Angelika Merkel

Vermächtnis der Sünder Trilogie


Скачать книгу

      Vermächtnis der Sünder

      Götterseelen

      Von Angelika Merkel

      Dritter Brief

       Wir befanden uns auf der Suche nach Antwort. Jagten jenen, der das Heilmittel in seinen Besitz gebracht hatte. Unsere Reise führte zu eine Handvoll San-Hüter, die die Schriften der Schöpferhäuser hinterfragten. Ihre Nachforschung brachte sie zu einem uralten Pergament, das lang vergessen und verschollen geglaubt. In ihr wurde von den Kindern des Schöpfers berichtet. So trugen sie die Kunde von den göttlichen Schöpferkindern zu uns. Doch nagte der Zweifel in jedem. So traf es Lutek tief, als er erfuhr, dass Karmaste nicht das innehatte, was er ihn ihr gesehen hatte. Er stellte die Worte des Allmächtigen in Frage, letztendlich hatte er sich entscheiden müssen. Glaubte er ihr, die eine falsche Prophetin sei, oder ihm, der ihn wissen ließ, Karmaste habe ihn verraten. Wir erkannten, dass alles nur Lüge war. Weder war der Allvater der einzig wahre Gott noch die Erzalten finstere Wesen, die seinen Thron beanspruchten. So formte sich Bruchstück um Bruchstück zu einem gigantischen Spiel. Eines dieser Teile wollte ich nicht wahrhaben. Die erschreckende Tatsache, Nacud sei ein Nachkomme der Nemibistar Magister. Nicht nur er, nein, die anfänglichen San-Hüter waren Abkömmlinge jener, die die Stadt des Lichts eroberten. Das Geheimnis, das Morco hütete, ward eng damit verwoben. Demzufolge wurden die ersten des Ordens die Erben der Verderbnis. Sie büßten für den Frevel ihrer Väter. Lockten Rekruten in ihren Dienst, um einen Krieg zu führen, der nicht der ihre war. Ihre abscheulichste Schandtat enthüllte sich uns bald. Sünden, die auch andere Welten verschlang. Wozu erhielten wir mehr Zeit? Wir spürten es in den unsrigen Herzen, wagten es allerdings nicht, auszusprechen. Celena sagte daraufhin schulterzuckend, die Zukunft sei ungewiss. Zeit sei deshalb ein bedeutender Trost, als das "Geschenk“ ein San-Hüter zu sein, der jeden Augenblick seines kurzen Lebens genoss. Denn schon Morgen lag es im Bereich des Möglichen, im Kampf zu fallen oder von denen getrennt zu werden, die er liebte. Wir waren unfähig den Moment auszuleben, obschon das Hier und Jetzt zählen mochte. Erfreuten uns lediglich unseren Träumen, unseren Hoffnungen. Doch wer um die Zukunft wusste, der konnte die Gegenwart nicht auskosten. Einst sagte jemand, es ist nicht wichtig, wie lange man lebt, sondern wie man lebt. Was das bedeutete, das erfuhren wir bald. Stets stellten sich hierbei die Fragen: Musste das Wohl einzelner für ein höheres Ziel zurückstehen? Setzte das Wohlergehen eines Einzelnen das Wohlbefinden aller voraus? Wie entschied man, um einen oder viele zu opfern, ehe vom Gefüge nichts mehr blieb? Richtig oder falsch, der Grat solcher Moral war dünn. Celenas Antwort hierzu: Erkundige dich nicht bei Gott. Frage die Menschen nach dem Warum und du wirst in die Schwärze ihrer verdorbenen Seelen blicken. Es ist nicht das Schicksal. Es ist nicht der göttliche Wille. Es ist der Mensch allein. Gerade wird mir unterstellt zu hochtrabend in meiner Schreibweise zu sein. So sei es denn. Lasst mich geradewegs berichten, was als Nächstes geschah. Doch zunächst, ihr habt es erraten, werde ich mich auf die Suche nach meiner Lieblingsnahrung, dem Käse, begeben. Jemand hat ihn vor meinen Augen verborgen. Ich glaube zu wissen, wer sich diesen Scherz erlaubte. Meine Gefährtin, die all die langen Jahre hindurch nicht von meiner Seite wich, meinte kürzlich, ich würde zu dick werden. Sie übertreibt maßlos!

      König Belothar von Hadaiman

       Nebel bahnt sich seinen Weg,

       steigt vom Lande himmelwärts.

       Mutet an wie ein seltsam Traum,

       der sich zwischen den Zeiten regt.

       Der Wall von Dunst umgarnt die Welt.

       Auch die Sonnenstrahlen entfliehen.

       Kein Lied vermag hindurch zu klingen,

       nur ein Schweigen die Länder beseelt.

