Angelika Nickel

Cemetery Car®


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      1 - Das neue Auto

      »Kim, sprich endlich wieder mit mir.« Quentin sah mit einem schnellen Seitenblick zu seiner Verlobten.

      Kim antwortete nicht. Mit verschränkten Armen saß sie neben ihm auf dem Beifahrersitz und blickte stur geradeaus.

      »Jetzt mach doch, bitte, kein Drama daraus. Das Auto ist ein ganz normales Auto, wie jedes andere auch. Und außerdem, du vergisst anscheinend ganz, dass wir nicht im Geld schwimmen.« Ein weiterer, kurzer Seitenblick zu Kim, doch sie schwieg, stierte stumm vor sich hin. Lange Zeit sagte sie gar nichts, bis sie endlich ihr frostiges Schweigen brach.

      »Aber für das Geld hätten wir mit Sicherheit auch noch ein anderes Auto bekommen.« Kim sah immer noch bockig, vor sich hin.

      »Mag sein, vielleicht. Doch wir brauchen jetzt ein Auto und nicht irgendwann. Immerhin muss ich ab nächsten Monat an der Uni assistieren, oder hast du das ganz vergessen?«

      »Nein, Quentin, das habe ich keineswegs vergessen.« Zum ersten Mal, seit dem Kauf des Autos, sah Kim ihren Verlobten, Quentin Sommerwein, an. Ihr Gesicht war blass und ihre roten Locken hingen ihr wild in die Stirn.

      »Na siehst du, weshalb also, so ein Theater, eines alten Autos wegen, machen? Wir fahren es so lange, bis ich ein wenig mehr Geld zur Seite gelegt habe, und dann verkaufen wir es wieder und kaufen uns ein Auto, eins, wie es dir gefällt. Was hältst du von meinem Vorschlag?« Quentin blickte für einen kurzen Moment von der Fahrbahn weg, hin zu Kim.

      Er war froh, dass sie endlich wieder mit ihm redete. Seit dem Kauf des Autos, und ihrem lautstarken Protest dagegen, hatte sie mit ihm geschwiegen.

      Nur widerwillig war sie in das alte verbeulte Vehikel eingestiegen. Und es hatte lange gedauert, bis sie sich nicht mehr, demonstrativ, die Nase zugehalten hatte. Dafür hatte sie mit einem wütenden Ruck, die Kurbel des Fensterhebers betätigt und es, so weit es nur ging, nach unten gedreht.

      Kim verfiel erneut in frostiges Schweigen.

      Quentin, der nichts gegen ihr Schweigen auszurichten wusste, fuhr die endlose Landstraße entlang, ohne noch einen neuerlichen Gesprächsversuch zu starten. So gut kannte er Kim, um zu wissen, dass es dauern würde, bis sie endlich wieder für eine normale Konversation mit ihm bereit sein würde. Und bis dahin blieb ihm nichts anderes übrig, als ebenfalls zu schweigen.

      Als er die Stille überhaupt nicht mehr aushielt, griff er zum Radio und drehte es an. Doch außer Rauschen war diesem kein Laut zu entringen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als es wieder auszuschalten.

      »Hast du etwas anderes erwartet?«, schnauzte Kim ihn an, und in ihrem Tonfall schwang ihr Missfallen deutlich mit.

      »Wie?« Quentin war die Überraschung deutlich anzuhören. Kim hatte doch tatsächlich ihr Schweigen gebrochen.

      »Ich frage dich, ob du etwas anderes erwartet hast?«, wiederholte sie ihre Frage, ohne sich Quentin zuzuwenden.

      »Klar habe ich erwartet, dass das Radio funktioniert. Wieso auch nicht?«

      »Wieso auch nicht«, äffte Kim ihn nach.

      »Ja, wieso nicht?«, wiederholte auch er seine Frage.

      »Weil es ein Leichenwagen ist, deshalb. Und die, dienen wohl kaum dazu, lustige oder laute Musik zu spielen.«

      »Kim, Schätzchen, du übertreibst maßlos. Klar war unsere neue Karre einmal ein Leichenwagen, aber jetzt doch nicht mehr.« Er schüttelte verwirrt den Kopf. Manchmal war es schwierig mit ihr, erst recht dann, wenn es nicht nach ihrem Kopf oder ihren Vorstellungen ging. »Wir haben das alte Vehikel gekauft, es vorm Verschrotten bewahrt, und die Zeit der Leichen ist für dieses Teil für immer vorbei. Also gibt es keinen plausiblen Grund, weshalb das Radio keine Musik spielen sollte.« Quentin konnte ja noch verstehen, dass Kim nicht gerade erbaut vom Kauf eines ehemaligen Leichenwagens war, doch nun übertrieb sie, aus seiner Sicht, beachtlich. Ein Radio, welches nur krächzte, hatte entweder keinen Sender eingestellt, oder es war einfach nur kaputt.

