Doris Vogt-Köhler

Gestrandet in Weimar


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Ihre Tochter wäre betrunken gewesen, und zwar von dem Uso, den Christin an der Bar geklaut hätte. Christin hätte sehr viel mehr von dem brennenden Zeug getrunken als ihre Tochter und ihr erzählt, dass Sie eben nicht ihre richtige Mutter wären. Ihre richtige Mutter sei viel jünger und schöner, und bald würde sie wieder zu ihrer richtigen Mutter zurückkehren.

      Das hatte seiner Frau die Sprache verschlagen und noch viel mehr die Behauptung von Christin ihm gegenüber: Nicht sie hätte Alkohol getrunken, sondern seine Frau. Total betrunken wäre ihre Mutter ins Bett gewankt.

      „Du siehst echt Scheiße aus.“

      Diese Worte von Christin gerichtet an seine Frau hatten das Fass zum Überlaufen gebracht. Von Liebe, Sympathie oder Herzenswärme war in jenem Moment nicht das kleinste Fünkchen zu spüren. Christin sagte, was ihr gerade einfiel. Keiner hinderte sie, ihren Gedanken freien Lauf zu lassen. Sie wollte ihre Macht ausprobieren, seine Frau auf einen Feuerstuhl setzen. Aber diese hielt dem Druck der gemeinen Verleumdungen, den züngelnden Flammen stand. Nur in Gedanken zerquetschte sie wenn auch behutsam und nachdenklich wie eine echte Mutter die vierundzwanzig Rippen in Christines Brustkorb.

      „Ich ersticke hier in einem Zimmer mit dir.“ waren die einzigen Worte seiner Frau gewesen, die auch Christin bestätigte, als sie bereits am zweiten Tag im Kinderhaus ankamen. Warum hatte er nur nicht daran gedacht, als er die Anzeige machte. Seine Frau hatte ihn nicht dazu ermutigt. Er erinnerte sich ihrer fragwürdigen Meinungsäußerung:

      „Christin hat es uns doch gesagt, wir würden nur Geld mit ihr verdienen. Sind wir doch offen und ehrlich. Mit der Adoption sind wir hineingetreten in den Misthaufen.“

      Herr Engel kam nach intensiven Überlegungen zu dem Schluss, nicht mehr mit diesem schrillen Lokomotivenpfiff aus vergangenen Zeiten zu reagieren und auch nicht mehr auf das anhimmelnde Winseln von Christin hereinzufallen. Schon gar nicht mehr wollte er sich das Flötenkonzert seiner Übergeordneten anhören. Nein, er musste sich selbst ein Bild machen, um es herauszukriegen: Warum und zu welchem Zweck Christin rebellierte? Wer verfolgte da welche Interessen?

      Den beiden festangestellten Erzieherinnen gab er konkrete Anweisungen, besonders die so nebensächlich geäußerten Bemerkungen von Christin zu beachten und sie unauffällig zu beobachten. Die Haushaltshilfe bat er, die herumliegenden Sachen von Christin sich genauer anzusehen, ob sie heimlich Flaschen mit Alkohol verstecke. Er war mit seiner Frau jetzt 27 Jahre verheiratet. Zur Silberhochzeit hatten sie Christin adoptiert. Es war sein Geschenk an die vielen Jahre mit seiner Frau gewesen, in denen sie sich immer Kinder gewünscht hatte, aber nie eins bekam oder besser bekommen konnte. Das lag nicht an ihr, sondern an ihm. Er hatte es immer gewusst, aber niemanden verraten, auch nicht seiner Frau. Seine Mutter, die sehr früh verstorben war, hatte es ihm auf dem Sterbebett gebeichtet. Seine Hoden wären erst mit sieben Jahren operativ von der Bauchhöhle in den Hodensack transportiert worden. Die Ärzte hätten ihr damals gesagt, dass er vermutlich nie Kinder zeugen könne. In Anbetracht dieser Tatsache dachte Herr Engel seit seinem 18. Lebensjahr, er müsse sein Fortpflanzungsorgan eifrig trainieren, denn zu irgendetwas musste es ja taugen, wenn schon nicht zum Kinderzeugen. Natürlich nicht nur mit seiner späteren Frau. Maßliebchen nannte er seine wenigen Affären. Sein letztes Maßliebchen, eine sexbesessene selbstherrliche Dozentin für Psychologie, wollte ihn bezähmen. Angstvoll hatte er schon bei jedem Anruf von ihr gezittert. Sie blies ihn schaudernd um das ganze Erdrund. Er solle seinen Winden freien Lauf lassen. Nach Osten, Süden, Westen, Norden. Herr Engel war ein einfacher bodenständiger Mensch mit einer wahrscheinlich verstaubten Erziehung für das Gute und Schlechte. Den Begriff pervers trennte er sehr spät von dem Begriff originell. Jetzt sträubten sich seine Haare nicht mehr zu Berge. Dozentin Schreckensliebchen hatte ein anderes Opfer gefunden. Dafür gab es andere Brandstellen. Wie eine langsam im Mund schmelzende Praline hatte Herr Engel sich wieder auf seine Frau besonnen. Er liebte ihr Lächeln, ihren Humor, und er liebte sie selbst. Gut, abends trank sie ein, zwei Gläschen Rotwein, aber meistens Rotweinschorle und harte Sachen nie. Nie hatte er seine Frau betrunken gesehen. Widerwärtig, mit welchen Problemen er sich beschäftigen musste.

      Und prompt klopfte Christin an seine Bürotür. Herr Engel trat zur Begrüßung nah an sie heran, konnte aber keinen Alkohol riechen, da Christin den ganzen Mund voller Kaugummi hatte.

      „Jetzt nicht.“ sagte er. „Ich muss dringend weg. Gehe mal zu deiner Mutter in die Küche.“

      Christin verschwand in Windeseile. Sie ahnte sicher, dass er übelgelaunt war.

      Zuerst zog es Herrn Engel in die Schule. Vielleicht würde er noch die Klassenlehrerin oder einen Sportlehrer antreffen. Dann zu seinem ehemaligen Schulfreund, der hatte ein Alkometer. Er musste der Sache auf den Grund gehen und nichts bemänteln. Die Anzeige eventuell zurückziehen.

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