Gaby Beiersmann

Yoga rette sich wer kann


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Yogalehrerin. Mit ihrem langen im Wind wallenden roten Haar. Der perfekt geformte Body, der in der hautengen Yogamontur in Himbeer-Erdbeer-Farbtönen Frau vor Neid erblassen lässt. Das Posing ist ein ebenfalls perfekt ausgeführter Baum. Die Hände befinden sich jedoch nicht ausgestreckt über dem Kopf, sondern in einer Mudrahaltung vor ihrer Brust, mit Handflächen, die wie zum Gebet aneinander gelegt sind. Darunter die Bildunterschrift "Die Yogirette - so schmeckt Yoga yogileicht".

      Als Diana die Frage einer Teilnehmerin beantwortet, raunt Luna Maggie ihre Gedanken zu. Maggie hat so große Mühe, nicht lauthals loszulachen, dass sie sich prompt verschluckt und einen Hustenanfall bekommt. Luna klopft ihr zur Beruhigung sanft und rhythmisch auf den Rücken, während sie mithilfe ihrer Bauchmuskeln versucht, einen Lachkrampf zu vermeiden. Damit hatte Diana Lona ihren Spitznamen weg.

      „Ja, das passiert der Maggie ab und zu schon einmal“, erklärt Luna in die Runde. Fragende und auch verärgerte Blicke antworten und weil sich Maggies Zustand nur langsam verbessert, verpassen die beiden einen Großteil der organisatorischen Ausführungen. Erst bei dem Hinweis darauf, dass im TriYoga, Kundalini- und Hatha-Yoga, den Yoga-Richtungen den nun alle in den nächsten Tagen folgen würden, jede Übung so gut sei, wie man sie eben selbst ausführen könne, sind Maggie und Luna wieder online.

      „Ob das denn so gesund ist?“, überlegt Maggie kritisch und spult in Gedanken all die Bewegungskorrekturen ab, die ihr die Aerobic- und Gymnastiklehrerinnen in den letzten 40 Jahren und schließlich auch die Trainerin beim Kinderturnen mit auf den Weg gegeben haben.

      „Und vor allen Dingen, vergesst nicht: Yoga ist die Verabredung mit dir selbst. Durch den Atem werden Geist und Körper miteinander verbunden. Beim Yoga beruhigen wir unseren Geist, indem wir ihm einen klaren Fokus geben. Dazu schließen wir bei jeder Übung die Augen und konzentrieren uns auf unser drittes Auge zwischen den Augenbrauen“, ergänzt Diana, als bereits alle im Schneidersitz auf ihren Yogamatten sitzen, ohne ihr breites Grinsen auch nur für einen Nanomillimeter zu verändern.

      „Na bitte, wunderbar…“, denkt Luna versöhnlich. Ihr war es ganz recht, dass durch Dianas Monolog ein näheres Kennenlernen mit den anderen Kurs-Neulingen in den Hintergrund gerückt war. Dann schließt sie die Augen, will sich auf die Übung einlassen und beginnt ihr drittes Auge zu suchen.

      „Und zur Einstimmung singen wir heute das Mantra: Ong na mo guru dev namo. Das ist übrigens Guru-Mukki, eine mit dem Sanskrit verwandte Sprache“, tönt Diana.

      „Au fein. Wir lernen hier eine neue Sprache. Guru-Mukki. Wie lustig!“, flüstert Maggie kichernd Luna zu und kann einen weiteren Lachanfall so gerade noch unterdrücken, denn nun treffen Dianas Augen auf Maggie. Sie scheinen böse zu funkeln, doch das aufgesetzte Big-Smile entkräftet diese Wirkung. Diana singt einmal ihr Mantra vor, dann stimmt die ganze Gruppe mit ein.

      Aber was ist das? Maggie und Luna können ihre eigenen Stimmen kaum hören. Ein lauthals geschmettertes „Ong namo guru dev namo“ hallt ihnen entgegen. In sauberer Sopranstimme. Es nützt nichts. Fokus hin und her. Sie öffnen die Augen – nur die zwei, denn bis zum dritten waren sie noch gar nicht vorgedrungen – und lokalisieren die ihnen gegenüber sitzende äußerst füllige Barbara als Absenderin des Gesangs. Jetzt halten auch Diana und der Rest der Truppe inne. „Ähm, hm“, räuspert sich Diana etwas verlegen, aber natürlich höflich: „Das klingt wirklich sehr, sehr schön, ist doch aber, ähm, auch sehr sehr laut.“ „Ja, wirklich, wirklich, sehr schön“, wirft Julius in die Gruppe und die Art, wie er es sagt, klingt ehrlich berührt. Es sind seine ersten eigenen Worte.

      „Entschuldigung. Das tut mir so leid. Ich kann einfach nicht anders. Das liegt an meiner Ausbildung zur Opernsängerin.“ Allgemeines Raunen geht durch den Raum. Au weia, eine Opernsängerin. Maggie und Luna waren mittags nur kurz auf Barbara aufmerksam geworden, als diese nach offensichtlich etwas verspäteter Anreise völlig aufgelöst den Speisesaal betreten hatte. Die komplette Mantra-Einstimmung wird also wiederholt und dabei übertönt Barbara entweder mit ihrem Gesang wieder alles oder, so scheint es manchmal, sie hält sich respektvoll zurück und mimt allein mit ihren Lippen das Mantra mit. Das kann Luna ganz genau beobachten, die dem dritten Auge durch schmales Blinzeln ihrer zwei Augen ab und zu gern eine Pause gönnt.

