Anja Kannja

Zwei mit Eins


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Schwur, damals auf der Schaukel, war tief in mir eingebrannt, und so kam ich zu dem Schluss, dass der Mann meiner Träume auf keinen Fall Alkohol trinken dürfe. Das müsste reichen. In meiner Naivität war dieser Vorsatz gut gemeint, erfüllte allerdings nicht einmal annähernd das, was es für ein glückliches und harmonisches Familienleben braucht.

      Die Worte Liebe, Achtung, Respekt, Toleranz, Ehrlichkeit, Einfühlungsvermögen und Hilfsbereitschaft blieben mir zur Gänze verborgen. Dass ich als Person auf all das ein Anrecht hatte. Auf all diese wunderbaren Eigenschaften. War ich ja seit jeher anders behandelt worden. Damit hätte ich gar nicht umgehen können. Ich gab – und das von Herzen gern. Aber zurückbekommen – diesen Anspruch stellte ich nicht. Ich vermisste also auch nichts. Mein erster Freund behandelte mich schlecht. Ich jedoch fand alles in Ordnung, denn er trank nicht. Es war für mich nicht tragisch, wenn er mich auslachte, mich verhöhnte. Wird schon werden, dachte ich, wenn wir uns erst einmal näher kennen, dann wird er mich bestimmt schätzen lernen. Und ich verzieh ihm. Für all sein Tun und Handeln, sein schlechtes Benehmen mir gegenüber suchte ich Entschuldigungen. Die Situation ähnelte meinem Schweigen in der Schule, als ich glaubte, dass ich es verdienen würde, ausgelacht zu werden, weil ich ja zu dumm für alles wäre. Seine rüpelhafte Art gab mir wohl zu denken, aber ich suchte die Fehler bei mir und wäre nie im Leben auf die Idee gekommen, dass er sich mir gegenüber gelinde gesagt wie ein Schwein verhielt. Erst als er eng umschlungen mit seiner neuen Flamme, die eigentlich noch gar nicht hätte existieren dürfen, da ich ja noch seine Freundin war, vor mir stand, fiel ich aus allen Wolken. Aber schon mein zweiter Gedanke war: Jetzt hast du wirklich alles verkackt. Die Schuld lag bei mir. Ich zerbrach mir den Kopf, warum es denn so weit hatte kommen können, aber ich fand keine schlüssige Antwort, hatte ich doch immer mein Bestes gegeben. Also erledigte sich die Geschichte mit dem tröstenden Gedanken: Soll halt nicht sein!

      Schade, dass ich damals nicht dahintergekommen bin, denn dieses Nichterkennen sollte mir später weit mehr Schaden zufügen. Denn Amors Pfeil traf mich nur ein paar Monate später weit verhängnisvoller, als er es beim ersten Mal getan hatte.

      Es war der Mann, der alles veränderte. Der mir die größte Freude meines Lebens machen, mir aber auch die schlechteste Zeit bescheren sollte. Der Mann, mit dem ich eine Familie gründete.

      Ich lernte Frank gegen Ende meines zweiten Lehrjahrs kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Wir begegneten uns auf einer Stiege. Ich war von ihm so angetan, dass ich nicht mal registrierte, wie klein er war. Ich sah nur dieses Lächeln, diesen Charme, die großen Augen – und es war um mich geschehen.

      Er war Musiker, und ich himmelte ihn an. Mein Gott! Er war wie mein Vater, nur dass er nicht trank. Was wollte man mehr? Er hätte wirklich jede haben können – der Bandleader, der auf der Bühne steht, den alle anhimmeln. Aber nein, er entschied sich für mich, dieser fesche, lebenslustige, sportliche, ehrgeizige junge Mann. Noch dazu hatte er einen guten Bürojob, also auch ein gesichertes Einkommen. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Es war perfekt! Einfach perfekt, auch weil wir uns die Liebe zur Musik teilten. Dass das unsere einzige Gemeinsamkeit war, das bemerkte ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Er hatte auch bei meinen Großeltern und bei meinen Chefs einen guten Eindruck hinterlassen. Ich fühlte mich so unbeschreiblich gut, und wir wurden ein Paar.

      Zu der Zeit war ich schon richtig gut in meinen zwei Berufen. Die Berufsschule absolvierte ich mit einem Notendurchschnitt von 1,2. Kochen war für mich kein Problem, es beflügelte mich richtiggehend. Es forderte mich. Ich war süchtig nach der Arbeit. Wir waren ein wunderbares Team, meine zehn Lehrlingskollegen und ich. Jeder nahm auf jeden Rücksicht, war da, wenn einer Hilfe brauchte, und so machten wir unsere Präzisionsarbeit, schüttelten sie uns aus der Hand, als wär das alles nichts. Natürlich hatten wir auch jede Menge Spaß. Und wir wurden, entgegen der damals üblichen Gepflogenheiten, überdurchschnittlich gut bezahlt. Das wiederum verschaffte uns die Möglichkeit, uns einiges leisten zu können. In meinen Glanzzeiten brachte ich es auf zweiundzwanzig Paar Schuhe! Ja, mir fehlte es an wirklich gar nichts, und an dieser Stelle erlauben Sie mir eine Bemerkung: „Ich liebe euch, Oma und Opa Kluger!“

