Gaby Beiersmann

Yoga rette sich wer kann


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Tut das gut! Wann habe ich zuletzt so ein Glücksgefühl gehabt? Schon lange her", stellt sie fest. Genau genommen liegt es fast sechs Jahre zurück, es war jene Nacht, als sie ihren Mann kennen gelernt hat. Ja, das war eine unglaubliche Geschichte! Wie aus einem mitreißenden Liebesroman. Er hatte in Luna eine selbstbewusste, erfolgreiche Unternehmertochter gesehen. Sie in ihm den starken Prinz mit breiten Schultern zum Anlehnen. Der Klassiker eben. Doch die Romantik war viel zu schnell wieder verflossen. Mit seiner Entscheidung, sich einen neuen Job zu suchen, um dann zusammen ziehen zu können, war das entspannte, romantische Verliebtsein schnell verdrängt worden. Klar, so hatte die frische Liebe schnell erste Risse bekommen.

      Mitten in der nun wolkenlosen Septembernacht hockt Luna ganz allein am Meer. Im Licht ihres Namensgebers wird ihr plötzlich klar, dass ihre Ehe auf den Prüfstand gehört. Und damit ihr Leben. Gemeinsamkeiten gibt es schon lange keine mehr zwischen ihr und ihrem Mann. Sie hat ihren Job als Werbetexterin, kocht, macht den Haushalt, den Garten und beschäftigt sich in ihrer freien Zeit mit Hund und Pferd. Er arbeitet.

      Der Plan, als Architekt in einem größeren Büro zu arbeiten, war gescheitert und so hatte ihr Mann sich dann selbstständig gemacht. Und obwohl er mit seiner hohen Spezialisierung einen echten Glücksgriff hatte, was ihm der Erfolg immer wieder bestätigte, schien er nicht zufrieden zu sein. Und immer stand die Arbeit an erster Stelle.

      Urlaub? Nein. Unmöglich, er könnte ja ein Projekt verpassen. Natürlich hatten sie darüber gesprochen. Und immer, wenn er ihr das erklärte, konnte sie seine Entscheidung in dem Moment auch nachvollziehen.

      Aber hier am einsamen Strand von Sylt, mitten in der Nacht, wird Luna klar, wirklich verstehen würde sie das nie. Wie können Job und Geld nur immer wichtiger sein als sie? Ihre Liebe, gesteht Luna sich nun ein, ist eingegangen. Ist wie ein junges Pflänzchen, das nicht gegossen und gepflegt wird, verdurstet und verhungert. Und sich selbst hat sie dabei auch beinahe verloren. Beinahe aber nur.

      Luna kann ihren Atem in jeder Zelle spüren. Wie Wellen kommt der Atem. Ein. Eine kleine Pause. Aus. Ein. Eine kleine Pause. Aus. Mit diesem köstlichen Gefühl von Nähe zu sich selbst geht Luna zurück zu ihrem Häuschen und ist zwei Minuten später tief eingeschlafen.

      Als sie ihre Augen wieder öffnet, sitzt sie an einem großen Lagerfeuer. Außer ihr sitzen noch fünf andere Frauen im Kreis. Alle haben lange zottelige Haare, sind braun gebrannt, nur mit einem Fellchen bekleidet. Eine Szene aus der Steinzeit. Luna träumt. Sie ist zugleich Luna und jene Frau aus der Steinzeit. Die Frauen fangen an, Töne zu machen. Mit Steinen, Holz und rasselartigen Instrumenten werden Rhythmen geschlagen. Es wird immer heißer. Die Frauen bewegen sich nun in einem wilden Tanz um das Feuer herum. Lunas Körper macht alles mit. Es fühlt sich einerseits altbekannt und vertraut, andererseits völlig neu an. Kraftvoll bewegen sich Füße und Beine. Rhythmisch schwingen Hüfte und Oberkörper. Der Schweiß rinnt. Das Herz schlägt bis in den Hals. Da verändert sich die Szene auf einmal. Die Männer sind von der Jagd heimgekehrt. Ein großes Reh haben sie erbeutet. Der Anführer kommt mit Stolz geschwellter Brust und erhobener Keule auf die Frauen zu. Luna weiß, jetzt wird etwas passieren. Sie weiß nicht was, aber sie spürt eine Mischung aus heißem Verlangen mit ein wenig Furcht. Sehnsucht. Wen wählt er? Nimmt er dieses Mal mich? Sie schlägt die Augen nieder. Als sie wieder aufschaut sieht sie nur noch den Schatten seiner Keule, die über ihren Scheitel fährt. Dann schleift er sie in seine Höhle.

      "Endlich, endlich bin ich dran", seufzt Luna und fällt für den Rest der Nacht in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

       Tag 1

      Der erste Morgen

      „Was für eine Nacht!“, denkt Maggie und reibt sich die Augen. Die letzten Stunden waren ein Albtraum gewesen. Sturmböen der Stärke sechs bis sieben und laut prasselnde Regentropfen hatten sie immer wieder aus dem Schlaf aufschrecken lassen. Sie hatte unruhig geschlafen, sie, die doch immer um ihren tiefen Schlaf beneidet wird. War es wirklich eine gute Idee, hier gelandet zu sein? Hatte sie sich mit ihrer Vernunft und ihrer oft so großen Bescheidenheit selbst ein Schnippchen geschlagen? Warum hatte sie bei der Planung Ziele wie Guadeloupe oder Martinique gleich ausgeschlagen? Das Gedankenkarussell vom Vorabend nahm in ihrem Kopf wieder Fahrt auf. Eine lange heiße Dusche bei Meeresrauschen fegt dann zum Glück erst einmal alle Grübeleien beiseite. Für ihre Verhältnisse zu dieser frühen Tageszeit schon recht munter hatte Maggie nun schon zweimal mit knurrendem Magen an Lunas Haus Venus vorbeigeschaut, um ihre Freundin zum Frühstück abzuholen.

