J. U. Gowski

Der König ist tot, lang lebe der König


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über jeden Dollar und stellen keine Fragen.«

      Zarif sah Nasser Al-Sharif an und fragte: »Noch was?«

      Etwas an dem Klang der Stimme ließ Nasser aufmerksam werden. Er sah in Zarifs schmales Gesicht. Zarifs Augen funkelten unter den sorgsam gezupften Augenbrauen.

      »Was passt dir nicht?«

      »Das weißt du«, antwortete Zarif kurz angebunden. Er hatte nicht vor weiter darauf einzugehen.

      Nasser sah ihn verärgert an. Eine scharfe Falte bildete sich zwischen den Augenbrauen. »Ich werde nicht wegen deiner moralischen Anflüge auf diese Einnahmequelle verzichten.«

      »Das weiß ich. Ich find nur, es ist etwas anderes, wenn sich Frauen freiwillig zu so etwas hergeben, egal aus welchen Gründen, als sie mit falschen Versprechen aus ihrer Heimat zu locken.«

      Nasser schwieg belustigt.

      Stille Wut zeigte sich in Zarifs Gesicht. Über die Wangenknochen zog sich eine leichte Blässe.

      »Auch wir mussten aus unserer Heimat weg.«

      »Du kannst dich doch kaum erinnern. Wie alt warst du da? Zwei?«, entgegnete Nasser.

      Zarif schwieg.

      »Woher kommen deine moralischen Anwandlungen? Früher hab ich die nicht bemerkt.«

      Zarif sah Nasser weiter finster an. Der fuhr unbeirrt fort: »Ich weiß ja, dass du ein Gentleman bist. Aber steh damit nicht unseren Geschäften im Wege.«

      Zarif vernahm den metallischen Klang in Nassers Stimme, die leichte Schärfe und wusste, es war besser zu schweigen. Zarif nickte.

      »Ist es wegen der Bommer?«, fragte Nasser plötzlich.

      Zarif sah seinen Boss mit steinerner Miene an.

      Nasser Al-Sharif bekam einen lauernden Blick.

      »Du würdest es mir doch sagen, wenn du mit ihr ein Verhältnis angefangen hast?«

      Zarif antwortete kurz angebunden: »Du weißt, dass ich es dir sagen würde.«

      »Weiß ich das? Sie ist meine Anwältin und ich würde es nicht lustig finden, wenn sich Privates mit Beruflichem vermischt.«

      Sie maßen sich mit Blicken. Dann lächelte Nasser und sagte: »Hau ab und sieh zu, dass du das für mich erledigst.«

      Zarif drehte sich wortlos um und verließ das Büro. Die Tür ließ er offen stehen. Nasser Al-Sharif sah ihm nachdenklich hinterher.

      Zarif öffnete die Tür seines Jaguars, den er in der kleinen Seitenstraße geparkt hatte und setzte sich hinein. Er schloss die Augen. Er musste an die Frage von Nasser denken und seinen Blick dabei. Er sollte Kirsten anrufen. Er traute Nasser nicht über den Weg. Noch hatten sie Zeit, ihre Pläne umzusetzen. Zarif wusste: Nasser Al-Sharif würde nichts unternehmen, bis er sich nicht ganz sicher war, dazu betrachtete er ihn zu sehr als seinen Sohn. Zarif öffnete die Augen, sah die kahle Trostlosigkeit der Bäume, die in den stahlgrauen Himmel ragten. Nichts davon war dazu geeignet seine Stimmung zu heben. Die Stimme von Kirsten vielleicht. Entschlossen griff er zum Telefon und wählte die Nummer. Nach einem Freizeichen hörte er schon ihre helle Stimme sagen: »Hallo Liebling, was gibts?«

      »Er ahnt was.«

      Stille am anderen Ende. Sie zog sich hin. Dann die bange Frage: »Was sollen wir tun?«

      »Erstmal nichts. Wir halten den Ball flach.« Er hörte sie seufzen. »Wir werden uns für eine Weile nicht sehen. Nasser wird auch bei dir auf den Busch klopfen. Sei vorsichtig. Denn wenn er Gewissheit bekommt und weiß, dass wir ihn hintergangen haben, sind wir tot.«

      »Aber wie lange darf ich dich nicht sehen?«

      »Ich denke, mindestens einen Monat.«

      »So lange?«

      »Ja.« Er atmete tief durch. »Ich werde ein paar Vorbereitungen treffen. Für den Fall der Fälle. Falls wir schnell wegmüssen.«

      »Wir wollten doch erst in einem halben Jahr…«

      »Ja, das bleibt auch Plan A«, unterbrach er sie. »Aber nach dem jetzigen Stand der Dinge ist es nicht schlecht auch einen Plan B zu haben.«

      Sie schwieg dazu. Dann holte sie tief Luft und flüsterte: »Du musst ihn töten.«

      Zarif wurde blass. und sah auf das Display. Das konnte sie nicht ernst meinen und er schrie in das Handy: »Niemals. Er ist wie ein Vater für mich.«

      Sie schwieg. Und dann sagte sie ruhig, mit eisiger Stimme: »Du weißt, dass es am Ende darauf hinauslaufen wird. Wir können uns nicht ewig verstecken. Und selbst wenn dein Plan A gelingt. Er wird uns verfolgen und finden.«

      »Nein«, sagte Zarif wütend und klappte das Vertu Handy zu.