      Frau Kluger war ein Genie. Ich hatte höchsten Respekt vor ihr, weil sie eine echte Kämpfernatur war und Gott sei Dank noch immer ist! Sie sah mir auf die Finger, wenn ich die Karotten auf den Teller legte: „Liebevoll muss es sein, denn der Gast sieht die Handschrift.“ Sie wurde nie auch nur ein einziges Mal müde, alles zu kontrollieren. Ihrem wachsamen Auge entging nichts. Ihre Strenge war gerechtfertigt, denn sie schenkte sich selbst genauso wenig. Stets adrett stand sie kompromisslos Tag für Tag vor dem Herd. Ein Lob von ihr war eine Auszeichnung, und ich wusste, dass sie meinen Kampfgeist schätzte. Ich wusste auch, dass ich von ihr alles haben konnte, und sie wusste, dass ich diesen Umstand nicht ausnützte. Meine Kollegen hatten keinen Neid, war es doch auch für sie von Vorteil. Denn wenn ich fragen ging, ob wir abends länger ausbleiben dürften, war die Sache geritzt. Natürlich durften wir. Wenn ich Servicedienst hatte, stand Frank an der Schank, wurde von Herrn Kluger willkommen geheißen. Obwohl unsere Freunde eigentlich nicht so gern gesehen waren, weil sie uns doch irgendwie von der Arbeit abhielten. Frank störte nie. Mein Chef unterhielt sich gern mit ihm, über alles Mögliche, und wenn die Arbeit zu späterer Stunde nachließ, sagte er verständnisvoll lächelnd zu mir: „Anja, geh jetzt, ich mach schon fertig. Na, was ist?“

      Wie der Wind huschte ich dann in unser Zimmer, das ich mit meiner Freundin Ulli teilte, und ab da lief die Zeit.

      Mein Rekord lag bei vier Minuten und fünfundzwanzig Sekunden: duschen, anziehen und Zähne putzen! Genial! Ich bin heute noch stolz drauf.

      Wenn ich dann aus dem Haus ging, rief Herr Kluger mir nach: „Lass mir alle schön grüßen da unten! Aufpassen beim Fahren!“

      Ja, ich liebte ihn, meinen Chef, weil er ein so penibler, liebenswerter Brummbär war. Alles musste funkeln und blitzen, Bug auf Bug gelegt werden. Und gegangen wurde erst, wenn alles sauber war. Und was wir beim Putzen immer alles kaputt machten!

      „Was das wieder kostet!“, pflegte er zu sagen. Ich lachte, weil er sich so liebevoll ärgerte, und er lachte dann auch. Dieses gute Einvernehmen bescherte mir die vier schönsten Jahre meiner gesamten Jugendzeit.

      Frank und ich waren so was von glücklich. Seine Band bestand aus sieben Leuten. Sechs Männer und eine Frau. Ich wurde vom ersten Tag an von allen herzlich aufgenommen und durfte auch bei den Proben dabei sein, was in der Musikwelt nicht immer selbstverständlich ist. Denn im Allgemeinen sind Frauen ein heikles Thema, weil sie sehr viel Unruhe in eine Gruppe bringen können. Aber ich kannte dieses Problem schon von meinem Bruder her, der ebenfalls Musiker war. Ich wusste also, was es zu vermeiden galt. Frau war nicht Frau, sondern Kumpel. Nur dann konnte es gut gehen. Und ich war ein Kumpel. Wenn Frank mit seinen Leuten unterwegs war, setzte ich alles daran, um bei ihm sein zu können. Tagsüber arbeitete ich im Betrieb, nachts war ich bei den Proben und Auftritten dabei, schlug mir die Nacht um die Ohren beim Klang der Musik. Ich weiß nicht mehr, wann ich schlief, aber viel Zeit blieb mir nicht dafür. Nur an den freien Tagen, wenn ich nach Hause fuhr zu meinen Großeltern. Wäsche abliefern und schlafen.

      Wir fuhren quer durch Österreich. Ich half, die Anlage aufzubauen, die Kabel zu entrollen, beim Soundcheck meinen Senf dazuzugeben. Ja, es war meine große Leidenschaft, und ich war so unendlich stolz auf diese sieben Menschen, die phantastische Musik machten und durchaus Vollprofis waren. Die Zeltfestgäste standen auf den Tischen und jubelten. Die Stimmung war unglaublich, und ich genoss das alles. Als Musikerfrau saß ich natürlich auf dem Musikertisch. Musste nur zuhören. Den ganzen Abend hielt ich Augenkontakt mit den Burschen, und sie lachten mir zu.

      „Anja, brauchst einen Tänzer?“, fragte Dieter, der Trompeter und Fahrer, lächelnd durchs Mikro.

      „Nein danke, du Netter!“, entgegnete ich liebevoll.

      „Magst mit mir tanzen?“

      „Logisch!“, rief ich lachend. „Du bist ja auch der Einzige, der das kann!“

      Und schon flogen wir übers Parkett. Er war ein wunderbarer Tänzer und ein wunderbarer Mensch. Er war der, der immer für alle da war, trank selten Alkohol, weil er ja fahren musste, und rein menschlich