Simone Stöhr

Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft


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wieder aktuell und akuter denn je. Was würde Mike von ihr halten, wenn sie ihre Mutter entführen ließe, geschweige denn, wenn sie ihn, nach allem was die Carringtons für sie getan hatten, um sein Vermögen erleichtern würde? Er würde ihr das nie verzeihen! Sie musste genau das um jeden Preis verhindern. Sie flehte Matthew an und ging auf ihn zu.

      „Bitte Matthew, ich mache alles, aber bitte lass die Carringtons und meine Mutter da raus!“

      „Ich finde es eine geniale Idee von Jasmin ohne große Anstrengung das schnelle Geld zu machen. Jaz, was meinst du? Wie viel würden wir bei einer Entführung bekommen?“

      „Da sind locker ein oder zwei Millionen drin, wenn nicht noch mehr!“, meldete sich Jasmin zu Wort, die schon den Strand von Rio de Janeiro im Kopf hatte.

      „Du hast es gehört! Wie stellst du dir vor mir das Geld zu ersetzen, wenn ich deine Mutter nicht entführe?“

      „Du spinnst doch! Ich habe mich auch an den Haushaltskosten beteiligt und geholfen, wo ich konnte. Das ist einfach nicht fair!“

      „Tja meine Süße, aber das ist jetzt der Preis, den du bringen würdest, wenn du dich nicht so anstellen würdest! Aber du kannst ja gerne mit Jaz die Männer beglücken, wenn dir das lieber liegt.“

      „Versprichst du mir dann meine Mutter und die Carringtons in Ruhe zu lassen?“

      „Du gehst lieber anschaffen, als eine saubere Entführung ohne Risiko durchzuziehen? Das ist aber nicht die Cathy, die ich kenne! Aber wie du willst. Wenn du dafür bis zu deinem Verfallsdatum anschaffen gehst, soll mir das recht sein. Jaz wird dir alles erklären und vor allem was dein tägliches Pensum an Freiern betrifft. Dafür kannst du mein Wort haben, dass ich deine Mutter nicht anfassen werde.“

      Cathys Zuversicht vom Vormittag war jetzt endgültig dahin. Alles was sie erreicht hatte, war mit einem Schlag vernichtet und das, was sie am meisten vermeiden wollte, dem hatte sie nun bereitwillig zugestimmt, um Schlimmeres zu vermeiden. Es gab keinen schlimmeren Moment in ihrem Leben, als jetzt vor einem Trümmerhaufen zu stehen, der kein Ende zu nehmen schien. Ihr Schicksal war besiegelt und sie hatte keinen Einfluss mehr darauf, es ändern zu können. Matthew hatte sie in der Hand und er hatte einen Trumpf, den er jeder Zeit gegen sie ausspielen könnte.

      „Geh dich ausruhen, die Nacht wird für dich sicher noch lange genug dauern. Und jetzt lasst mich in Ruhe fernsehen.“

      Selbst wenn Matthew das nicht gesagt hätte, wäre sie dennoch gegangen. Die Tränen standen ihr schon in den Augen, aber die Blöße vor Matthew zu weinen, wollte sie sich wirklich nicht geben. Es reichte schon, dass er sie gerade gedemütigt und zur Prostitution auf Lebzeiten verdonnert hatte. Da wollte sie sich noch einen letzten Rest an Stolz behalten. Aber wofür denn? Seit ein paar Minuten war ihr Leben sowieso nichts mehr wert.

      Freitag, 29.02.2008, Boston, 21:13 Uhr

      Knapp zwei Wochen ertrug Cathy bereits fette oder schüchterne oder hässliche Kerle oder auch Männer, auf die alle drei Eigenschaften passten. Nicht ein Kerl war dabei, bei dem es nur annähernd erregend oder annehmlich gewesen wäre. Wenn sie die Wahl gehabt hätte, wäre sie lieber ohnmächtig dabei gewesen, als das alles auch noch mitzuerleben. Catherine wusste gar nicht, wie ekelhaft Sex sein konnte, seit sie es tun musste, anstatt zu wollen. Sie schämte sich vor sich selbst und ekelte sich, wenn sie daran dachte, wie und wo sie von diesen Kerlen überall an ihrem Körper angefasst und berührt wurde. Regelmäßig musste sie sich danach übergeben, weshalb sie noch weiter abmagerte die letzten zwei Wochen und fast nur noch aus Haut und Knochen bestand. Zu allem Übel versuchte Jasmin ihr noch einzureden, dass sie noch die beste Sorte der Freier bisher abbekommen hatte. Doch Cathy konnte schon jetzt nichts Positives daran erkennen, geschweige denn sich vorstellen, was noch schlimmer werden konnte. Anfangs hatte sie nicht auf Jasmin hören wollen, als sie ihr eine Tube Gleitgel in die Hand drückte, doch auch das hatte seinen Sinn und sie verstand es zu nutzen, wenn sie den stechenden Schmerz entgehen wollte, der durch mangelnde Eigenfeuchte entstand. Der nächste Freier schien anders zu werden. Sie wurde nicht in ein Stundenhotel oder zu einer der üblichen Appartements bestellt, sondern ins Liberty Hotel, das normal völlig abseits dieses Klientel ist, dachte Catherine jedenfalls bislang immer. Mit dem Aufzug fuhr sie in den 3. Stock und suchte die Zimmertüre, auf der in großen, goldenen Zahlen die Ziffern „3 4 2“ zu sehen waren. Energisch klopfte sie an und wartete, dass die Türe von innen geöffnet wurde. Mit Kribbeln im Bauch wartete sie gespannt, auf den Mann, der ihr jeden Moment öffnen würde. Wie würde er sein? Alt oder jung? Fett oder gut gebaut? Hässlich oder gutaussehend? Wo würde er sie berühren und würde sie es dieses Mal ohne Ekel überstehen? Die Tür ging auf und die erste Enttäuschung machte sich in ihr breit. Auch wenn er gepflegter aussah, wie all die Kerle die sie seit 2 Wochen befriedigen musste. Er war schätzungsweise zwischen 50 und 60 Jahre alt, mit grauen Strähnen die vorne länger wurden, um die Geheimratsecken zu verstecken. Seine Statur und Auftreten verrieten Macht und Reichtum, den er gewusst einzusetzen wusste, um die Situation zu beherrschen.