      “Prima. Play-Back-Mantrasingen. Dieser Urlaub überrascht einfach mit jedem neuen Augenblick“, denkt sie amüsiert.

      Nach der Mantra-Einstimmung bleibt nicht mehr viel Zeit zu beobachten, zu denken oder zu grübeln oder sich über andere Kursteilnehmer aufzuregen. Diana hält ihre Truppe gehörig auf Trapp mit einer natürlich selbst zusammen gestellten Übungsreihe zur Stärkung der eigenen Kreativität und des Nervensystems. Daneben machen sie Bekanntschaft mit verschiedenen Atemtechniken, durch die sie in ungeahntes Lungenvolumen vordringen und sich durch verstärktes Ausatmen, bei dem die Yogirette bis zehn zählt, von überschüssigem Kohlenmonoxid, das ja ansonsten in ihrem Körper verschlacken würde, trennen.

      Vor der Abschlussmeditation, die im Timing optimal zum schönsten Sylter Sonnenuntergang in den Dünen passt, kommt dann tatsächlich noch wie angekündigt die befürchtete Auf-Kommando-Pipi-Pause im Flur.

      „Meine Güte, du kannst ja toll singen“, lobt Maggie Barbara. „Was und wo singst du denn so?“. „Ach, derzeit bin ich nur Touristikführerin“, winkt Barbara ab. Barbara entpuppt sich im weiteren kurzen Plausch als freundliche, füllige Frohnatur mit enormem Appetit, was sie vor allem für Maggie noch sympathischer macht. Als Frau mit dem gewissen Gemütlichkeitsfaktor, die alles nicht so ernst sieht, bei den Übungen gern mogelt, sich großzügige Verschnaufpausen gönnt und mit ihrem überall großzügig gerundeten Resonanz-Körper ganz in Einklang ist und genussvoll das ganze Jahr ohne Sport auskommt. „Sicher ist sicher, schließlich weißt du nie ganz genau, was dich in einem solchen Yogaurlaub erwartet“, zwinkert sie Maggie zu und erklärt, dass sie aus diesem Grund noch eine Anschlusswoche im Dorint-Hotel in Westerland gebucht habe. „Ich freu' mich schon jetzt darauf, mich für’s Ausgehen in der Schinkenstraße einmal so richtig chic zu machen. Man weiß ja schließlich nie, wen man noch so kennen lernen könnte“, flüstert Barbara Luna zu und blickt dabei kritisch auf ihre perfekt manikürten und strahlend rot lackierten Fingernägel, die an einigen Stellen bereits den ersten Yogaübungen zum Opfer gefallen sind.

      „Tja, jeder so wie er mag“, denkt Luna und freut sich schon auf die Rückkehr in ihr behagliches Strandhäuschen in Meeres-Blau. Maggie hingegen versichert ihrer Freundin, dass man sich Barbara auf jeden Fall warm halten müsse, sollte ihnen jemals ein Ausreißer zu einem Gourmet-Menü in der berühmten Vogelkoje, die schließlich nur einen Fünf-Minuten-Fußmarsch von ihrem Kantinenspeisesaal entfernt lag, gelingen.

      Nach den ersten Yoga-Stunden plus Abschlussmeditation schickt Diana alle ins Bett, ohne zu versäumen, noch einmal darauf hinzuweisen, dass die von ihr ausgewählten Yogaübungen entgiftend wirken und deshalb auch die komplette Ernährung in den kommenden Tagen darauf abgestellt ist.

      „Wir trinken daher in den nächsten Tagen keinen Kaffee und keinen Alkohol. Mittags erhaltet ihr ein speziell von mir zusammengestelltes vollwertiges Essen in Grün, das hier von einem Sylter Restaurant nach meinen Anweisungen extra für uns gekocht wird“, führt sie weiter bedeutungsvoll aus.

      „Na prima, das ist genau das ‚Wir’, bei dem ich mich nicht angesprochen fühle“, mault Luna. Ihre blonden Nackenhaare stellen sich auf. Ein Schauer huscht über ihren Rücken. Die nächste Rückzugsattacke kündigt sich bereits an. Maggie sieht es in der Tendenz genau so, ist aber erst einmal dankbar, dass sich eine weitere Alternative zum Kantinenessen auftut. Ihr Magen knurrt schon wieder.

      „Oh Mann, für den ersten Tag haben wir genug Yoga-Eindrücke gesammelt!“ Maggie klopft Luna ermunternd auf die Schultern. Ein Absacker im Glashaus scheint jetzt genau das Richtige zu sein. Bewusst trödeln sie, als sich die Gruppe nach dem Umziehen vor dem Sternensaal verabschiedet und in Richtung Dünenhäuschen stapft. Schnell tun sie noch beschäftigt, fingern an den Schnürsenkeln ihrer Turnschuhe herum und schließen langsam und äußerst sorgfältig den Reißverschluss ihrer Jacken, um dann leisen Schrittes unbemerkt in der Dämmerung die genau entgegen gesetzte Richtung zum Glashaus und damit zum selbst