Peter Rogenzon

Verbotene Zone


Скачать книгу

Der Autor

      

      

      1. Jesus im Vatikan

      Zuerst stand es natürlich im „Osservatore Romano“, allerdings nicht so, wie es dem Ereignis angemessen gewesen wäre:

      „Im Vatikan erschien am gestrigen Montag ein junger Mann, der behauptete, Jesus zu sein. Er begehrte, den Papst zu sprechen. Immerhin gelang es ihm, sich mit einem zufällig daher kommenden Kardinal zu unterhalten. Dieser nahm sich freundlicherweise des Falles an. Da der Kardinal befürchtete, dass der junge Mann geisteskrank und daher behandlungsbedürftig sei, unterhielt er sich eine halbe Stunde lang mit ihm, wobei er zu der Überzeugung kam, es handele sich um einen ‚harmlosen Irren‘. Er verabschiedete sich dann von ihm mit den Worten, es habe ihn gefreut, mit Jesus persönlich gesprochen zu haben. Daraufhin verließ der junge Mann sichtlich zufrieden wieder den Vatikan.“

      Nun, so ganz stimmte dieser Zeitungsbericht nicht. Das ist, wie man weiß, nichts Ungewöhnliches. Nur ganz naive Leute glauben das, was ihnen schwarz auf weiß vorgesetzt wird. Auch beim „Osservatore Romano“ sieht man die Welt natürlich aus einem bestimmten Blickwinkel, und damit ist die Sicht auf das, was geschieht, natürlich erheblich beschränkt. In Wahrheit hatte sich nämlich folgendes zugetragen:

      Der junge Mann, der im Vatikan erschienen war, war keinesfalls damit zufrieden, wie ein Irrer behandelt worden zu sein. Dabei konnte er sich nicht darüber beklagen, dass er unfreundlich empfangen worden wäre: Er hatte sich an der Pforte ordnungsgemäß angemeldet:

      „Darf ich mich vorstellen? Ich bin Jesus und möchte meinen Stellvertreter auf Erden sprechen!“

      Der Pförtner hatte einen Anmeldezettel zur Hand genommen und nachgefragt:

      „Ist Jesus Ihr Vor- oder Nachname?“

      „Ich heiße nicht nur Jesus, sondern ich bin es – der Mann für den Sie arbeiten.“

      „Hm, hm“, hatte der Pförtner hinhaltend gebrummt, um zu überlegen, was zu tun sei. „Wen – sagten Sie – wollten Sie sprechen?“

      „Meinen Stellvertreter!“

      Am Gesicht des Pförtners war nun zweierlei abzulesen: Er hatte zwar begriffen, von wem sein Besucher sprach, wusste aber immer noch nicht recht, wie er sich verhalten sollte.

      „Moment!“ sagte er gedehnt und verschwand in einem Nebenraum. Dort griff er zum Telefon und fragte einen jungen Kaplan um Rat. Der war – Gott sei Dank – äußerst hilfsbereit:

      „Nur her mit dem jungen Mann, vielleicht ist er ja mit mir zufrieden.“

      So war nun dieser Jesus von einem martialisch aussehenden Mitglied der Schweizer Garde in das Büro des Kaplans geleitet worden, der ihn leutselig begrüßte:

      „Sie wurden mir als Jesus angemeldet. Sie wünschen?“

      „Ich bin nicht nur als Jesus angemeldet, sondern bin es tatsächlich selbst und möchte den Papst sprechen.“

      Der Kaplan hatte sein liebenswürdigstes Gesicht aufgesetzt, das er sich für besonders schwierige Fälle antrainiert hatte, und das hier war zweifelsohne ein solcher schwieriger Fall, nämlich ein offensichtlich Geisteskranker, wie der Kaplan sachkundig feststellte. Er säuselte daher auf das Freundlichste:

      „Es freut mich, den Mann persönlich kennen zu lernen, dem ich so viele Jahre meines Lebens gewidmet habe. Ich bin sozusagen die rechte Hand des Papstes. Sie können mir also ruhig Ihr Anliegen vortragen und können sicher sein, dass ich es dem Heiligen Vater – so gut es geht sogar wortwörtlich – übermitteln werde. Er ist nämlich leider heute nicht im Hause und daher nicht zu sprechen. Da Sie Jesus sind, werden Sie dies ja wohl wissen.“

      „Weil ich Jesus bin, weiß ich, dass der Papst da ist. Bringen Sie mich also zu ihm und reden Sie nicht lange darum herum.“

      Der Kaplan wurde bleich und war mit seinem Latein am Ende gewesen (das er ja eigentlich wie eine Umgangssprache beherrschte). Da kam ihm ein – wie er meinte – grandioser Einfall. Er wollte diesen offensichtlich verwirrten jungen Mann seinem Vorgesetzten vorstellen; vielleicht würde sein Besucher ja damit zufrieden sein und den Kardinal womöglich sogar für den Papst selber halten.

