Andreas Zenner

GMO Indien


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lässt eine Saat zwischen der Baumwolle nicht mehr zu.“

      „Aber bis jetzt ging es doch auch“, meinte einer trotzig. „Und was ist mit der Einsparung an Pestiziden?“

      Der Bus kurvte hupend um die Ecke eine dicke Staubwolke hinter sich herziehend. Jäh endete das Gespräch, denn jeder versuchte, einen Sitzplatz zu ergattern. Doch der heruntergekommene Volvo war schon voll mit schwitzenden Menschen, die Hühner, ja sogar Ziegen mit sich führten und die sich wie Zündhölzer in einer engen Streichholzschachtel drängten. Also kletterten sie auf das Dach. Hier versprach der Fahrtwind wenigstens Kühle, auch wenn die Reisenden damit rechnen mussten, von herabhängenden Zweigen ins Gesicht gepeitscht zu werden. Die Sonne brannte heiß auf die ausgedörrte Landschaft. Auf den Feldern bildeten sich tiefe Risse im Erdreich und harte verkrustete Platten überzogen das Ackerland wie die Schuppen einer großen Schlange. Die Erde schrie nach den Regengüssen des Monsuns. Ermattet lagen die Kühe im Schatten der großen Bäume. Der heiße Wind wirbelte Staubwolken über die Felder und der pulverige Sand kroch in die Kleider und in die Augen der Reisenden. Nach zwei Stunden Fahrt erreichten sie die Stadt. Mühsam bahnte sich der Bus einen Weg durch die überfüllten Straßen. Ochsenkarren und Autos, Fahrräder und Taxis kurvten wild durcheinander, dazwischen Menschen in stoischer Ruhe, gleich den heiligen Kühen. Es roch nach Fäkalien und Schweiß, mittendrin schwebten ein Hauch von Gewürzen und eine Spur von Parfüm. Am Busbahnhof entleerte das klapprige Vehikel seine Fracht. Schimpfend, bepackt mit Bündeln, Ziegen hinter sich her zerrend stoben die Fahrgäste auseinander, wie ein vom Turmfalken gejagter Schwarm Tauben. Einige strebten mit ihren Tieren dem Markt zu, andere hatten dringende Geschäfte bei einer Behörde. Urplötzlich stand Saddik alleine da. Gedankenverloren bahnte er sich den Weg zum Landwirtschaftshandel. Er durchquerte die engen Basare, kaufte sich unterwegs eine saftige Mango, er hatte noch nichts gegessen und der Hunger nagte in seinen Eingeweiden. Warum er unbewusst einen Umweg nahm, wusste er nicht.

      „Ich muss nachdenken“, hämmerte es in seinem Kopf. Doch das schnelle Abwägen einer neuen Situation war nicht Saddiks Stärke. Also landete er schließlich in der Lagerhalle des Landwirtschaftshandels. Er kam nur selten hierher, trotzdem erkannte ihn einer der Verkäufer wieder.

      „Na Saddik, auch Baumwollsamen kaufen?“

      „Ja“, entgegnete der Bauer, er wollte sich weltmännisch geben und äußerte wie nebenbei: „ich will dieses Jahr mal das BT-Saatgut von Mahyco probieren.“

      „Oh“, antwortete der Verkäufer, „das ist aber viel teurer. Du musst pro Hektar mit 4000 Rupien rechnen.“

      „Ich weiß“, entgegnete der Bauer.

      „Willst du nicht doch bei der herkömmlichen Sorte bleiben, die kostet nur 950 Rupien.“

      Aber Saddik hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, dem Elend zu entkommen. Die BT-Baumwolle schien ihm hierfür der einzig gangbare Weg zu sein. Im Stillen hoffte er, die versprochenen Einsparungen an Pestiziden würden den astronomischen Preis wieder wettmachen.

      „Handeln ist nicht“, sagte der Verkäufer. "Der Preis wird uns von Mahyco vorgegeben." Damit hatte Saddik nicht gerechnet.

      „Wir müssen eine hohe Abgabe an Mahyco zahlen und die wiederum führen das Geld an Monsanto ab. Jeder will daran verdienen und je mehr an dem Handel beteiligt sind, desto teurer wird das Produkt. Willst du es dir nicht doch noch einmal überlegen?“

      Doch Saddik blieb stur, beharrte auf den BT-Samen. Vor seinen Augen tanzte das Bild mit der weißen neuen Hütte dahinter die blühenden Baumwollfelder. So wie es im Prospekt abgebildet war.

      „Dann musst du noch eine Erklärung unterschreiben“, seufzte der Verkäufer, dem es nicht wohl war, armen Landwirten teures Saatgut zu verkaufen.

      „Wie das?“, fragte Saddik erstaunt. Er hatte noch nie etwas unterschreiben müssen, wenn er in früheren Jahren Samen kaufte.

      „Das verlangt Monsanto von jedem Bauern, der ihr neues Saatgut einsetzt.“

      „Und was steht da drin?“, wollte Saddik wissen und sein gesunder Menschenverstand riet ihm, auf der Hut zu sein.

