die Bauern nicht viel davon verstanden, nickten sie höflich mit den Köpfen. Ihre Lage war verzweifelt, denn politische Zusammenhänge, von denen sie nichts wissen konnten, brachten sie in schlimmste Existenznöte. Im vergangenen Jahr hatte eine anhaltende Dürre die Ernteerträge erheblich geschmälert. Hinzu kam ein Beschluss der Zentralregierung in Neu Delhi, die auf Druck der WTO die Importzölle und die Subventionen drastisch kürzen musste. Indische Bauern sahen sich gezwungen, mit Anbietern aus der EU, den USA und China zu konkurrieren. Diese Länder jedoch schützten ihre Agrarprodukte durch Zölle und ihre Landwirte wurden mit Steuermilliarden subventioniert. Darüber jedoch berichtete der Nachrichtensprechen im Radio vor dem Haus des Sarpantsch, des Dorfvorstehers nichts in den12:00 Uhr Nachrichten. Dieses japanische Transistorradio stellte die einzige Informationsquelle der Bauern von Dasada in Hindi ihrer Sprache dar. Es hing auf der Veranda des Sarpantsch an der Wand und tönte den ganzen Tag in voller Lautstärke. Saddik versäumte es nie, sich die Meldungen anzuhören, wenn er vom Feld zurückkehrte. Er hatte der Familie seine Anweisungen erteilt und da keine Ernte anstand, blieb ihm genügend Zeit sich zu informieren, zumal er sich freute ein Schwätzchen mit den Nachbarn zu halten.

      „Die BT-Baumwolle sichert euch eine glänzende Zukunft. Ihr werdet Wohlstand erlangen, genug Nahrung für eure Familien erwirtschaften“, schallte es aus dem Lautsprecher. Saddik träumte von einem festen Haus, keiner windschiefen Hütte mehr. Von einem eigenen

      kleinen Radio oder sogar von einem eigenen Fahrrad. Wichtiger aber schien es ihm, Geld zurückzulegen für das Hochzeitsfest seiner Tochter Savita. Diese Männer hatten gütige Götter gesandt, um ihrem Elend ein Ende zu bereiten, davon waren die meisten der Bauern mittlerweile überzeugt.

      „Versäumt nicht die ungeheuren Möglichkeiten, die euch die BT-Baumwolle bieten kann. Wer heute nicht auf unsere neue Baumwolle umsteigt, bleibt für immer in Armut und Not. Wollt Ihr das euren Frauen und Kindern antun?“, hallte es blechern über den Platz. Einige Werber schwärmten aus, verteilten Kugelschreiber und andere kleine Geschenke, drückten jedem einen Prospekt in die Hand, auf dem üppige Baumwollfelder prangten und glücklich strahlende Bauern vor schmucken weiß gekalkten Häusern. Den Text konnten die Bewohner des Dorfes Dasada nicht lesen, aber sie bestaunten andächtig die bunten Bilder.

      „Auch Ihr könnt ein sorgenfreies Leben führen, dazu müsst ihr nur unser BT Saatgut kaufen“, klang es schmeichlerisch.

      Saddik seufzte. Woher sollte er das Geld für das neue Saatgut nehmen, war er doch beim Geldverleiher schon mit mehr Rupien verschuldet als er zählen konnte. Er wischte die staubigen Hände an seiner Dhoti ab, drehte verlegen die Broschüre in den Fingern, zögerte, und kleinmütige Gedanken zogen durch seinen Kopf. Doch die bunten Bilder zeigten ihre verführerische Wirkung. Sie hackten sich in seinen Träumen fest wie Kletten, keimten hoffnungsvoll in seinem Herzen. Baumwolle ja, das war die Zukunft. Er ballte die Fäuste, sah sich auf einer Veranda sitzen mit einem schönen neuen Turban. Ein erfolgreicher, geachteter Mann. Sein gesundes Misstrauen und die über Generationen gewonnene Lebensweisheit schienen wie ausgelöscht. Der Beamte aus dem Landwirtschaftsministerium ergriff das Wort.

      „Wir sehen diesen Fortschritt gerne“, tönte er und wischte sich ein weiteres Mal die Schweißperlen von der Stirn.