      Der Kaplan näherte sich in devoter Haltung, sozusagen verbeugt gehend, dem prächtigen Portal zum Büro seines Vorgesetzten, das von zwei barbusigen Engeln bewacht wurde und so gewaltig war, dass der Überlieferung nach ein gekrönter Besucher mit seinem Pferd hindurch geritten sein soll. Die wertvollen goldgeränderten Facetten der Türfüllung machten jedem Besucher klar: Dahinter befand sich jemand, demgegenüber man sich klein vorkommen musste.

      Der Kaplan sagte zu Jesus:

      „Ich werde Sie jetzt bei Seiner Eminenz anmelden.“

      Er klopfte vorsichtig an die Tür, und es ertönte ein kurzes „Herein!“

      Der Kaplan bedeutete Jesus mit einer kurzen Handbewegung, dass er warten möge, und verschwand schnell im anderen Zimmer. Er bereitete seinen Vorgesetzten auf seinen Besucher vor und fand, es wäre doch ein gutes Werk, diesen jungen Mann kurz zu empfangen.

      Der Kardinal hatte ein offenes Ohr für „gute Werke“, denn er war in seiner Jugend einmal Pfadfinder gewesen und daher darauf gedrillt worden, jeden Tag etwas Gutes zu tun, und sei es auch nur etwas ganz Kleines. Er hatte dann allerdings gefunden, dass es gar nicht so einfach war, nach diesem Grundsatz zu leben, denn wenn man den ganzen Tag im Büro saß und arbeitete, musste man schon die Arbeit selbst als etwas Gutes ansehen, um nach den Grundregeln der Pfadfinder seine Pflicht getan zu haben.

      Der Kardinal nahm also freudig die Gelegenheit wahr, auf so einfache Weise wieder einmal einen Pluspunkt in seiner imaginären Liste der guten Werke verbuchen zu können, und ging ins Büro seines Kaplans hinaus. Er schüttelte dem Besucher freundlich die Hand und sagte:

      „Ach, setzen wir uns doch in mein Zimmer!“

      Nachdem sie beide dort an einem kleinen goldenen Barocktisch in roten damastbezogenen Sesseln Platz genommen hatten, ergriff der Kardinal das Wort:

      „Wer, sagten Sie noch gleich, sind Sie?“

      „Ich sagte, dass ich Jesus bin und den Papst sprechen möchte.“

      „Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wollen Sie sagen, dass Sie der Jesus sind?“

      „Ja, der bin ich.“

      „Entschuldigen Sie bitte, dass mein Begriffsvermögen etwas beschränkt ist. In der Bibel steht doch ganz klar, dass der Menschensohn in Herrlichkeit wieder kommen wird, aber doch nicht einfach so wie Sie.“

      Der Kardinal fand es gut, sein Gegenüber in eine kurze theologische Debatte zu verwickeln, um ihn dann wieder nach Hause schicken zu können. Doch sein Gesprächspartner antwortete lapidar:

      „Wir haben es uns da oben eben anders überlegt!“

      „Nun, für mich waren die göttlichen Ratschlüsse immer etwas Unumstößliches, denn Gott ist vollkommen, und was er beschließt, ist von seiner umfassenden Weisheit getragen. Da kann es doch nicht sein, dass er es sich mal so und dann wieder anders überlegt.“

      „Deswegen bin ich ja hier, um diesen Irrtum auszuräumen: Mein Vater ist anpassungsfähig. Die Bibel ist voll von Beispielen. Nehmen Sie beispielsweise die Sintflut. In seinem Zorn hat mein Vater die gesamten Lebewesen bis auf diejenigen in der Arche ertränkt. Hinterher hat es doch bereut und gesagt, er werde so etwas nie wieder tun, obwohl gerade Zeiten wie diese...“

      „Ja, ja, die Zeiten sind schlimm, auch für die Kirche.“

      „... weil sich die Kirche nicht anpasst. Die Kirche unterscheidet zu wenig zwischen unabänderlichen Geboten und solchen, die nur in die Zeit meines früheren Lebens gedacht waren. Das wollte ich mit meinem