Angelika Merkel

Vermächtnis der Sünder Trilogie


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er zu einem Dolch, der an einer silbernen Kette an seiner mit Pelz besetzten Jacke hing und beging ein Sakrileg. Jener ohnedies schon arg durch das Feuer in Mitleidenschaft gezogene Foliant fiel der scharfen Klinge zum Opfer. Die Schnitte drangen rüpelhaft tief ein und durchtrennten die Heftbünde.

       »Was im Namen ...«, entfuhr es Jeamy, die in bequemer Haltung den Türrahmen stützte.

       Mit aller Kraft riss Belothar an den von professioneller Hand gearbeiteten Einband, der protestierend nachgab. Er schob das nunmehr vollständig zerfledderte, bibliothekarische Wrack beiseite und machte sich daran, das kunstvolle Leder von den hölzernen Deckeln zu lösen. Es war schwerer als gedacht. Trotz schweißtreibender Anstrengungen gewann er diesen Kampf aus roher Gewalt. Vom befreit entblößte sich das Holz, dass die Seiten des Werkes umfasst hatten.

       »Was hat der Kindskopf nun wieder angestellt?!“, entrüstete sich Sebyll über die Zerstörungswut des Königs. Belothar dachte nicht daran, auf die Spitze einzugehen.

       Deirdre aus der Dämmerung ihres erwacht, blickte irritiert auf das Ausmaß der Bescherung. Tadelnd sah sie Belothar an. Sebylls Finger streckten sich derweil den Überresten entgegen.

       »Was soll der Unfug?« Im selben Moment zuckte die Gryposfrau zurück, kaum dass sie den Holzdeckel berührt hatte. Winzige kryptische Zeichen und Symbole waren in das alte Holz eingeritzt.

       »Das kann nicht sein. Sieh mal, Vater!«

       Von Sebylls Ruf aufgescheucht, wenngleich eher widerwillig, näherte sich der von Narben verzierte Mann. Er beäugte Belothars Werk mit Abscheu. Die Züge im halb zerstörten Gesicht des Gryposmannes schlugen in Überraschung um.

       »Was habt ihr beide?«, fragte Deirdre voller Neugier.

       Mit der Fingerspitze fuhr Torran ehrfürchtig über die Schrift, welche ins Holz des Deckels eingebrannt worden waren. »Kam lagði dhéannan've luceo, a bheath verour Vald cmhachtaí! - Wer immer dieses Schwert trägt, der möge meiner Macht würdig sein.« »Moment! ... wie?«, hakte Belothar nach. In ihm regte sich etwas, was ihm zuvor unbegreiflich schien. Es fühlte sich an wie aufgewühltes Wasser, das seine Seele umspülte oder die Spitze einer Klinge, die inmitten kreisförmiger Wellen daraus emporstieg. »Es ist die Sprache der Götter. Sie ist uralt. Deshalb ist es möglich, dass ich die Betonung falsch ausspreche. Möglich, das einige Wörter völlig anders gesprochen werden. Es bedeutet so viel wie: Wer immer dieses …«, versuchte, Torran nochmals zu erklären. Der König schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nein«, unterbrach er den Hünen. »In ihrer Sprache. Wiederholt es!« Augen rollend kam Torran der Aufforderung nach. »Kam lagði dhéannan've luceo …« »Augenblick! ... ve luceo?« »Dieses Schwert«, übersetzte Torran ein drittes Mal. »Das ist nicht richtig, Vater«, widersprach Sebyll. »Genaugenommen bedeutet es "Frucht".« »Es hat mehrere Bedeutungen«, knurrte der Gryposmann genervt. »Es heißt sowohl "Frucht" als auch "hell", "erleuchtend" oder als Beinamen der Schwertlilie. Abgeleitet davon … "Schwert".« Er seufzte. »Manchmal sollten die jungen Leute schlicht auf die Alten hören.« Wissend verschränkte Torran nachhaltig seine Arme. Das Geplänkel drang nicht zu Belothar vor. Luceo … Schwert … verinnerlichte er sich. Wer immer dieses Schwert … Luceo - Luk … Lutek! Sinnierte er weiter. »Was bedeutet Estrellia?«, wandte sich der König an den riesenhaften Gryposmann. »Stern. Warum?« Freudig strahlte Deirdre über das ganze Gesicht. »Ja. Das ist es«, flüsterte sie. Erkenntnis hatte die Magierin erfasst, wohingegen Belothar Torran die Antwort schuldig blieb. Seine Gedanken galten den fernen Freunden. Er wünschte, er wäre bei ihnen und könne ihnen beistehen.

      * * *

      Die Hiebe Malaines ließen Celena wenig Zeit auf Isande zu achten, die unvermittelt im Getümmel auftauchte. Mit der Spitze der Himmelsschneide parierte sie einen Schlag nach dem anderen, wich aus und tänzelte über die Bänke. Eine der abnormalen Betschwestern kam ihr dabei bedrohlich nahe. Das vor Wahnsinn verzerrte Gesicht und die ins Weiß verdrehten Augen gierten nach ihrem Fleisch. Wie mit klauenbewehrten Händen griff die derart Entstellte nach ihr. Mit einem gezielten Streich setzte die Kriegerin der bedauernswerten Existenz ein Ende. Plötzliches Sirren von Pfeilgeschossen erfüllte über ihr die Luft. Zwei der blindwütigen Abnormitäten stockten in ihrem Lauf, um dann einfach umzufallen.