      „Wir haben die neue Baumwolle kritisch geprüft und sie in vielen unabhängigen Anbauversuchen für gut befunden. Die Kongresspartei und die Zentralregierung arbeiten eng mit den Wissenschaftlern von Mahyco zusammen. Der Mutterkonzern dieser Firma, Monsanto aus den Vereinigten Staaten, bürgt für die Qualität des neuen Saatgutes. Gewiss, es ist teurer, aber die zu erwartenden Erträge werden euch mehr als entschädigen.“

      Ächzend ließ er sich in den Korbsessel zurückfallen. Leicht verdientes Geld dachte er bei sich. „Ihr bekommt das BT-Saatgut über euren Landwirtschaftshändler“, ereiferte sich der Einpeitscher. Er redete viel und schnell.

      „Schon die nächste Ernte wird euch überzeugen. Kauft BT-Saatgut und eine goldene Zukunft steht euch bevor.“ Erschöpft ließ er das Megaphon sinken. Er hatte wieder einmal ganze Arbeit geleistet.

      Der Dorfälteste dankte den Männern von Mahyco und die Versammlung lief auseinander.

      „Das sollte ich mit Shakina besprechen“ dachte Ramesh der Bauer. Bis spät in die Nacht diskutierte Saddik mit seiner Frau. Nicht, dass er dazu verpflichtet gewesen wäre, aber er schätzte Shakinas Rat, außerdem fühlte er sich besser wenn er eine so schwerwiegende Entscheidung mit ihr teilen konnte. Er zeigte ihr die farbenprächtigen Bilder blühender Baumwollfelder, sprach von den fantastischen Ernten und er malte den zukünftigen Wohlstand in den buntesten Farben aus. Ganz wohl war ihm nicht dabei, aber die leise warnende innere Stimme brachte er schnell zum Schweigen.

      „Wie willst Du das bezahlen?“, fragte Shakina.

      „Wir müssen uns eben beim Bania Geld leihen.“

      „Wir haben doch schon so viele Schulden“, gab sie respektvoll zu bedenken.

      „Die wir in der jetzigen Situation ein Leben lang nicht zurückzahlen können.“ Shakina seufzte. Saddik wusste, was ihr Seufzen bedeutete. Einen großen Teil der Schulden hatte er von seinem Vater geerbt, einen weiteren selbst angehäuft. Er hatte sich so viel Geld leihen müssen, dass an eine Rückzahlung nicht zu denken war, nicht einmal sein Sohn, so der denn die ärmlichen Felder übernehmen würde, könnte die Summe abstottern. Seit Jahren schon war es ihm nicht möglich mehr als die Zinsen zu begleichen. Sogar die Butter seiner einzigen Kuh brachte er regelmäßig zum Geldverleiher, ganz zu schweigen von den wenigen Rupien die er für seine Ernte bekam. Insgeheim befürchtete er, der Bania würde ihm nichts mehr leihen. Der Geldverleiher war ein verschlagener alter Fuchs, der den Wert jedes Ackers, jeder Kuh und jedes Hauses im Dorf kannte. Nun gut, auch der Bania war unter den Zuhörern des Vortrages der Mahyco Leute gewesen und wie Saddik aus den Augenwinkeln beobachteten konnte, hatte der Mann mit am eifrigsten geklatscht.

      „Vielleicht sollte ich vorher mit dem Dorfältesten reden“, überlegte er bevor ihn der Schlaf übermannte. In dieser Nacht wälzte sich der Bauer unruhig auf seiner Pritsche. Zu viele Gedanken jagten durch seinen Kopf und verursachten wirre Träume. Saddik erwachte vor dem Morgengrauen, gähnte geräuschvoll, hustete laut. Dann berührte er ehrfürchtig den kleinen goldenen Ring am Finger, den ihm sein Vater außer den Schulden als Glücksbringer hinterlassen hatte. Glück hatte Saddik heute nötig um eine kluge Entscheidung zu treffen. Er ging an den Dorfteich, um sein tägliches Morgenbad zu nehmen. Dabei stieg er mit seiner Dhoti in den Teich, wusch sich und sprach seine Gebete. Nachdem er einige wenige Löffel Dal gegessen hatte, machte er sich auf den Weg zum Dorfältesten. Die Beiden diskutierten lange über die neue Baumwolle, wogen die Argumente gegeneinander ab, kamen jedoch zu keiner Entscheidung. Der Sarpantsch schüttelte gedankenvoll den weißhaarigen Kopf.

      „Nicht alles, was neu ist, ist auch ein Segen für uns“, äußerte er nach langem Überlegen. „Kann sein, dass es eine Möglichkeit für dich ist, kann aber auch sein, dass nicht.“ Saddik nickte ehrfurchtsvoll.

      „In meinem Leben habe ich erfahren, die alten Sitten und Gebräuche sind für uns die besten und sie sollten nicht geändert werden.“