Michael Stuhr

MICHAEL STUHRS FANTASY-DOPPELBAND


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schob Teri ihren Körper vollends aus dem schmalen Spalt und kletterte eilig die Felswand hinab. Der Obmann wollte sie sprechen? Jetzt schon? Was konnte das zu bedeuten haben? "Was will Athan denn von mir?", fragte sie atemlos, als sie auf festem Boden vor dem Verkünder stand.

      "Athan?" Der Verkünder schüttelte den Kopf. "Nicht Athan - Tees, der Obmann der Former ist es, zu dem ich dich bringen soll."

      Mit ernstem Gesicht ging der Verkünder voraus.

      Teri überlegte angestrengt. Was konnte Tees von ihr wollen? Hatte sich vielleicht jemand über sie beschwert? Oder sollte sie vielleicht sogar belohnt werden, für irgend etwas, von dem sie gar nichts wußte?

      Im Formerfelsen angekommen, gingen die beiden direkt in die Werkstatt des Obmanns, der sie schon erwartete. Teri fiel sofort die bedrückte Stimmung auf, in der sich alle Anwesenden befanden. Mehrere Kollegen ihres Vaters hatten sich hier versammelt.

      Bei Teris Eintreten verstummte das leise Gespräch der Männer und Frauen endgültig. Alle standen schweigend in dem düsteren Raum und blickten zu Boden. Plötzlich aufwallende Angst überkam Teri. Was ging hier vor? Warum waren alle so ernst?

      Tees räusperte sich. Mit fahrigen Bewegungen nahm er einen Holzstab von seiner Werkbank und betrachtete ihn kurz mit abwesendem Blick. Dann richtete er das Wort an Teri.

      "Ich, ich muß dir leider eine traurige Botschaft übermitteln." Unsicher sah er das Mädchen an. "Du weißt, dass deine Eltern im Auftrag der Zunft unterwegs sind, um seltene Tonerden aus der Provinz Astrad einzukaufen."

      Teri nickte stumm. Diese ersten Sätze Tees' waren wie ein Schlag in den Magen für sie gewesen. Es ging um ihre Eltern. Ihren Eltern war etwas zugestoßen. Sie wollte nichts mehr hören, nicht erfahren was geschehen war. Am liebsten wäre sie fortgelaufen, aber das würde ja doch nichts helfen. Mit einem kleinen Rest von Hoffnung sah sie zu Tees auf.

      "Wir haben Nachricht aus Astrad erhalten", fuhr Tees fort. "Deine Eltern haben vor fünf Tagen die Grenze bei Darun überschritten, sind aber nicht bei den Tongruben angekommen."

      Teri sah das Bild ihrer Eltern vor sich, wie sie sich von ihr verabschiedet hatten. Ihr Vater war schon immer als Vertrauensmann der Zunft zu den Tongruben gegangen, um dort das nötige Material einzukaufen. Auch seine Frau hatte sich im Lauf der Jahre eine hohe Sachkenntnis angeeignet, was die Qualität des Tons anging. So waren die beiden einmal jährlich, jeweils im Frühling, gemeinsam aufgebrochen, um die Einkäufe für die Zunft zu tätigen.

      In den Gruben von Astrad ließen sie von den dortigen Meistern Depots anlegen, die dann im Sommer nach und nach von Arbeitern nach Thedra gebracht wurden. Auch in diesem Jahr war Teri für die Dauer der etwa zehntägigen Reise bei ihrer verwitweten Großmutter einquartiert worden.

      "Die Schachtmeister der Gruben haben sich mit ihren Leuten auf die Suche gemacht." Tees sprach jetzt ganz leise. "Im Feuchtland haben sie den Zunftkarren und ..."

      Teri war es, als sei sie betäubt. Stumm stand sie da und schaute auf den Obmann der Former, der verzweifelt nach Worten suchte.

      "...Teri, deine Eltern leben nicht mehr."

      Teris Verstand weigerte sich einfach, die Worte des Zunftmeisters zur Kenntnis zu nehmen. Das mußte alles ein böser Traum sein.

      "Wir haben deiner Großmutter bereits die Nachricht überbracht." Tees wußte nicht, wohin mit seinen Händen. Krampfhaft klammerte er sich an das Holzstück in seiner Hand. "Sie hat sich sehr darüber aufgeregt." Tees ging jetzt in die Hocke und sah Teri gerade ins Gesicht. "Teri, deiner Großmutter geht es sehr schlecht. - Geron ist bei ihr und versucht, ihr zu helfen. - Du kannst im Moment nicht bei ihr wohnen. Sie braucht sehr viel Ruhe. - Teri, wir haben soeben beschlossen, dass Du bis auf Weiteres Kind der Zunft sein wirst. Deine Schlafstatt soll bei Tana, eurer Nachbarin, sein. Ich hoffe, Du bist mit dieser Lösung einverstanden.

      Tana trat aus der Reihe der Umstehenden und legte eine Hand auf Teris Schulter. "Hiermit nehme ich sie auf, bis sie ihr Leben zu meistern vermag!", sprach sie die alte Formel aus.

