Peter Rogenzon

Verbotene Zone


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Schlimmes zu befürchten.

      Deshalb entschloss sich Gottvater, gleich mit der ganzen Wahrheit herauszurücken:

      „Du wirst rund 30 Jahre unter den Menschen leben und ein bisschen Reklame für uns machen. Dann wirst du gekreuzigt, auf dass mit deinem Blut die Sünden der Menschheit getilgt werden.“

      Jesus glaubte, nicht recht gehört zu haben:

      „Das kann doch wohl nicht wahr sein!“

      „Doch, es ist wahr!“

      „Und warum vergibst den Menschen nicht einfach so?“ wollte Jesus wissen.

      „Weil der Heilige Geist und ich beschlossen haben, mit deinem Tod ein Zeichen zu setzen. Wir wollen den Menschen zeigen, dass ich mein Liebstes, also meinen Sohn, für sie opfere.“

      „Auf der Erde würdest du für so eine Idee eingesperrt.“

      „Aber bei uns gelten eben andere Maßstäbe. Das werden die Menschen verstehen.“

      „Das kann ich nicht glauben. Außerdem möchte ich doch Zweifel am Nutzen des Unternehmens anmelden. Die Menschen werden auch dann noch weiter sündigen wie bisher. Das kann ich dir jetzt schon prophezeien. Sogar deine Elitetruppe, die Jesuiten, wird ihre Zöglinge missbrauchen.“

      „Der Heilige Geist, der uns drei leitet, hat alles geprüft und für gut befunden – und so wird es geschehen.“

      Und tatsächlich: So geschah das Unfassbare.

      4. Hostienschändung

      In unserer Zeit gibt es keine Wunder mehr. Ganz anders war es früher: Alle alten Wallfahrtskirchen gehen auf solche übernatürlichen Ereignisse zurück, wobei auffällt, dass sich diese oft gleichen. So gibt es viele Gotteshäuser, die an Flüssen oder Seen liegen und die ihre Gründung angeblich der Tatsache verdanken, dass ein Marienbild oder eine Statue der Gottesmutter von Fischen ans Ufer gebracht worden sein soll. Die Menschen glauben diese Geschichten auch heute immer noch, obwohl sie skeptisch wären, wenn in unserer nüchternen Zeit jemand behaupten würde, er sei am Rande eines Sees gestanden und plötzlich hätten ihm Fische ein Marienbild vor die Füße gelegt; man würde ihn wohl zum Psychiater schicken.

      Wenn man die Wunder katalogisiert, also sozusagen in bestimmte Arten unterteilt, nehmen die Hostienschändungen einen breiten Raum ein. Die katholische Kirche möchte allerdings heute mit diesen Ereignissen am liebsten nichts mehr zu tun haben und hat daher deren Spuren weitgehend getilgt. Dennoch sollen sie nicht in Vergessenheit geraten. In einer alten Chronik wird beschrieben, wie es zum Bau einer der berühmtesten Wallfahrtskirchen kam. Und diese dramatischen Ereignisse von damals seien hier festgehalten:

       Vor rund einem halben Jahrhundert lebte Ritter Kuno von Hartzenstein auf seiner Burg nahe einer großen Stadt. Er entstammte einem alteingesessenen Adelsgeschlecht und hatte seinen Besitz von den Vorfahren geerbt. Seine umfangreichen Ländereien warfen normalerweise Gewinn ab. Aber dann brachen schwere Zeiten an: Missernten und kriegsbedingte Plünderungen brachten ihn in Bedrängnis. Als dann seine beiden Töchter heiratsfähig wurden und er sie mit einer standesgemäßen Mitgift ausstatten musste, hatten seine Geldmittel nicht mehr ausgereicht. Er hatte ein Darlehen aufnehmen müssen. In der damaligen Zeit war es so, dass die Kirche ihren Gläubigen verboten hatte, Geld gegen Zins zu verleihen. Weil normalerweise aber niemand sein Geld einem anderen zur Verfügung stellt, wenn er nichts dafür bekommt, nutzten die Juden diese Situation aus. Für sie galt ja das Zinsverbot nicht, und so waren die Bankgeschäfte fest in ihrer Hand.

      Auch Ritter Kuno hatte sein Darlehen von einem alten Juden erhalten, der den Gerüchten nach der reichste Mann in der Stadt sein sollte. Man sah ihm das aber nicht an, denn er verstand es, seinen Reichtum zu verschleiern, indem er bescheiden wohnte und nur in einem alten verschlissenen Kaftan aus dem Hause ging. Ritter Kuno, der viel Wert auf das Äußere legte, graute davor dass, dass dieser unappetitliche Mann nun bei ihm erscheinen würde, denn das Darlehen war fällig.

