Gaby Beiersmann

Yoga rette sich wer kann


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ihrer eigenen Kreativität frei und ungestört in Berührung kommen können. Maggie und Luna sind fasziniert. Dieser Köder schmeckt den Freundinnen.

      Das ist es jedoch noch nicht allein, was sie schließlich nicht länger zögern lässt, sich für die Sylt-Variante zu entscheiden. Abseits von Sylts in jeder Hinsicht lauten, mondänen und pompösen Pfaden und Klischées verspricht das Dünenparadies mit seinem neun Hektar großen Areal Ruhe und Harmonie ohne Autolärm, da das Gelände bis heute eingebettet in der Sylter Naturlandschaft und direkt am Meer liegt. Und dann ist da noch die besondere Form der Unterbringung: Die Gäste haben die Möglichkeit, eines von insgesamt fast siebzig schlicht eingerichteten Häuschen zu bewohnen, die allesamt im großzügigen Dünengebiet, umgeben von Dünengräsern und Heckenrosen in unmittelbarer Strandnähe verstreut liegen. Das klingt nun wirklich nicht nach Pauschalurlaub. Die Entscheidung steht und es wird gebucht. Die Vorfreude kann Fahrt aufnehmen.

      Einen Monat bevor es losgehen soll, entdeckt Maggie in ihrer Frühstückszeitung einen beunruhigenden Bericht: Im Seminarzentrum Dünenparadies hat es gebrannt. "Oooohhh nein!", Maggie ist entsetzt und ruft sogleich Luna an. "Hi Luna, ich lese hier gerade die Zeitung. Da steht, es hat gebrannt auf Sylt, ausgerechnet da, wo wir hin wollen." "Was?! Das kann doch nicht wahr sein! Lies' mal vor!" "Ok. Also. Die Überschrift lautet: "Brandstiftung im Dünenparadies. Besonders groß ist der Schaden, den der Sylter Feuerteufel in dem bekannten Seminarzentrum Dünenparadies zwischen Kampen und List angerichtet hat.'"

      "Das gibt’s doch nicht!", unterbricht Luna entsetzt. "Doch. Es geht noch weiter in dem Artikel: Die Feuerwehrleute mehrerer Wehren kämpften die ganze Nacht gegen die Flammen an, konnten aber die Kantine nicht mehr retten. Das Gebäude, das sich in nächster Nähe zu den Seminarräumen befand, brannte bis auf die Grundmauern nieder. Nach Aussage von Maike Hesse, die das Seminarzentrum seit fünf Jahren leitet, kam keiner der 180 Gäste zu Schaden. Schon kurz nach der Evakuierung konnten die Gäste in ihre Zimmer zurückkehren und Hesse entschied: "Wir machen weiter."

      Maggie hält plötzlich beim Lesen inne. "Was ist los?", fragt Luna. "Es kommt noch dicker", sagt Maggie und liest nun auch noch die letzten Zeilen des Beitrages laut vor: "'Die größte Gefahr ging jedoch nicht von dem Brand der Kantine aus, sondern von dem Feuerteufel, der bei Eintreffen der Wehren noch vor Ort aktiv war. "Während wir schon am Löschen waren, brach nebenan ein neues Feuer aus", schildert Einsatzleiter Hermann Waterkamp das nächtliche Geschehen. Obwohl die meisten Gebäude nicht bedroht waren, entschied Waterkamp, das Gelände zu evakuieren: "Sicher ist sicher. Ich wollte nur Leute in Einsatzkleidung auf dem Gelände sehen.'"

      "Das ist ja der Hammer!", ruft Maggie, "Der Brandstifter war noch am Zündeln, während die Feuerwehr bereits vor Ort war?" "Ja, offenbar." Auch Luna ist alarmiert. "Das ist ja Tatort live! Ich glaub’s nicht. Und was wird jetzt aus unserer Yogawoche? Ich hab mich so gefreut...", Luna ist am Boden zerstört. Aber Maggie erinnert daran, dass der Betrieb doch weitergehen soll. Und so beschließen die Freundinnen, die nächsten Tage einfach abzuwarten, ob sie etwas von ihrer Kursleiterin oder dem Dünenparadies hören. Als sie dann kurz darauf per eMail über den Brand informiert werden, entscheiden Maggie und Luna, auf jeden Fall ihren Yogaurlaub auf Sylt anzutreten, obwohl ihnen die Option zum Rücktritt angeboten wird. Bei allen Relax-Ansprüchen an das Yoga selbst durfte der Urlaub gern mit einer Prise Abenteuer gespickt sein – darin waren sich Maggie und Luna schnell einig.

      Fünf Monate später ist es endlich soweit.

       Ankunft

      Stürmischer Empfang

      Luna und Maggie dürfen endlich ihre Koffer packen. Maggies Koffer ist klein und handlich. Ihre beiden Töchter haben ihr beigebracht, beim Reisen selbst mit dem Nötigsten auszukommen. Doch für Luna ist das Kofferpacken eine echte Herausforderung, denn sie ist daran gewöhnt, auch im Urlaub ihren gewohnten Hausstand um sich zu haben, was bei der Fahrt mit dem Auto ja auch kein Problem ist. Aber die Anreise mit dem Zug erfordert dieses Mal eine andere Strategie. Deshalb fühlt sie sich wie eine siegreiche Heldin, als am Ende doch noch alles in dem einen großen Koffer verstaut ist. "Wie gut, dass es bei der Bahn keine Gewichtsgrenze gibt!", denkt Luna – ein Umstand, den sie allerdings noch bitter bereuen wird.