       Und weit darüber hinaus erstrahlt

       am Sternenhimmel unzählige Welten.

       Unverhofft sie durch die Wolken glimmen.

       Gesang der Götter am Ohre hallt.

       Ein Pfad dorthin kreuzt kristallen Flut

       inmitten der Meeresstrudel Wogen.

       Sanft auf weißen Flügeln sich wiegt

       ein Segelschiff mit kostbaren Gut.

       Zeit ist es, an Abschied zu denken.

       Sehnsüchtig ruft die fremde Welt.

       Eines Tages sie wiederkehren,

       Leben nehmen und Leben schenken.

      Kapitel 1

      Rauchschwaden umwehten das grau melierte Haupt des Mannes, der auf einer der steinernen Bänke saß. Das linke Bein ruhte bequem auf dem Knie des andern. Kein Muskel zuckte in den ausgezerrten, bärtigen Zügen.

       Dort, zwischen rankenden blattlosen Dornenbüschen prunkten trotz der Kälte weißlich-rötliche Blüten. Er verlor sich in dem Anblick der Winter blühenden Pflanze, die niemandem außer ihm aufzufallen schien.

       Terzios Kopf fuhr herum, nachdem die zu den Schlossgärten führende Tür mit quietschendem Geräusch geöffnet wurde. Eine Gestalt mit fuchsrotem Haar erschien, die den Garten heimlich zu durchqueren beabsichtigte. Müde erhob sich der Hüter. Mit weitausholenden Schritten trat er dem Ankömmling entgegen.

       »Lutek?!«

       Der Angesprochene würdigte dem Vater keines Blickes. Vielmehr wollte er den alten Mann unbeachtet stehen lassen. Kurzerhand stoppte er.

       »Was willst du?«, fragte er.

       »Ich möchte eines von dir erfahren! Warum?«

       »Seit wann kümmert es dich?« Ein Anflug von Zorn lag in der Stimme Luteks.

       Terzios schnaufte auf. Er wollte nicht streiten. Er hatte Fehler begangen, nachdem sie aufeinandertrafen, nicht die geringste Möglichkeit gefunden, darüber zusprechen. Gutmachen konnte er die verlorene Zeit nicht, das war ihm klar. Er besaß jedoch kein Herz aus Stein.

       »Seitdem ich meinen Sohn wiederfand«, sagte der Graubart mit belegter Stimme.

       Den Blick zuvor zu Boden gerichtet, fasste Lutek dem Gegenüberstehenden scharf ins Auge. »Es hatte dich bis zum heutigen Tage nicht interessiert.« Wut blitzte in den Seelenfenstern. »Wieso jetzt?«

       »Um dich vor einer Dummheit zu bewahren. Ich möchte nicht, dass du den gleichen Fehler begehst, den ich mit deiner Mutter beging.«

       »Ach? Du fragst nicht, warum ich mit dir bisher kein Wort gesprochen hatte? Ich sage es dir! Du interessierst mich nicht. Deshalb halte dich aus meinem Leben heraus.«

       Lutek vermochte den aufwallenden nassen Glanz in seinen Augen nicht unterdrücken. Furcht und Traurigkeit hatte von ihm Besitz ergriffen. Abrupt wandte er sich ab, zögerte jedoch, seinen Weg fortzusetzen.

       Mit fahrigen Bewegungen kramte er in einer der Taschen herum, bis er das Gesuchte herausfischte. »Hier Vater … gib es Celena. Sie wird es verstehen.«

       Ohne eine Erklärung, legte er Terzios den Gegenstand in dessen Hand und ging. Der alte Hüter sah schweigend hinter seinem Sohn her, bis dieser aus den Augen entschwand. Schließlich fiel der Blick auf das kleine Ding in der Handfläche. Verwundert darüber runzelte er die Stirn.

       * * *

      Am Türpfosten lehnend, beobachtete Sebyll Celena, die auf einem Stuhl vornübergebeugt, ins Leere starrte. In Kummer und Trauer verfallen, saß sie bewegungslos inmitten der Bibliothek.

       Nichts und Niemanden nahm sie wahr. Die Welt um sich herum empfand sie in diesem Moment öd und inhaltslos. Er war weg. Nicht einen Blick hatte er ihr gewürdigt. Nicht ein Wort des Abschieds kam von seinen Lippen. Umgedreht hatte er sich und ließ sie abseits stehen.

       Hier wollte sie keinen Augenblick bleiben. Einfach fortgehen. Sich all dem Abwenden. Nie mehr zurückblicken. Wohin aber ohne Ziel, ohne Heimat? Wohin ohne jeglichen Willen in ihrem Herzen, indem der Funken sämtlicher Hoffnung in Einsamkeit, zu ersticken drohte.

       Sie sollte den Ritt in die Finsternis der