      „Da steht, du darfst das Saatgut nicht vermehren, nur das dazu passende Pestizid verwenden, du darfst die Samen nicht weitergeben und musst jedes Jahr neues Saatgut erwerben. Du erlaubst damit den Mahyco Leuten, deine Felder zu kontrollieren. Das ist das Wichtigste.“

      „Aber so etwas haben wir noch nie unterschrieben“, protestierte Saddik schwach. Die Situation überforderte ihn.

      „Tut mir leid“, meinte der Verkäufer, „ohne diese Unterschrift darf ich dir die Samen nicht verkaufen.“

      „Was soll's“, lachte Saddik unsicher, „es wird mich schon nicht den Kopf kosten.“ Und er setzte seine ungelenke Unterschrift unter den Knebelvertrag. Der Verkäufer schluckte, sagte aber nichts. Sie tranken eine Tasse Tee miteinander und der größte Teil des Geldes wechselte den Besitzer.

      „Dann bis zum nächsten Jahr“, verabschiedete sich der Verkäufer und wandte sich einem weiteren Kunden zu. Die leise mahnende Stimme beruhigte Saddik mit dem Gedanken: „Wenn das Saatgut nicht hält, was es verspricht, kann ich ja wieder zu meinen altbewährten Baumwollsamen zurückkehren, nächstes Jahr.“ Dass er seine Tochter verpfändet hatte, verdrängte er. Nein, heute wollte er sich die vage Hoffnung auf ein bisschen Glück nicht zerstören lassen. Er kam sich vor wie ein kleiner Junge, der sich sehnsüchtig die Nase an der Schaufensterscheibe eines Spielwarenladens platt drückte. Nur dass es hier keine Scheiben gab und Saddik kein kleiner Junge mehr war. Saddik, den Sack Samen über der Schulter, schlenderte zurück zum Busbahnhof. Sein Herz hüpfte und vor seinem inneren Auge erstrahlte eine goldene Zukunft. Alles erschien in rosigem Licht, fröhlicher und farbiger leuchteten die Saris der Frauen, das Obst auf den Karren.

      „Ja“, jubelte er, „ja“ und er träumte von einem eigenen Fahrrad, vielleicht einer weiteren Kuh, einer Aussteuer für die Tochter.

      Der Bus fuhr erst gegen Abend zurück und so blieb Saddik genügend Zeit, sich in der Stadt umzusehen. Er ließ sich durch die schmutzigen Gassen treiben, sah den Messingschmieden bei der Arbeit zu, die mit Meißel und Hammer verschlungene Muster in das goldene Metall trieben. Er roch an den vielfältigen Gewürzen der Händler, vieles davon hatte er noch nie besessen, wusste nicht einmal wie die Spezereien hießen. Er wiegte sich ein wenig im Rosenduft des Parfümmachers, befühlte den festen dunkelblauen Stoff der Jeans und träumte vor sich hin. Nur die Samen im Leinensack hielt er fest umklammert. Ramesh kannte keinen Neid, das kam in seiner Religion nicht vor, doch wehmütig betrachtete er die festen Häuser. Die in bunt schillernde Seidensaris gewickelten gepflegten Frauen mit der samtweichen Haut und dem schwarzen nach Jasmin duftenden Haar. All das war für seine Familie unerreichbar, sagte ihm sein Verstand. Aber träumen durfte man wenigstens. Er hatte gehört in anderen Ländern der Welt gäbe es keine Kasten, keine Standesunterschiede. Doch das konnte er sich nicht vorstellen. Nein, in Indien herrschten die Kasten schon seit tausenden von Jahren, daran würde sich nie etwas ändern, zwecklos dagegen aufzubegehren. Der Zufall lenkte seine Schritte ins Bordellviertel. Verschämt glotzte er die jungen Frauen an, manche fast noch Kinder, die ihn mit schamlosen Gesten zu sich lockten. Schöne Leiber waren darunter Gesichter mit glutvollen schwarzen Augen, die fast durchsichtigen Saris zeichneten die Konturen von Brüsten, Bäuchen und Pobacken mehr ab, als sie verhüllten. Saddik senkte den Blick, schlicht verstohlen weiter gleich einem ertappten Voyeur. Aus einem der Häuser mit halb angelehnten Fensterläden schwebte der Klang einer Sitar. Saddik seufzte, er hatte Hunger und Durst, hätte sich zu gerne eine saftige Wassermelone gegönnt. Doch er wusste, die verbliebenen Rupien durfte er nicht ausgeben. Sein Blick blieb an einer Schar junger Mädchen hängen, die vor dem Eingang eines verdreckten Hauses auf den Treppenstufen saßen, die Beine breit. Sie mochten zehn bis zwölf Jahre oder sogar jünger sein. Ihre traurigen Augen musterten ihn mit ergebenen Minen, schienen zu sagen, komm nicht zu uns. Er beobachtete einen feisten alten Mann der sich eines der Mädchen griff, sie hinter sich her in das Haus zerrte. Sie wehrte sich nicht, hielt den Kopf gesenkt, ging einfach mit, willig. Sie kannte es nicht anders. Ein Kinderbordell, schoss es Saddik durch den Kopf. Erschrocken wandte er sich um, hastete mit schnellen