Gaby Beiersmann

Yoga rette sich wer kann


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in einem provisorischen Speisesaal mit Selbstbedienung? Die Glücks- und Erholungsmomente in den kommenden Tagen würden ganz eindeutig außerhalb des Speisesaals liegen, das wird beiden in diesem Moment schlagartig klar. Dennoch stellen sie sich in der langen Schlange am Frühstücksbuffet an, füllen großzügig ihre Frühstücksteller und setzen sich an einen der beiden leeren Tische, die mit Kärtchen „Yoga Gruppe Diana Lóna“ reserviert sind.

      „Ihr zwei seht ja aus wie richtige Yogi-Frauen!“, Luna und Maggie verschlucken sich fast an ihrer Tasse heißem Ostfriesenkaffee. Eine Frau, die sich mit Sabine aus Düsseldorf vorstellt, burschikoser Typ mit praktischem Bürstenschnitt, kräftigen Oberschenkeln, die auch einer Ski-Weltcupfahrerin gehören könnten, komplett in Jack Wolfskin gekleidet, war zu ihnen an den Tisch getreten und sucht ganz offensichtlich den Kontakt.

      „Als ob nicht noch an dem anderen Tisch Platz gewesen wäre“, denkt Luna genervt. „Wie sieht denn eine richtige Yogi-Frau aus?“, entgegnet Maggie, die bisher eher sporadisch und überwiegend mit CDs aus dem Internet mit Yoga in Kontakt gekommen war. In dieser Form ist Yoga für Maggie die perfekte Ergänzung zu ihren Laufeinheiten.

      Doch Sabine setzt sich bereits und wiederholt noch einmal, offensichtlich richtig erfreut: „Ja, ihr beide seht aus wie richtige Yogifrauen.“ Maggie stößt Luna ans Schienbein, worauf Luna ihren Kaffee ein wenig verschüttet. Maggie wirft ihr rasch einen entschuldigen Blick zu, aber diese antwortet schon: „Ach, sieht man uns das an?“ grinst und mimt dazu ihren unschuldigen Augenaufschlag.

      „Einmal im Jahr, da braucht man das einfach. Yoga bei Diana. Da stimmt einfach alles“, schwärmt Sabine und vergisst dabei ganz, in ihr zwischenzeitlich üppig mit Himbeermarmelade bestrichenes Brötchen zu beißen. Kleine Marmeladentropfen rollen an ihrem Handrücken herunter, was sie in ihrer Euphorie nicht zu bemerken scheint. „Und die Diana macht das einfach so toll. Ihr werdet begeistert sein, das schwör' ich euch!“ Luna und Maggie werfen sich vielsagende Blicke zu. „Puuh, geht das schon los mit der Gruppendynamik?“, fragen sie sich und lassen Sabine einfach reden und reden.

      Die Marmeladenstraße von Sabines Handrücken hat sich bereits in stetigem Tempo bis auf die Tischdecke vorgearbeitet. Während Maggie sich über ein drittes Brötchen und ein zweites Frühstücksei hermacht, sitzt Luna, völlig gelangweilt von Sabines Monolog, einfach nur stumm da. Nun fragt sie sich, ob dieser Grad an Genervtheit durch Yogaentspannung wohl wieder 'rauszuholen sein wird. Auch Maggie verdreht munter weiter kauend die Augen, als Sabine scheinbar ohne Luft zu holen fortfährt. “… als Diana mir von dem Brand erzählte…“.

      Bei dem Stichwort "Brand" werden sie dann wieder schlagartig hellhörig. Weiß Sabine darüber etwas? „… da stand es noch gar nicht in der Presse. Für die Diana ist das Seminarzentrum Dünenparadies ja ein ganz, ganz besonderer Ort. Das hat sie mir selbst erzählt. Ihre Geschichte meine ich. Ihre Geschichte vom Dünenparadies." Bevor Sabine ihren Satz zu Ende führen kann, wird sie jäh unterbrochen.

      „Hallo, ich bin Agnes, hat jemand von euch den genauen Ablaufplan für mich?“ Agnes scheint wie aus dem Nichts gekommen zu sein. Von schwarzer Komfortkleidung umhüllt, bei der sich nicht ganz ausmachen lässt, ob es Gymnastik- oder Alltagskleidung sein soll und mit bravem Pagenschnitt sieht sie eher unscheinbar aus.

      „Vielleicht Finanzbehörde oder Verwaltung“, denkt Maggie. An ihren stahlblauen Augen kann man jedoch nicht vorbei sehen. Diese nun weit aufgerissen starrt sie Maggie an.

      „Ja, dabei, aber nicht hier“, antwortet Maggie brav, in der Hoffnung damit einem weiteren Geplänkel entkommen zu können.

      „Gut, dann bringst du ihn später mit!“, Agnes fasst Maggie mit festem Griff an den Oberarm. Au! Das tut weh und die Antwort klingt eindeutig wie ein Befehl und nicht wie eine Bitte. Maggie nickt ohne zu zögern, um dann gemeinsam mit Luna mit schnellen Schritten den Saal zu verlassen.