      Jetzt, beim ersten Tageslicht betrachtet, präsentiert sich das Dünenparadies von seiner idyllischen Seite. Ja, es ist nun vorstellbar, wie die atemberaubende Weite der Anlage ihre inspirierende Wirkung verbreitet. Maggie bleibt für einen Moment stehen und hält inne, um sich dann ganz langsam um die eigene Achse zu drehen und das Panorama auf sich wirken zu lassen. "Der Name ‚Dünenparadies‘ ist wirklich eine etwas wunderschöne Bezeichnung", denkt sie. "Der Ort hat eine besondere Atmosphäre. Es ist auf jeden Fall ein Kleinod mit viel Ruhe und Naturbezogenheit. Ursprünglicher kann es kaum zugehen." Der Kontrast zu ihrem sonst so schnelllebigen, digitalisierten Alltag ist schon krass. Eine Feststellung, die Maggie fast schon ein wenig traurig stimmt.

      Die anderen Gäste, die gemächlich, mal in kleinen Gruppen, mal allein über die kleinen Pfade zu ihren Kursen oder zum Frühstück schlendern, blicken gelassen und freundlich. Offensichtlich sind viele schon länger hier. Außer leichtem Gemurmel und ab und an einem erheiternden Lachen ist nichts zu hören. Eine wirklich kreative Insel auf der Insel mit eigenem Strand und gemütlichem dörflichem Treiben. „… und für uns noch mit dem zusätzlich sportiven Touch!“, freut sich Maggie.

      Ihr Haus ‚Mars‘ liegt gleich rechts neben dem Holzsteg, der nur wenige Meter weiter den Strand hinunter führt. „Was für ein Privileg!“, denkt Maggie. Sie blickt hinunter. Nur ein paar bunte Strandkörbe zieren den Dünenparadies Strand, der bis auf einige wenige Spaziergänger menschenleer ist. Schönster weißer Sand in großzügiger Breite und endloser Weite angelegt, leuchtet ihr entgegen, auf dem das Meer nun – da der Sturm sich gelegt hat – mit sanften Wellen aufschlägt. Links vom Holzsteg, rund zwanzig Meter entfernt, liegt die ‚Venus‘, das Häuschen ihrer Freundin romantisch in einer Dünenmulde versteckt.

      Am gestrigen Abend war Maggie diese Distanz noch Lichtjahre entfernt vorgekommen. Nur ein kleines Licht in der Dunkelheit hatte ihr noch die Bestätigung gegeben, dass Luna auch wirklich in ihrer Nähe eingecheckt hatte. Was ihr gestern noch ein mulmiges Gefühl vermittelt hatte, lässt sie heute zu komplett anderen Ansichten kommen.

      „Das nenne ich Idylle pur“, seufzt Maggie verzückt. Bei dieser Lage so nah an Strand und Meeresrauschen wundert es sie nun nicht weiter, dass von Luna an diesem Morgen noch jede Spur fehlt.

      Luna ist bester Laune und überrascht von sich selbst, denn eigentlich kann sie Wind gar nicht leiden und Sturm flößt ihr immer Angst ein. Doch in ihrem auf ein absolutes Minimum an Raum reduzierten niedlichen Venus-Häuschen fühlt sie sich gleich von Anfang geborgen wie ein Baby, so dass ihre Freundin Maggie sie zwei mal, erst durch zartes Klopfen, dann Rütteln und Rufen an ihrer Haustür wecken muss.

      „Ach, typisch Maggie, die hält es bestimmt vor Hunger schon wieder nicht aus“. Luna schmunzelt. Wenn auf eines Verlass war, dann darauf. Luna ist sich sicher: Sollte sie einst in der Wüste oder am Nordpol mit ihrer Freundin ausgesetzt werden, mit Maggie an ihrer Seite würde sie sicher immer eine Futterquelle finden. Hinsichtlich des nun geplanten Frühstücks ist Luna jedoch etwas skeptisch.

      „Meinst du, wir treffen jetzt auf unsere Kursmitglieder und unsere Yogalehrerin Diana Lóna?“, will sie wissen. „Ein wenig Zeit haben wir ja noch. Ich habe jetzt aber erst einmal einen Bärenhunger.“

      Der Speisesaal auf dem Gelände ist nicht zu übersehen, besser gesagt zu überhören, denn lautes Geschirrgeklimper, Stühlerücken und Geplapper hallt ihnen schon von Weitem entgegen. Eine etwas nüchtern dreinblickende Kellnerin mit Kantinenoutfit und Hygienehäubchen kommt auf sie zu.

      „Die Gruppe von Diana Lóna? Da drüben bitte!“, antwortet sie in dunklem Bariton völlig emotionslos. Luna und Maggie tauschen Blicke