      Auf den Tag genau – es war gerade Gründonnerstag – kam also der Jude zur Burg. Am Tor glänzte ihm ein bronzener Löwenkopf bedrohlich entgegen, der einen großen Metallring im Maul hielt. Der alte Mann ließ sich davon nicht abschrecken. Er ergriff den Ring und hämmerte damit dreimal energisch gegen das Portal, um auch wirklich in der weitläufigen Burg gehört zu werden. Das dröhnende Klopfen drang bis oben in das höchste Turmzimmer, in dem Ritter Kuno saß. Am liebsten hätte er gar nicht geöffnet. Aber jemand von seinem Personal hatte dem Juden schon Einlass gewährt und ihn zum Ritter geführt. Dieser hatte nun eigentlich erwartet, dass sein unangenehmer Besucher sofort zur Sache gekommen wäre. Zur großen Überraschung des Ritters fing der aber an zu jammern: Es gehe ihm schlecht; er habe seine Darlehen zu billig hergegeben und viel teurer refinanzieren müssen, als er gedacht habe; Kriege in verschiedenen Ländern seien die Ursache dafür, dass man für Geld immer mehr bezahlen müsse.

      „Alles gelogen!“ dachte der Ritter und der Widerwillen, den er gegenüber dem Juden empfand, verwandelte sich in blanken Hass, denn er ahnte, was da kommen würde: entweder Rückzahlung oder Zinserhöhung! Der Ritter hatte nur einen Teil des fälligen Betrages für die Rückzahlung zur Verfügung, aber den wollte der Jude nicht annehmen. Er beharrte darauf:

      „Der gesamte Betrag ist heute fällig – entweder alles oder nichts!“

      Der Ritter verlegte sich aufs Bitten, was ihm gerade gegenüber diesem Menschen zutiefst zuwider war. Aber der Mann blieb hart. Einen Augenblick lang dachte der Ritter daran, das Problem durch Mord zu lösen, aber er wusste, dass dies keinen Sinn hatte.

      Als könne der Jude Gedanken lesen, sagte er:

      „Ich habe Ihre Schuldscheine nicht dabei. Sie liegen in einer venezianischen Bank, wo ich mir das Geld geliehen habe. Wenn ich nicht zahle, verdoppelt sich dort der Zins, so dass auch ich nun von Ihnen für die Verlängerung des Darlehens einen entsprechend höheren Zinssatz verlangen muss, ohne dass ich selbst etwas daran verdiene. Schuldner, die bei Fälligkeit nicht zurückzahlen, gelten nun einmal in Bankkreisen als hohes Risiko, und ein solches Risiko muss eben mit höheren Zinsen bezahlt werden. Das sind die harten Gesetze des Bankwesens. Gegen die kann ich nichts machen – so leid es mir tut.“

      Der Ritter erbleichte. Er hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet, aber die Forderung des Juden übertraf noch seine düstersten Ahnungen. Er konnte sich ausrechnen, wann seine ganzen Besitztümer dem Juden zufallen würden. Dementsprechend gierig leuchteten dessen Augen, wie der Ritter wahrzunehmen glaubte. Schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als eine vom Juden schon vorbereitete Schuldurkunde mit dem doppelten Zinssatz zu unterzeichnen. Dabei wäre ihm noch beinahe vor lauter Zorn ein Fehler unterlaufen. Im letzten Moment setzte er bei der Unterschrift noch den Satz hinzu, dass diese Urkunde keine neue Schuld begründe, sondern nur einen Zahlungsaufschub dokumentiere.

      „Ach ja! Gut, dass Sie das tun“, meinte der Jude. „Ich habe das vielleicht ein wenig unglücklich formuliert, aber Sie hätten sich auf mich verlassen können: Ich bin ein ehrlicher Mensch und hätte das Geld niemals doppelt verlangt. Sie kennen mich ja. Ich war immer zu Ihren Diensten, und Sie sind gut damit gefahren.“

      „Du falscher Hund!“ dachte der Ritter, lächelte säuerlich-freundlich und versicherte, dass er im nächsten Jahr mit Sicherheit alles zurückzahlen würde. Beide wussten, dass dies aussichtslos war.

      Der Ritter hatte eine unruhige Nacht. Alle möglichen Gedanken schossen ihm durch den Kopf: Wie sollte er jemals das Darlehen tilgen? Oder gab es einen Weg, das Problem anders zu lösen? Vielleicht konnte er den Juden ja nachts überfallen und ihm eine Quittung abpressen? Aber wie sollte man das anstellen? Der Mann war übervorsichtig und ging bei Dunkelheit nicht mehr auf die Straße. Man müsste ihn also unter einem Vorwand aus dem Haus locken. Während er so hin und her überlegte, kam sein Kutscher und sagte:

      „Herr, es ist Zeit, zur Karfreitagsandacht in die Kirche zu fahren.“

      In der Kirche verlas der Pfarrer die Leidensgeschichte