      „Sind denn die Brandschäden im Seminarzentrum Dünenparadies schon beseitigt?“ Die Anreise im Erste-Klasse-Abteil war Maggie und Luna bestens bekommen. Der Wellnesstripp in Richtung Sylt hatte mit einem äußerst attraktiven Kellner begonnen, der ihnen kaum, dass sie den Bahnhof verlassen hatten, einen Wunsch nach dem anderen von den Augen ablas. Ein Prosecco zur Einstimmung, noch ein Glas Weißwein zum leichten Lunch-Salat, keine weiteren Gäste im Abteil. Inspirierende Freundinnengespräche mit hoch gelegten Beinen nehmen ihren Lauf. Ein schöner Einstieg in die gemeinsame Entspannungszeit! Bislang stehen die Zeichen für sechs Tage Yogaurlaub auf Sylt gut. Nun, am frühen Abend am Bahnhof von Westerland angekommen, hält Maggie es für eine sehr gute Idee, sich bei einem Plausch mit der Taxifahrerin ein Update zu ihrem Ort der Unterbringung, dem Dünenparadies, einzuholen.

      „Keine Ahnung, da komme ich so selten hin“, antwortet die junge Taxifahrerin flapsig. Maggie und Luna tauschen Blicke. Ihr Interesse ist geweckt. Das berühmte Seminarzentrum mit Tradition und Geschichte, das es nur wenige Wochen zuvor durch mysteriöse Brandstiftung bis in die Schlagzeilen der münsterländischen Provinz geschafft hatte, ist der Taxifahrerin weitgehend unbekannt? Diese Unkenntnis macht sie nun doch stutzig.

      Sylt, das ist doch die Insel mit ganzjährigem Touristenrummel, die Insel, auf der sich aufgespritzte Lippen und Chihuahuas, die im Pradakostüm über den Strand getragen werden, den Platz auf der Strandpromenade teilen. Sylt, das ist die Insel, wo jede Straße ein „Hot-Spot“ ist – ganz gleich, ob Meer- oder Wattseite. Kann diese Insel wirklich so groß oder so einsam sein, dass eine Taxifahrerin Maggies und Lunas Zieladresse nicht kennt? Dieser Gedanke bereitet ihnen ein leicht mulmiges Gefühl in der Magengegend.

      Mittlerweile ist es zudem dunkel geworden und stürmische Windböen peitschen heftig gegen das Taxi, während sie weiter nordwärts über die Lister Straße fahren. Der Himmel färbt sich beinahe nachtschwarz und es kommen ihnen kaum noch Autos entgegen. „Schau, Luna, da ist die berühmte Vogelkoje“, entgegnet Maggie. Beiden läuft bei dem Gedanken an ein fürstliches Mehr-Gänge-Dinner in dem renommierten Lokal das Wasser im Mund zusammen, zumal der Mittagssalat ihres charmanten Kellners längst verdaut ist. So kommt es den Freundinnen wie eine kleine Ewigkeit vor, bis die Kaugummi kauende Taxifahrerin den Gourmettempel rechts hinter sich lassend, hinter der Bushaltestelle ‚Vogelkoje’ links in eine dunkle, vom Regen verhangene Dünenlandschaft abbiegt und wenige Hundert Meter weiter vor einem Baucontainer mit Bauschutt und Brandabfällen stehen bleibt.

      „So, da wären wir. Das macht achtundzwanzig Euro.“ Die Taxifahrerin beeilt sich, Maggie und Luna samt Gepäck rasch loszuwerden. Das Taxi braust eilig davon. Mit Koffern und Taschen bepackt, sehen sich beide, im stürmisch tosenden Abendregen stehend, leicht betroffen an. „Und nun?“, fragt Luna. „Wir sollen doch unsere Hausschlüssel im Gasthaus abholen. Hast du den Plan?“ Luna und Maggie studieren unter der einzigen etwas flackrig leuchtenden Straßenlaterne weit und breit den Lageplan des Volkshochschulgeländes und bewegen sich, mühsam die Koffer hinter sich herschleppend, in Richtung eines kleinen beleuchteten Häuschens, von dem sie annehmen, dass es das so genannte "Glashaus" ist, ein allen zur Verfügung stehender kneipenähnlicher Raum. Um sie herum ist alles dunkel. Niemand sonst scheint sich zu diesem Zeitpunkt an diesem einsamen Ort aufhalten zu wollen.

      „Mist. Das habe ich mir aber wirklich anders vorgestellt“, mault Maggie. Nasse Haarsträhnen kleben ihr mittlerweile im Gesicht, ihr Magen rumort vor Hunger. Ein Gefühl, das sie hasst und das so ganz und gar nichts mit Urlaubsentspannung zu tun hat. „Ja und ich erst. Keine zwei Meter weit schleppe ich mehr meinen Koffer. Nie wieder nehme ich so viel mit!“, flucht Luna. Kleine Schweißperlen rinnen ihr von der erhitzten Stirn. Ihre Wangen glühen. Und in den Augen scheinen erste Tränen der Verzweiflung und Erschöpfung zu schimmern. Beim Anblick ihrer Freundin und dem überdimensionierten, Zentner schweren Koffer kann sich Maggie hingegen ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.

      „Komm schon! Die restlichen Meter schaffen wir jetzt auch noch!“, ermuntert