Peter Rogenzon

Verbotene Zone


Скачать книгу

dass diese beiden Priester jeweils alsbald von einem Nachfolger abgelöst wurden.

      Eines Morgens, als der junge Pfarrer die Kirche für die Besucher aufsperrte, kamen drei Männer auf ihn zu. Sie stellten sich vor und erklärten, sie kämen vom Amt für Denkmalpflege und wollten sich ein Bild davon machen, ob und in welchem Umfang die Restaurierung des Gotteshauses erforderlich sei. Der Pfarrer war von der Idee begeistert, dass seine Kirche vielleicht bald in neuem Glanz erstrahlen würde, bemerkte aber doch:

      „Lassen Sie bitte aber unsere wundertätige Gottesmutter in Ruhe! Die Leute lieben sie so, wie sie ist.“

      „Gerade auf die haben wir es auch abgesehen. Sie ist eine der schönsten gotischen Madonnen in unsrem Lande und muss natürlich in ihrem Zustand erhalten werden. Sie glauben ja gar nicht, was wir oft bei unseren Arbeiten entdecken. Die letzte alte Mutter Gottes, der wir uns gewidmet haben, war innen total von Würmern zerfressen und wurde praktisch nur noch von der Bemalung zusammen gehalten.“

      „Für meine Madonna lege ich die Hand ins Feuer!“ lachte der junge Pfarrer.

      Nach einiger Zeit rückte die Mannschaft der Restauratoren an. Gerüste wurden aufgestellt. Die alten Figuren, darunter die Madonna, wurden sorgfältig verpackt und in die Werkstatt der Denkmalschützer abtransportiert. Für den Pfarrer war es eine schreckliche Zeit, seine Kirche in so verwüstetem Zustand zu sehen, aber dann erlebte er doch mit großer Freude, wie alles viel herrlicher wurde als vorher. Tag für Tag erstrahlte wieder ein weiteres Stück frisch aufgetragenen Blattgolds in der Morgensonne.

      Nur die Madonna fehlte noch.

      „Sie kommt nächste Woche mit einem Spezialtransport“, kündigte einer der Restauratoren telefonisch an.

      Da hatte der Pfarrer eine Idee: Man würde die Madonna feierlich in einer Art Wallfahrt heim holen. Und so geschah es auch: Die Figur der Gottesmutter wurde in Schatzberg auf einen festlich geschmückten Wagen umgeladen und kehrte hoch oben unter einem Baldachin thronend in ihre Kirche zurück. Das Volk klatschte und sang Marienlieder. Selbstverständlich gab es abends einen Gottesdienst in der überfüllten Kirche. Anschließend hatte der Geistliche die Restauratoren zu einem Abendessen in den Pfarrhof eingeladen. Bei dieser Gelegenheit schöpfte man zwischendurch ein wenig frische Luft in dem alten Garten, der einmal zu dem dort befindlichen Kloster gehört hatte. Der Leiter der Restaurationsarbeiten erzählte dem Pfarrer von der Schwierigkeit verschiedener Techniken, die man angewandt habe, und sagte dann plötzlich:

      „...und auch auf noch etwas sind wir gestoßen. Sie wissen, was ich meine. Wir haben alles so gelassen, wie es ist, und sind natürlich verschwiegen!“

      Der Pfarrer war so konsterniert, dass sein Begleiter nochmals nachfragte:

      „Sie wissen doch, von was ich rede: von der Madonna.“

      „Ja und? Was ist mit ihr? War vielleicht auch bei ihr der Wurm drin?“

      „In gewisser Weise: ja! Wir beide wissen doch Bescheid.“

      „Sie schon, ich nicht!“ erwiderte der Pfarrer.

      Die Art, wie der Pfarrer redete, zeigte dem Denkmalpfleger ganz deutlich, dass der junge Mann keine Ahnung hatte, denn er war offensichtlich nicht der Typ eines guten Schauspielers.

      „Also“, begann der Denkmalpfleger, „Ihr Marienwunder ist gar keines. Die Marienfigur hat eine Krone auf dem Kopf, in die Wasser gegossen wird. Durch einen feinen gebohrten Kanal fließt dieses Wasser tröpfchenweise bei den Augen der Madonna wieder heraus.“

      Der Pfarrer holte tief Luft:

      „Ich könnte das niemals glauben, wenn nicht gerade Sie als Denkmalpfleger es mir gesagt hätten. Ich habe wirklich nichts davon gewusst. Deshalb ist ja auch im letzten Jahr das Wunder ausgefallen. Ich werde selbstverständlich das Notwendige veranlassen.“

      „Wir sind ja als Beamte zur Verschwiegenheit verpflichtet. Wir würden nichts sagen. Es könnte also alles so weiter laufen wie bisher. Die Menschen brauchen ja so etwas für ihren Glauben.“

      „Mit mir nicht. Für mich haben Glauben und Betrug nichts miteinander zu tun.“

      „Als Atheist sage ich lieber nichts dazu.“

      Nach diesem Gespräch war für den Pfarrer nichts mehr so wie vorher. Sollte er mit dem Bischof reden? Am einfachsten wäre es halt, die Verantwortung auf andere abzuschieben. Oder sollte er selbst entscheiden, wie es wohl auch zwei seiner Vorgänger getan hatten, bei denen die Wunder ausgeblieben waren?