      „Boar, Luna. Zuerst der Kraftbolzen aus Düsseldorf, der uns für erfahrene Yogi-Frauen hält und uns die Yogalehrerin anpreist und jetzt die durchgeknallte Agnes. Sind wir hier beim Psychotreff?“

      Eilig suchen sich beide den Weg vorbei an Maggies Haus Mars über den Steg hinunter zum Strand. Wieder hören sie aus der Ferne das Lied der Augsburger Puppenkiste. Von ihrer mysteriösen Yogalehrerin fehlt aber immer noch weit und breit jede Spur. Wäre Kampen mit seinem feuchtfröhlichen Partypublikum vielleicht doch die bessere Alternative gewesen? Sie entscheiden sich für einen Strandspaziergang, um die Gedanken zu sortieren und von dem gerade erlebten Frühstück ein wenig Abstand zu gewinnen.

      Maggie und Luna laufen an den wenigen bunten Strandkörben vorbei entlang in Richtung List. Maggie wundert sich, dass sie sich gar nicht wie sonst üblich aufregt, weil Luna so langsam läuft, um immer wieder verzückt eine noch größere Möwe vor ihre Kameralinse zu bekommen, denn eigentlich ist sie eine zügige Spaziergängerin, die das Ziel stets vor Augen hat. Sie laufen und laufen und vergessen dabei fast die Zeit. „Das müssen dann doch schon erste Zeichen der Entschleunigung sein“, denkt sie, bis sie plötzlich auf eine Fahne und eine Holzhütte aufmerksam wird.

      „Oh, ich glaub' hier ist die berühmte Strandsauna!“, ruft Maggie erfreut. „Ja, die müssen wir unbedingt noch in unser Wochenprogramm einbauen“, betont Luna. „Ja, und überhaupt, lass' uns das Motto aus der Broschüre für diesen Urlaub ernst nehmen: ‚Nehmen Sie sich so viel Freiraum wie Sie brauchen’."

      „Wenn ich an Sabine und Agnes denke, dann wird mir ganz mulmig und ich möchte gar nicht wissen, wie schräg erst die anderen Teilnehmerinnen sind“, ergänzt Maggie. 'Nehmen Sie sich so viel Freiraum wie Sie brauchen!' – auf dieses Motto schlagen die Freundinnen ein.

      Sie beschließen umzudrehen, denn vor der ersten Yoga-Einheit, die mit zweieinhalb Stunden plus anschließendem Mantra-Singen und Meditation angesetzt ist, wollen sie unbedingt noch ein kleines Nickerchen einlegen. Wie wohltuend ihnen nun bereits ihre Ein-Frau-Behausung vorkommt. Einfach die Tür hinter sich schließen, die Gardinen zuziehen. Nichts kann ihnen in Mars und Venus zustoßen und das ewige Augsburger Puppenkistengedudel von Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer, das sich sanft mit den Geräuschen vom Wind, der das Dünengras streichelt, vermischte, würden sie schon irgendwie in ihre Träume einbauen.

      Die ‚Yogirette’

      Zur Verständigung zwischen Luna und Maggie genügen stets Blicke. Das war schon immer so gewesen. Gab es etwas zum Lachen, endeten sie nicht selten in ausgiebigen Lachkrämpfen. Wenn es irgendwo Anlass zu Kritik gab, lästerten die beiden auch gerne ungehemmt. Für Ausbrüche in beide Richtungen schämten sie sich nicht. Sie ließen ihren Gefühlen stets freien Lauf. Erfreulicher Weise sind beide nun milde gestimmt, denn der Yoga-Raum, der für die nächsten sechs Tage neben Kantine, Gartenhäuschen, Strand und Dünenlandschaft ihr Aufenthaltsort sein soll, zeigt sich behaglich und einladend.

      Mitten im Raum trumpft ein Strauß frischer Rosen, um den herum zahllose Teelichter flackern. Viele kleine Sternenlichter an der Raumdecke zaubern zusätzlich stimmungsvolle Lichtreflexe. An der Wand hängen die sieben Chakren in schönster balinesischer Batik gestaltet und auf einem Tisch in der Ecke sind verschiedene Yogi-Tees, Bücher, und – nicht zu vergessen – die CDs der Yogalehrerin aufgebaut. Einladend wirkt auch das, was in den nächsten Tagen ihr Yoga-Arbeitsplatz sein wird: Eine Gymnastikmatte, über der eine gemütliche Lammfellmatte liegt. Daneben befinden sich für jeden Teilnehmer ein rundes Sitzkissen, eine Wolldecke und Lavendelkompressen für die Augen. Ein wenig gering erscheint ihnen allerdings der Abstand zwischen den Matten. Beine und Arme, die sich mit denen der Nachbarn ineinander verhaken? Passt das zu innerer Einkehr und der versprochenen Reise zu sich selbst?

      Schließlich erklärt die Yogalehrerin, dass es einfacher und vor allem schöner sei, wenn sich nun alle kennenlernen, bevor sie mit der Einführung und den ersten Übungen beginnen. Und dann nimmt sie auch schon ihren Lauf, die von Luna so befürchtete Vorstellrunde. Mehr als einmal hatte sie sich bereits zu Hause versucht auszumalen, wie es sein würde, eine ganze Woche lang mit wildfremden Menschen in ein und demselben Raum stundenlange Yogaübungen zu exerzieren. Menschen, deren Schicksal und Motive für diesen Urlaub sie nicht kannte und wenn sie