       Malaine ließ ihre Gegnerin nicht zur Ruhe kommen. Geschickt erklomm sie eine der Bänke, ohne auf ihre Wunde zu achten, und setzte Celena weiter zu. Hitzig lieferten sich ihre Klingen ein Duell.

       Die Meisterspionin aus Osgosai auf der einen Bank, die adlige Kriegerin auf der andern Sitzgelegenheit. Dazwischen klaffte der breite Gang zum Altar. Zischend durchschnitt das Kurzschwert die Luft und zielte auf Celenas Beine. Reaktionsschnell sprang sie hoch. Ihr linker Stiefel glitt beim Aufsetzen von der Lehne ab. Das wirbelnde Geschoss verfehlte sie um Haaresbreite. Schon ging der nächste Hieb auf sie nieder. Knapp konnte sie diesen abfangen. Einen Lidschlag später hatten ihre Füße Untergrund.

       »Das passiert, wenn man den Mund zu voll nimmt, Tousard.«

       »Sieh an. Sieh an. Sie spricht!«, konterte Celena. Umgehend sprang sie von der Bank und eilte durch die Sitzreihen zu Lutek.

       Unsichtbar, einer titanischen Faust gleich, riss es sie während ihres Laufs von den Füßen und schleuderte sie gegen eines der Regale. Unzählige Wälzer, Folianten und Schriftrollen polterten auf sie nieder.

       »So behandelt man keine Schriftwerke«, tadelte Malaine mit arroganter Stimme. Der untere Teil ihrer schwarzen Rüstung war auf einer Seite durch die Dolchwunde nahezu in Blut gebadet. Die Osgosaianerin keuchte leicht auf, während sie Celena verfolgte. Kurz strauchelte sie.

       Nur mühsam kam Celena wieder auf die Beine, schickten sich selbige dazu an, ihr den Dienst zu verweigern. Sie blickte um sich, als sie endlich stand. Isande hatte sich den bewusstlosen Kelthran über die Schulter geworfen, was die Adlige Kriegerin respektvoll zur Kenntnis nahm.

       Lutek schleuderte weiterhin Pfeil um Pfeil auf die näher rückende Meute von Besessenen.

       »Isande, verschwindet hier!«, bellte Celena ihr zu.

       »Nichts anderes hatte ich vor«, schrie die Freibeuterin zurück und trat, Kelthran geschultert, den Rückzug an.

       Indes gab sich Celena alle Mühe die leichte Benommenheit zu verbannen, die der Stoß der unsichtbaren Pranke in ihr aufkommen ließ.

       Malaine war nahe, hörte sie bereits den Tritt ihrer Stiefel auf dem steinernen Boden. Herumwirbelnd, die Himmelsschneide zum Stoß gezückt, erhaschte sie aus dem Augenwinkel ein weiteres Buchregal.

       Die Nachfahre von Karmaste kam näher. Ohne weiter nachzudenken, packte Celena mit der freien Hand die hintere Kante des Regals und zog mit aller Kraft daran. Ihre Muskeln schrien vor Schmerzen auf, doch das hölzerne Aufbewahrungsmonstrum wankte kein bisschen. Ihr Blick gewahrte ein dreifüßiger Schemel, der direkt daneben stand. Scheppernd fiel die Himmelsschneide kurzerhand zu Boden. Darüber überrascht, zauderte Malaine. Diesen einen Moment nutzte die Tousard. Sie kletterte auf das Dreibein, hüpfte in die Höhe, erhaschte einen in die Mauer eingelassenen Kerzenhalter und stemmte ihre Absätze gegen die oberste Kante des Regals. Mit aller Gewalt kämpfte sie mit dem handgefertigten Ungeheuer. Gerade da das Regal entschloss zu kippen, erschien das Gesicht der Feindin unter ihr. Die berüchtigte Meisterspionin war nicht rasch genug. Der Blutverlust hatte sie langsamer werden lassen. Eisenbeschlagene Folianten, schwere Kodizes und zu guter Letzt das hölzerne Mobiliar donnerten auf Malaine nieder.

       Celena hatte wieder steinernen Boden unter den Füßen. Nach der Himmelsschneide greifend, keines Blickes der unter den Trümmern begrabenen Malaine würdigend, eilte sie zu Lutek.

       »Luk, wir sollten hier …«

       Wenige Schritte trennte sie von dem Geliebten, das riss abermals jene gigantische Pranke an ihr. Unmöglich für Celena einen Fuß vor den anderen zu setzen. Nicht besser erging es Lutek, der ihr entgegenzulaufen gedachte.

       »Nicht so«, hörte die Kriegerin Malaines gebrochene Stimme.

       Mit einem Schulterblick gewahr sie, wie diese unter den Trümmern des Regals halb herausragend ihre Hand zu ihnen hinreckte. Blut rann ihr aus dem Mund. »Nein, das lasse ich nicht zu, Mutter. So nicht!«