      Anscheinend war das Geheimnis des Wunders von seinen früheren Kollegen in der Generationenfolge immer weiter gegeben worden. Nur bei ihm hatte es nicht funktioniert, denn sein Vorgänger war schon in jungen Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

      Nach einigen schlaflosen Nächten entschloss sich schließlich der Pfarrer, seinen Bischof brieflich über die Entdeckung des Amts für Denkmalschutz zu informieren und zu erwähnen, dass das Wunder in Zukunft ausfallen würde.

      Kaum hatte er den Brief fertig gestellt, plagten ihn Gewissensbisse. Wie viel ärmer würde das Leben im Ort sein ohne die große Wallfahrt. Manch einer war auf die Einkünfte aus dem großen Ereignis angewiesen. Wie viele Menschen fanden Trost und Hoffnung vor der Madonna! Konnte er seinen Beruf nicht auch so auffassen, dass er sich als eine Art von Seelenarzt betätigte, wie er es oft im Beichtstuhl getan hatte? Und wäre es da nicht hilfreich für die vielen Verzweifelten, etwas zu haben, an dem sie sich festhalten konnten im „Meer der Verzweiflung“, wie es in einem Gebet hieß? Fragen über Fragen, auf die er keine Antwort fand. Er legte den Brief an den Bischof in eine Schublade seines Schreibtisches und dachte an einen Ausspruch seines Vaters:

      „Es gibt Dinge, über die man länger nachdenken sollte. Trotzdem fällen die meisten Menschen ihre Entscheidungen ganz spontan.“

      Damit müssen wir den Pfarrer allein lassen mit seinen Problemen. Als diese Geschichte aufgeschrieben wurde, hatte er sich noch nicht entschieden. Wenn Sie wissen wollen, wie es weiter gegangen ist, müssen Sie schon selbst nach Schatzberg fahren und nachschauen.

      3. Die Frömmlerin

      Viele Menschen, besonders Frauen, durchleben Phasen, die von besonderer Frömmigkeit gekennzeichnet sind. Oft beginnt es bei den Katholiken schon in frühester Jugend mit der Erstkommunion. Die kleinen Mädchen werden herausgeputzt wie für eine Hochzeit, und glauben tatsächlich auch, sie seien nun Bräute Christi, weil man ihnen das so im Religionsunterricht beigebracht hat.

      Auch die kleine Lisbeth fühlte sich nach ihrer Erstkommunion wie ein Fleisch gewordener Engel, und so trachtete sie danach, diesen Zustand des seligen Schwebens möglichst lange zu erhalten. Mit ihren 8 Jahren entschloss sie sich daher zu einer Art von religiöser Mutprobe. Weil sie auf ihrem täglichen Schulweg immer wieder am erzbischöflichen Palais vorbei kam, läutete sie – einer plötzlichen Eingebung folgend – an der großen, ehrfurchtgebietenden Messingglocke, die golden in der Morgensonne glänzte. Kaum hatte sie mit ihrem kleinen spitzen Finger auf den Knopf gedrückt, da wollte sie am liebsten schnell wieder davon laufen, aber es war schon zu spät, denn ein würdiger Herr, der wie ein schwarz gekleideter Weihnachtsmann aussah, öffnete die Tür. Er fragte freundlich:

      „Na, wer bist denn du? Und was möchtest du hier?“

      Lisbeth, die sich auf diese Frage innerlich vorbereitet hatte, antwortete wie aus der Pistole geschossen:

      „Ich bin Lisbeth Heiger und möchte unbedingt den Herrn Erzbischof sprechen!“

      „Also, wenn es so unbedingt sein muss, will ich mal nachsehen, ob er da ist. Setz' dich einstweilen hier hin!“

      Er deutete auf eine Bank neben der Tür und entfernte sich. Lisbeth klopfte das Herz bis zum Hals. „Flucht!“ war der einzige Gedanke, den sie fassen konnte, aber sie fürchtete, dass sie mit ihren schwachen Kräften kaum die riesige Portaltür würde öffnen können. Außerdem: Was hätte