       Samstag 18.11.

      

      3.

      K.N. Tesboč, von Freunden Nicky genannt, saß am Schreibtisch und strich sich über den Bauch. Er wölbte sich leicht. Die Ernährungs-App, die Tesboč sich auf das Handy geladen hatte, Nicky Tesboč nannte die App Detlef, war wenig hilfreich gewesen. Vielleicht lag es daran, dass Tesboč Detlef mittlerweile ignorierte. Tesboč sah hinüber zu den Plänen, die an der Wand im Zimmer angepinnt waren. Das Internet, eine unerschöpfliche Quelle: Man konnte Anleitungen aller Art und auch Konstruktionspläne herunterladen. Und Tesboč hatte die Quelle ausgiebig genutzt, wusste jetzt, wo der Schuss anzusetzen war, um bei dem Elektromobil aus größerer Entfernung die Bremsen auszuschalten, so dass es auf die Fahrbahn rollen musste. Es sollte wie ein Unfall aussehen, denn Nicky Tesboč hatte noch einiges vor. Es standen bisher drei Namen auf der Liste und dazu benötigte man Zeit. Nicky Tesboč sah auf die Uhr. Noch eine Stunde um sich fertigzumachen und die Position auf dem Dach einzunehmen. Keine Eile, alles war sorgsam geplant, ausgerechnet und vorbereitet. Tesbočs Angst, die Schießkünste wären im Laufe der Jahre ohne Training eingerostet oder gar unwiederbringlich verloren gegangen, erwies sich nach ein paar Übungen in den brandenburgischen Wäldern als haltlos. Die Treffsicherheit kehrte zurück. Jetzt musste nur noch das Opfer mitspielen, und die Ampel. Wenn es nicht gleich beim ersten Versuch klappte, dann beim nächsten. Nicky Tesboč hatte Zeit, viel Zeit, hatte nichts Besseres vor.

      Ein 67 Jahre alter Mann, mit verbissenem Gesicht und wulstigen Lippen raste auf seinem Elektromobil den Bürgersteig entlang. Zwei Passanten sprangen fluchend beiseite. Im Märkischen Viertel war er für seine Rücksichtslosigkeit bekannt wie ein bunter Hund. Es scherte ihn nicht. Rücksicht war was für Schwache. Auch wenn vielleicht der Eindruck entstand, dass er auf das Elektromobil angewiesen war. War er nicht! Das war Kalkül. Zwangsläufig brachte er andere damit in die Defensive und dazu, Rücksicht auf ihn zu nehmen. Busfahrer, Verkäufer, Mitmenschen. Und jetzt war er wütend. Er ärgerte sich immer noch maßlos darüber, dass die Schlampe vom Saturn Service ihm den MP3 Player nicht zurückgenommen hatte. Angeblich wegen erheblicher Gebrauchsspuren und über einen Monat alt. Gut, das mit dem Monat stimmte. Aber bei den Gebrauchsspuren war die ganz schön pingelig. Laberte etwas von: nicht mehr im verkaufsfähigen Zustand. Bei ihr hatte die Mitleidstour nichts gebracht. Dabei hatte er sich berechtigte Hoffnung gemacht, weil er mitbekommen hatte, dass die andere, die sonst immer den Servicetresen bewachte und ihn nicht leiden konnte, schon länger fehlte. Krank wahrscheinlich. Aber ihre Vertretung war auch nicht besser. Und der Geschäftsführer war nicht da, was auch blöd war. Letztens hatte es mit dem ganz gut geklappt. Er hatte sogar noch einen Gutschein bekommen für die Unannehmlichkeiten. Wenn der wüsste. Er konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Egal, der Geschäftsführer, Herr Altmann ist morgen wieder da, so lautete die Auskunft. Das roch wieder nach einem Gutschein für ihn. Eigentlich wollte er die eine Station mit dem Bus fahren. War extra über die Straße zur Haltestelle gefahren. Aber eins kam zum anderen, die Busse hatten Verspätung. Er sah auf die Uhr. Es war 18:55 Uhr und es wurde langsam knapp. Um 19:00 Uhr war das Treffen der »Freunde des Märkischen Viertels« anberaumt. Diesmal bei dem Mayer, der wohnte