      Damit waren alle Bande, die Teri auf dieser Welt gehabt hatte, zerrissen. Jetzt war sie eine Bettlerin - ein nutzloses Kind, das von der Gnade der Zunft lebte. Ausgeliefert auf Gedeih und Verderb. - Nicht das Brot wert, das sie aß.

      Tana rüttelte sachte an Teris Schulter. "Teri, komm jetzt, wir sollten jetzt gehen. Willst du mit mir kommen?"

      Stumm nickte Teri. Stumm ließ sie sich in Tanas Höhle führen, und stumm weinte sie in den Nächten in ihr Kissen.

      Wenige Tage später erhielt Teri die Nachricht vom Tod ihrer Großmutter. Jetzt war sie wirklich allein.

      KAPITEL 4 - DIE `GROSSE GELIEBTE'

       Ein Kaufmann ohne Geld ist wie ein Bauer ohne Land.

      Tief drang das Vorschiff der „Großen Geliebten“ in die Dünung ein und bohrte sich krachend in die heranrollende Welle. Knirschend spannten sich die Taue, mit denen die Ladung auf Deck verzurrt war - und wieder stürzte ein Schwall salzigen Wassers über die großen Ballen hinweg.

      Llauk hatte sich mit einem Tauende an der Reling festgebunden und schaute in stummer Verzweiflung zu, wie die Gewalt der Wellen an seiner Fracht riß. In den ersten Stunden hatte er noch seinen Zorn in den Wind hinausgeschrien, gelobt, dass er diesen Kapitän töten würde, der sein Schiff so erbärmlich überladen hatte; aber die `Große Geliebte' hatte ihn alsbald mit ihren wilden Bewegungen zum Schweigen gebracht.

      Llauk war in jeder Beziehung am Ende. Die Seekrankheit hatte ihn, den Binnenländer, mit ihrer ganzen Kraft gepackt und hielt ihn in ihren Klauen. Seine guten Stoffe waren von Salzwasser durchtränkt und verdorben, und seine ganze Habe hatte er für die Passage zu den Westlichen Inseln versetzen müssen.

      Achtzig Bronzestücke hatte der Kapitän für Fracht und Überfahrt verlangt. Ein Vermögen! Dafür hatte er Llauk eine problemlose, gemütliche Überfahrt versprochen. Gerne hätte Llauk dieses dramilische Großmaul von Kapitän mit bloßen Händen erwürgt, aber erstens wäre das nicht klug gewesen, solange man noch auf See war, und zweitens war Llauk auch nicht der Mann, diesem Baumstamm von Kerl offen entgegenzutreten.

      Dabei hatte alles so hoffnungsvoll angefangen:

      Llauk, Stoffmacher aus der Provinz Idur, hatte schon lange den Plan gefaßt, die seiner Meinung nach horrenden Handelsspannen der thedranischen Kaufleute zu umgehen. Brachten seine Zunftgenossen jedes Jahr vor Frühlingsbeginn alle ihre Stoffballen zur Hauptstadt, um sie dort, seiner Meinung nach viel zu billig, zu verkaufen, so hatte Llauk in den vergangenen Jahren jeweils einen großen Teil der Ware zurückgehalten, um für eigene, bessere, Geschäfte gerüstet zu sein.

      Sein Plan stand fest: Wenn er erst genügend Stoffe gehortet hätte, würde er sich selbst auf ein Schiff wagen, um sie im Ausland teuer zu verkaufen. Selbstverständlich würde die Kaufmannschaft Thedras ihm Schwierigkeiten machen, das war klar. Llauk verbrachte einen Gutteil seiner Zeit damit, sich immer neue, wirkungsvolle Streitreden auszudenken, die er halten wollte, falls ihm Steine in den Weg gelegt würden.

      So war er dann streitlustig mit seiner Ware in Thedra angekommen. Zu seiner Enttäuschung hatte im Schneckenhafen, wo er seine Stoffe einlagerte, überhaupt kein Mensch Notiz von ihm und seinen Plänen genommen. Dafür stellte sich ihm ein anderes Problem in den Weg:

      Die Kapitäne der thedranischen Schneckenschiffe hatten zwar alle nichts gegen die Fracht eines Stoffmachers aus Idur einzuwenden - aber die Frachtraten, die sie forderten, waren allesamt so unglaublich hoch, dass Llauks Geld noch nicht einmal für eine Überfahrt nach Cebor, der nächstgelegenen Hafenstadt, gleich südlich des großen Gebirges, gereicht hätte.

      Da war Llauk zum erstenmal wankend geworden.

      Natürlich hatten sich die Kapitäne mit den Kaufleuten gegen ihn verbündet, redete er sich ein. Man wollte einfach nicht, dass er mit seiner Ware den Hafen verließ. Man fürchtete, dass er, Llauk, den Beweis anträte, dass so bessere Profite zu machen seien.

      Aber sein