Michael Stuhr

MICHAEL STUHRS FANTASY-DOPPELBAND


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sie dort und schauten erwartungsvoll auf das steinerne Podest am Ende des Platzes. Hell klangen die kleinen Marschtrommeln der Verkünder über die Köpfe der Menge hinweg.

      Teri beeilte sich. Gleich würden die Fanfaren erschallen, dann mußte sie in der ersten Reihe sein!

      In letzter Sekunde verzögerte sie ihren Lauf und drängte sich mit verzweifelter Kraft zwischen den eng zusammenstehenden Menschen hindurch. Langsam, viel zu langsam, kam sie vorwärts. Sie kam sich vor, wie eine Fliege im Honigtopf - irgendwann würden ihre Kräfte erlahmen und die zähe Masse um sie herum würde sie zum Stillstand bringen. Mit der ganzen Kraft ihres siebenjährigen Körpers schob sie sich zwischen den Leibern der Erwachsenen hindurch.

      Erste Beschimpfungen wurden laut. Knapp nur entging sie einem halbherzig geführten Schlag. So ging es nicht weiter! Kurz entschlossen ließ Teri sich zwischen zwei fetten, bleichen Kaufleuten zu Boden gleiten. Hier hatte sie viel mehr Bewegungsfreiheit. - Dass sie auch nicht sofort auf diese Idee gekommen war! Auf allen Vieren raste sie förmlich zwischen den Beinen der Herumstehenden hindurch.

      Einige Männer fluchten laut, andere waren amüsiert, einige Frauen schrien erschreckt auf, aber alle nahmen doch die Füße brav aus dem Weg, wenn Teri gegen ihre Waden prallte.

      Nach kurzer Zeit sah Teri die letzte Reihe Beine vor sich, direkt dahinter die Mauer des Podests. Eilig arbeitete sie sich dorthin durch und richtete sich vorsichtig auf, um die Umstehenden nicht zu verärgern.

      Nie sah man ein freundlicheres Kind aus einer Menschenmenge auftauchen. - Niemand wäre je auf den Gedanken gekommen, dass dieses zarte, blonde, lächelnde Geschöpf eben noch verbissen um jede Elle Raum gekämpft, dabei in Waden gekniffen und mit der blanken Faust auf nackte Zehen geschlagen hatte. So rückten die Leute bereitwillig noch ein wenig mehr aneinander und Teri konnte sich direkt vor dem Podest vollends aufrichten. Freundlich strahlte sie zu ihren Gönnern, einem kleinen, stämmigen Scharmann und seiner fein herausgeputzten Frau, hinauf und wandte sich dann dem Geschehen vor ihr zu.

      Teri war an die äußerste rechte Seite der Tribüne geraten. Besser hätte sie es gar nicht treffen können. So hatte sie die gesamten Vorgänge mit einem Blick unter Kontrolle und lief nicht Gefahr, etwas das außerhalb ihres Blickfeldes geschah zu versäumen.

      Direkt vor Teri, kaum eine Elle entfernt, stand einer der Verkünder. Die Marschtrommel, von dem Mann in rasendem Takt geschlagen, hing genau über ihrem Kopf.

      Die Verkünder waren die einzigen Bewohner Thedras, die ungestraft Lärm machen durften, ja sogar mußten. Alle Neuigkeiten von Belang wurden durch diese Männer und Frauen täglich zu festgelegten Zeiten verkündet. Darüber hinaus brachten sie den Bewohnern der Stadt die Verordnungen der Beamtenschaft zu Ohren, und auch die Kapitäne der Schneckenschiffe bedienten sich ihrer, um Mannschaften für ihre Frachter anzuwerben.

      Mit einem furiosen Wirbel der Trommelstöcke beendete der Mann vor Teri sein Spiel und griff zu der kupfernen Fanfare, die an einem breiten Seidenband von seiner Schulter hing. Teri hielt die Luft an und schaute schnell zu den etwa dreißig Halbwüchsigen hin, die mit erwartungsvollen Gesichtern auf dem hinteren Teil der Tribüne standen. Wer von ihnen würde wohl zu den Auserwählten gehören?

      Wilder Neid erfaßte Teri unvermittelt. Heute wurden die neuen Scharleute gewählt. - Die Scharleute, die auf den fliegenden Schiffen fahren und Waffen tragen durften. - Die Scharleute, die alle nur denkbaren Privilegien genießen und in die entferntesten Länder reisen würden. Unwillkürlich schloß Teri ihre Hände zu Fäusten. Wenn sie nur alt genug gewesen wäre, dann würde sie jetzt dort oben stehen - und ganz sicher würde sie ausgewählt werden.

      Gleichzeitig hoben alle sechs Verkünder ihre glänzenden Instrumente an die Lippen und schon der erste, durchdringende Ton beendete das Gemurmel und Getuschel auf dem Versammlungsplatz.

