Andreas Zenner

GMO Indien


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Alte ein.

      „Ja“, klagte Saddik, „aber wenn nicht bald etwas geschieht, wird meine Familie verhungern, zwei Kinder sind mir schon weggestorben.“

      Der Alte seufzte.

      „Glück und Unglück liegt allein in der Hand der Götter. Wäge weise und bete.“ Mit einer müden Handbewegung entließ er Saddik, der sich mehr von dem Gespräch erhofft hatte. Unschlüssig stand er vor dem Haus des Dorfältesten, doch dann wandte er sich um und lenkte seine Schritte zum Haus des Geldverleihers. Zumindest erkundigen könnte er sich, ob ihm der Bania überhaupt noch Geld leihen würde. Der Bania saß schwitzend hinter einem klapprigen Holztisch, auf dem sich die Schuldverschreibungen in Stößen häuften. An der Decke surrte ein träger Ventilator, der jedoch die aufkommende, stickige Hitze lediglich gleichmäßig im Raum verteilte.

      „Moment“, brummelte der Geldverleiher und wühlte in seinen Papieren. Er gab sich wichtig, obwohl er nichts anderes zu tun hatte, als einer Spinne gleich im Netz auf seine Opfer zu warten. Es war ihm zur zweiten Natur geworden, seine Klienten erst ein wenig zappeln zu lassen. Gut fürs Geschäft, bildete er sich ein. Saddik verharrte geduldig. Schließlich hob der Bania das Gesicht und funkelte Saddik mit listigen Augen über den Rand der Brillengläser an.

      „Na Saddik, ich habe dich gestern bei den Mahyco Leuten gesehen, brauchst wohl Geld für das neue Saatgut?“ Saddik rang verlegen die Hände und nickte.

      „Ja das wäre eine tolle Sache, wenn das mit der Baumwolle so eintreffen würde“, meinte der Bania. Im Stillen rechnete er aus, wie hoch sein Gewinn bei der Transaktion sein könnte.

      „Ich will nachschauen, wie viel du mir schon schuldest.“ Er blätterte in einem der Papierstöße, fischte mit den fetten, beringten Fingern ein Blatt heraus und runzelte die Stirn.

      „Mhm, ich sehe schon.“ Es gab nicht mehr viel, was Saddik hätte verpfänden können.

      „Deine Kuh und der Ochse gehören mir schon, ebenso dein Haus. Die Felder sind nichts wert.“ Saddik nickte betreten und schwieg.

      „Was kannst du mir als Sicherheit anbieten?“

      Saddik zuckte mit den Schultern. Außer der Option auf zukünftige gute Ernten hatte er nichts anzubieten. Der Geldverleiher musterte ihn scharf, sagte nichts.

      „Ich fürchte, ich kann nichts für dich tun“, stellte der Bania ungerührt fest. Saddik senkte den Kopf, wandte sich ergeben zum Gehen.

      „Es sei denn“, hielt ihn der Kredithai zurück, „es sei denn…“ – und dabei fuhr er sich genüsslich mit der Zunge über die Lippen. Er machte eine kleine Pause bevor er weiter sprach.

      „Du hast eine hübsche Tochter, Savita.“

      Saddik erschrak, er ahnte, was der Banja vorschlagen würde und er fürchtete sich davor.

      „Ich gebe dir das Geld, doch wenn du nach der Ernte nicht zahlen kannst, gehört das Mädchen mir.“

      Saddik wusste, der Bania würde seine Tochter verkaufen, an eine Fabrik oder als Sklavin in eine reiche Familie, vielleicht sogar, und das war noch schlimmer, an ein Freudenhaus. Seine Situation schien aussichtslos. Lehnte er ab, müsste seine Familie verhungern. Nahm er an, so bestand wenigstens die Chance, durch einige gute Ernten seine Schulden zum Teil zu begleichen. Der Bania drehte einen Kugelschreiber in den Händen und wartete.

      Das solltest du mit deiner Frau bereden, dachte Saddik, aber er wusste, Shakina würde diesem Handel niemals zustimmen. Unschlüssig stand er vor dem Holztisch. Der Geldverleiher kramte in einer Schublade, entnahm ihr ein Bündel speckiger Geldscheine und begann, indem er einige Scheine herauszog ein kleines Häufchen zu bilden. Sorgsam blätterte er einen Schein auf den anderen, stieß das Päckchen zwischendurch immer wieder auf. Schweißperlen standen aufs Saddiks Stirn, seine Hände wurden feucht und verkrampften sich. Der Kredithai verstand sein Handwerk. Er wusste: lang würde der Bauer nicht durchhalten. Mit einer katzengleichen Bewegung ergriff Saddik die Scheine und stopfte sie in seine Hose.