      Kim kramte eine Zigarettendose aus ihrer kleinen blauen Tasche. Mit zittrigen Fingern zog sie die letzte Zigarette heraus. Leises Klicken war zu hören, ein kurzes helles Aufleuchten, dann sog Kim den Rauch in sich ein. Mit einem schrägen Blick auf Quentin, sagte sie: »Dass der Totengeruch endlich verschwindet.« Danach fuhr sie in ihrem Protestschweigen fort.

      Schweigend zog sich die Fahrt bis zu ihrem Zuhause dahin.

      Endlich daheim angekommen, stieg Kim, so schnell sie nur konnte, aus dem Wagen, rannte die paar Stufen zu ihrer Haustür hoch, schloss mit eiligen Fingern das Schloss auf, und rannte hinauf ins Bad.

      Kurz danach konnte Quentin nur noch das Rauschen der Dusche hören.

      Anschließend das leise Zufallen einer Tür.

      Quentin wusste, dass Kim sich für diese Nacht im Gästezimmer einquartiert hatte.

      Achselzuckend ging er ebenfalls ins Bad und machte sich fertig für die Nacht.

      So bemerkte er nicht, dass sich unten im Auto das Radio von alleine angeschaltet hatte.

      Dass Geräusche aus diesem herausdrangen, die nicht von dieser Welt kamen.

      Krächzende Stimmen, wie die von ganz alten Menschen, beseelten den Innenraum des ehemaligen Leichenwagens.

      Eigenartige Stimmen, die sich nach schaurigem Gesang anhörten.

      Totengesang.

      2 - Zimtgeruch

      Der nächste Morgen kündigte einen regenverhangenen Tag an.

      Der Regen prasselte unaufhörlich gegen die Fensterscheiben, und vom Norden her, zogen noch dunklere Regenwolken zu ihnen herüber.

      Quentin hatte sich, gleich nach dem Aufwachen, in seine Sportklamotten geschmissen, den Schlüssel geschnappt und war nun, mit zerschlissenen Turnschuhen, joggend, auf dem Weg zum Bäcker.

      Frische Brötchen, die mochte Kim über alles, und Quentin hoffte, sie damit ein bisschen versöhnlicher zu stimmen.

      Sicher hatte er gewusst, dass sie niemals einen Leichenwagen haben wollte, aber wenn er ihn doch so günstig bekommen hatte, was war denn, um Himmels Willen, nur so schlimm daran? Die Toten, die in ihm transportiert worden waren, die waren schon lange tot und begraben, und manche von ihnen mit Sicherheit schon längst von den Würmern zerfressen, oder auch bereits zu Staub zerfallen, oder erst gar nicht in der Erde beigesetzt, sondern gleich eingeäschert worden. Er konnte Kims Reaktion nur bedingt verstehen.

      Beim Bäcker zog er einen dunkelblauen Stoffbeutel aus der Hosentasche und ließ ihn mit vier frischen Brötchen befüllen.

      Danach ging er in den kleinen Krämerladen, unten an der Straßenecke der Morganstraße.

      Im Krämerlädchen hantierte ein altes Hutzelweib herum, deren Mund die Zeit der Zähne schon lange überschritten hatte. Mit ihrem zahnlosen Lächeln sah die Alte ihn an.

      »Womit kann ich dienen?« Dienstbeflissen lächelte sie Quentin noch breiter an. Ihr Kopf hob sich, während sie schnüffelte. »Warst’e oben, beim Bäcker Molke? Dem seine Brötchen, die duften, dass du sie sicher im Grab noch riechen kannst.« Sie sah an sich herunter. Auf Quentins verdutzten Gesichtsausdruck hin, sagte sie, und es hörte sich nach einer Erklärung an: »Wenn man in meinem Alter ist, denkt man immer mehr ans Grab, und wie es dann wohl sein wird …Ob alles vorbei sein wird, oder ob es danach doch noch etwas gibt. Was glauben Sie? Folgt nach dem Tod noch etwas anderes?«

      »Das kommt wahrscheinlich auf die Glaubensrichtung an. Ich habe zwar Archäologie studiert,