      Teri betrachtete die Gruppe der Bewerber, die sich im Alter von zwölf Jahren in die Rolle der Scharanwärter einschreiben konnten. Teri traute es sich zu, jeden einzelnen von ihnen in jeder denkbaren Disziplin zu schlagen. Ihr Blick blieb an den Augen von Aeta hängen. Noch im vergangenen Sommer hatten Teri und Aeta am Strand zusammen gespielt. Teri mochte das drahtige, brünette Mädchen. Im Spiel war sie eine der Ehrgeizigsten und Schnellsten gewesen. Nun gut, das mochte für einen Mannschaftsgrad ausreichend sein, aber Teri fand, dass es nicht ausreichte, stark und schnell zu sein, um ein Schwalbenschiff zu leiten. Aeta würde es nie zum Kapitän bringen, Teri hielt sie einfach für zu dumm.

      Oder Raag mit seinem massigen Körper. Sicher, er war kräftig wie kein anderer seines Alters, aber welcher Kapitän würde ihn haben wollen? Raag bewarb sich nun schon im dritten und letzten Jahr um einen Platz in der Sturmflottenschar. Aber er war viel zu schwer. Der Kapitän, der ihn auswählte, könnte sich ja gleich einen Felsbrocken in den Mast hängen, befand Teri. "Soll der Kerl doch Schneckenschiff fahren!", zischte sie zwischen halbgeschlossenen Lippen hervor. Fünf Jahre fehlten ihr, um sich bewerben zu können, lächerliche fünf Jahre. - Es war einfach ungerecht!

      Teris heimliche Hoffnung war es, dass der Obmann der Kapitäne bekanntgab, dass dieser jämmerliche Haufen von fetten Idioten zu gar nichts tauge und man das Alter für Bewerbungen darum auf sieben Jahre herabsetze. Dann würde Teri als erste auf die Bühne steigen, dem Obmann wissend zunicken, ihm die Hand reichen und sich als erste in die Liste einschreiben. So würde sie es machen. Ganz bestimmt!

      Plötzlich verstummten die Fanfaren. Erwartungsvolle Stille lag über dem Platz. An die dreitausend Menschen warteten darauf zu erfahren, welchen Familien in diesem Jahr die Ehre zuteil wurde, ein Mitglied der Sturmflottenschar hervorgebracht zu haben.

      "Der Obmann der Kapitäne der Schwalbenschiffe!", rief der Erste Verkünder überflüssigerweise über die Köpfe der Menge hinweg. Jeder kannte Athan, den dienstältesten Kapitän der Flotte der fliegenden Schiffe.

      Der Mann neben Teri setzte sich in Bewegung und stieg die Stufen zum Podest hinauf. Teri konnte es kaum fassen, der Obmann hatte direkt neben ihr gestanden, sie hatte ihm sogar ins Gesicht gesehen, und sie hatte ihn in ihrer Aufregung nicht erkannt.

      Athan ließ sich Zeit mit seinem Auftritt. Klein und drahtig wie alle Scharleute, wirkte er in seinem Anzug aus gelber, geölter Seide wie eine Quelle reiner Energie. Trotz seines Alters, Teri schätzte ihn auf mindestens dreißig Jahre, bewegte er sich geschmeidig auf die Mitte des Podiums zu.

      Ruhe gebietend hob er die Hand, als einzelne Hochrufe laut wurden. Aus seiner Tasche, die um seine Schultern hing, nahm er eine flache Holzschachtel, von der er mit geübten Handgriffen den Deckel entfernte. Zum Vorschein kam ein Rahmen aus Leisten, der fast zu ganzer Höhe mit gelbem Ton ausgefüllt war.

      Den Deckel der Schachtel legte Athan nun unter das Bodenbrett der Tafel und hielt diese mit beiden Händen über den Kopf. "Die Versammlung der Kapitäne hat gewählt!", gab er bekannt, "Diese Tafel trägt die Namen der Matrosen, die wir in diesem Jahr in Dienst nehmen werden!"

      Teri versuchte angestrengt, einen der Namen zu entziffern, oder wenigstens die Anzahl der Kandidaten festzustellen, konnte aber wegen der Entfernung nichts erkennen.

      "Ich werde die Namen nun verlesen", fuhr Athan fort und nahm die Tafel wieder herunter. "Erwählt ist Rean, Tochter der Kaufleute Deril und Ewron!" Athan ließ die Tafel sinken, während Rean mit hochrotem Gesicht nach vorn gestolpert kam und sich neben ihn stellte.

      "Erwählt ist Sigo, Sohn der Former Ohbit und Aslan!" Wieder kam ein linkisches Geschöpf aus der Gruppe der Wartenden und stellte sich, verlegen grinsend, neben Athan.

      Teri sah dem würdelosen Schauspiel verächtlich zu. Die armen Kapitäne! - Was hatten die sich da bloß ausgesucht?

      Weiter verlas der Obmann die Namen der Erwählten. Mit jedem neuen Namen sank Teris Hoffnung tiefer. Immer größer wurde die Schar stolzer und verlegener Halbwüchsiger, die sich neben Athan aufstellten. Auch Aeta war dabei – natürlich - und Dacol, der Sohn eines Hirten, der mädchenhafter wirkte, als manche der jungen Frauen auf der Tribüne.

      Schließlich ließ der Obmann die Tafel endgültig sinken. sechzehn Auserwählte standen neben ihm.

      Athan trat zwei Schritte vor, wandte sich um und richtete das