      „Na also“, grinste der Geldverleiher zufrieden. „Unterschreibe hier“, sagte er. Der Bauer kritzelte seinen Namen auf das Papier.

      „Dann viel Glück“, rief ihm der Bania nach und rieb sich die Hände. Seiner Frau verschwieg er den Handel.

      Die Zeit drängte, denn die Aussaat musste noch vor dem Sommermonsun im Juni erfolgen. Baumwolle braucht von der Aussaat bis zur Reife viel Wasser. Erst zur Ernte sollte das Klima mild und trocken sein.

      „Morgen gehe ich Samen kaufen“, teilte er seiner Frau am Abend kurz angebunden mit. Sie sah ihn mit großen traurigen Augen an, ahnte wohl etwas, sagte jedoch nichts. Es ist nicht einfach, in einem kleinen Dorf wie Dasada etwas geheim zu halten. In dieser Nacht pressten sie ihre Leiber verzweifelt aneinander, hielten sich umschlungen, als wollten sie voneinander Abschied nehmen. Saddik fühlte sich elend, wie ein Verräter, dabei tat er das alles nur für seine Familie, glaubte er. Die drei Kinder im Nebenraum schliefen ruhig. Nach der Morgenwaschung im Dorfteich zog der Bauer sein einziges Hemd und seine verschlissene Hose an, er küsste das Bild der Göttin Indra, bat um ihren Segen, er küsste Shakina und auch sie bat er wortlos um ihr Einverständnis. Sie blickte ihn bekümmert an. Dann ging er entschlossenen Schrittes zum Dorfplatz, um auf den Bus, der zweimal täglich Dasada mit der nächst größeren Stadt verband, zu warten. Das Bündel Scheine in seiner Tasche hielt er fest umklammert. Am Banulsbaum harrte schon eine Gruppe Bauern und einige Frauen, die mit ihrer Ware auf den Markt wollten. Sie kauerten auf dem Boden und warteten geduldig. Saddik setzte sich nicht, seine Hose hätte Schaden nehmen können, vorsichtig lehnte er sich an einen dicken Ast des weit ausladenden Baumes. In der Schar erspähte er einen Nachbarn, auch der im besten Gewand. Sie begrüßten einander, standen verlegen zusammen. Schließlich brach der Nachbar das Schweigen.

      „Gehst du auch Baumwollsamen kaufen?“

      Saddik nickte.

      „BT-Samen?“, wollte der Andere wissen. Saddik senkte zustimmend den Kopf.

      „Ich traue den Versprechungen nicht. Die Vertreter waren mir zu geschäftstüchtig. Ich will die alten Samen, die, die wir schon seit Jahrzehnten anbauen.“

      Saddik nickte verlegen.

      „Außerdem habe ich gehört, die Qualität der BT-Samen soll nicht gut sein. Die Hälfte der neuen Samen geht nicht auf, sie sind zudem empfindlicher gegen die Kräuselkrankheit und den Kapselbohrer.“

      „Wer sagt das?“, fragte Saddik verunsichert nach.

      „Vandana Shiva von der RFSTE berichtet, in Madhya Pradesch hat die BT-Baumwolle vollkommen versagt. Sie wurde von der Wurzelfäule befallen, was auf einer falschen Gen-Auswahl beruht.“

      Saddik staunte über das Wissen des Nachbarn, doch er wollte sich nicht verunsichern lassen. Mehr zum Zeitvertreib fragte er deshalb nach.

      „Wer ist diese Vandana Shiva?“

      Der Bus ließ auf sich warten und die Nachbarn nutzten die übliche Verspätung, um sich weiter über ihre Lage zu unterhalten.

      „Woher weißt du das?“, wollte Saddik wissen. Er war tief beeindruckt.

      „Mein Vetter wohnt in Madhya Pradesch, er kennt Vandana Shiva persönlich, sie hält viele Vorträge und unterstützt uns arme Bauern wo sie nur kann.“

      „Vandana Shiva ist mir zu radikal, sie stellt Behauptungen auf, die durch nichts bewiesen sind“, mischte sich ein weiterer Bauer ein. „Sie will uns das bisschen Wohlstand nicht gönnen, das uns Mahyco verspricht.“

      „Das ist nicht richtig, sie versucht nur, uns Bauern vor der Ausbeutung durch die Großkonzerne zu schützen, unsere traditionellen Anbautechniken und unser jahrhundertelang bewährtes Saatgut zu bewahren.“ Die zwei erhitzten sich.

      „Ihr habt nicht genau hingehört, die Schwätzer von Mahyco haben gar nichts versprochen“, mischte sich ein weiterer Mann ein.

      „Was hast du früher zwischen deine Baumwolle gepflanzt?“, ereiferte sich der Nachbar.