      „Carolin, was soll dieser Aufzug? Willst du mich ärgern?“, harschte er sie zur Begrüßung an.

      Catherine war von allen Sinnen. Was wollte dieser Mann von ihr und mit wem verwechselte er sie? Sie hatte nie etwas von Carolin gesagt, geschweige denn, kannte sie ihn.

      „Aber ich bin nicht Carolin. Ich heiße Candy.“

      „Das ist mir egal, geh dich umziehen! Dort hinten auf dem Bett findest du deine Sachen!“, gab er im Befehlston von sich.

      Catherine ging eingeschüchtert ins Schlafzimmer und sah aufs Bett, auf dem eine fein säuberliche Schulmädchenuniform aufgebahrt lag. War das einer dieser Psychopathen, der auf Schulmädchen oder Rollenspiele stand? Er kam nicht nach und dennoch fühlte Catherine sich unwohl. Sie folgte seiner Anweisung und zog ihren Mini Rock und ihre Corsage aus, um die Schuluniform der Bostoner Privatschule anzuziehen. Ohne Eile knöpfte sie die Bluse zu und zögerte den Moment hinaus, um sich das Kommende, Unausweichliche noch etwas zu ersparen. Beim letzten Knopf überraschte sie ihr Freier und starrte sie wütend an.

      „Warum bist du noch nicht fertig? Glaubst du, ich bezahle dich für deine Trödelei?“

      „Nein, ich bin gleich soweit“, rechtfertigte sie sich und schnappte sich den Blazer. Sie schlüpfte schnell hinein und wand sich dem älteren, aber umso energischeren und bestimmenden Mann zu.

      „Das ist jetzt nicht dein Ernst, Carolin! Du willst doch nicht so schlampig zum Unterricht erscheinen? Herr Gott nochmal, was lernt ihr heutzutage überhaupt noch? Anstand, Pünktlichkeit und Ordentlichkeit sind Werte, die euch völlig fremd geworden sind. Zieh deinen Blazer ordentlich an und dann komm rüber!“

      Ehe sie etwas antworten konnte, verschwand er aus dem Schlafzimmer und ging hinüber ins Wohnzimmer der Suite. Sie schloss die Knöpfe und strich automatisch über die Uniform, um eventuelle Falten zu glätten. Wo war sie hier nur hin geraden? Der Typ sah unscheinbar aus, aber schien absolut verrückt zu sein und was wollte er immer mit dieser Carolin? Catherine überlegte einen Moment die Flucht zu ergreifen und ihn stehen zu lassen. Keine Drogen und kein Geld der Welt waren es wert, sich von Psychopathen herumkommandieren zu lassen. Sie war schon dabei, sich ihre Klamotten vom Bett zu schnappen und im Dauerlauf die Suite zu verlassen, als er wieder zurückkam.

      „Es tut mir leid, wegen eben. Ich wollte nicht so unbeherrscht sein. Wie viel macht es noch einmal?“

      Er hielt einen Packen Geldscheine in der Hand und zählte die Scheine ab.

      „Sind 500 $ ausreichend?“, fragte er sie und sah sie prüfend dabei an.

      Catherine war sprachlos. Kein Freier hatte ihr bisher nur annähernd 500 $ gegeben. Mit dem Geld hätte sie die heutige Nacht bereits abgearbeitet, um Matthew zu bezahlen und sogar ein Schuss Heroin würde noch dabei herausschauen. In dieser Stunde konnte gar nicht so viel passieren, was mit 500 $ in der Tasche nicht leicht wegzustecken wäre. Sie warf ihre Bedenken über Board, steckte das Geld ein, das er ihr reichte und wunderte sich, dass er das Schlafzimmer verließ und ins Wohnzimmer ging. Was wollte er dort? Catherine sah sich um und ihr Blick hing beim fein säuberlich