J. U. Gowski

Der König ist tot, lang lebe der König


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      »Eine Kiste Bier.«

      Koslowski starrte Tom Meyerbrinck irritiert an.

      »Wir haben doch voriges Jahr in Belgien, genauer gesagt in so einem kleinen Gasthof in Ternell ein Bier getrunken, was meiner Frau unheimlich gut geschmeckt hat«, erklärte Meyerbrinck. »Ein Ingwer Bier. Nennt sich MyDay. Ist vom dortigen Koch kreiert worden.«

      »Ein Koch, der Bier trinkt, ganz mein Fall«, warf Koslowski ein.

      »Und seitdem habe ich versucht, es irgendwo aufzutreiben«, fuhr Meyerbrinck unbeirrt fort. »Sie haben es damals auch schon in Flaschen abgefüllt. Die letzten zwölf aus ihrem Vorrat hatten wir gleich eingesackt.«

      »Und jetzt weißt du, wo du es herbekommst?«

      »Genau.«

      Er sah Koslowski voller Stolz an.

      »Hab im Netz recherchiert und es in der Touristen Info in Eupen gefunden. Die verkaufen das Bier dort. Ich habe gleich dort per Mail angefragt, die versenden aber nicht, haben aber meine Anfrage weitergeleitet. Kurze Zeit später hat sich eine Myriam Tangeten gemeldet. Sie ist die Mitinhaberin von dem MyDay Bier und die haben jetzt eine eigene Brauerei in Berterath, nennt sich Eifel Craft Beer. Und nach regem Mailverkehr hat sie eine Lösung gefunden. Ein Online-Händler wird wöchentlich mit Spezialbieren aus Belgien beliefert. Die Transportfirma sitzt in Monschau und das liegt nur 20km von Eupen. Denen hat sie die Kiste Bier mitgegeben. Da dieser Händler auch ein Ladengeschäft hat, in der Stargarder Straße, kann ich mir die Kiste dort abholen. Sie steht für mich bereit.«

      »Na das nenn ich mal Service.«

      »Du sagst es. Ich muss mich echt bei Myriam Tangeten bedanken.«

      Koslowski sah in Meyerbrincks immer noch glücklich lächelndes Gesicht. »Das solltest du, aber später. Grüß Charlotte von mir.«

      Meyerbrinck grinste. Er wusste nicht, ob das eine gute Idee war.

       Mittwoch 20.12.

      5.

      Bernd Mayer schlurfte an der Küche vorbei, in der seine Frau das Abendbrot bereitete. Kratzte sich an seinem dicken behaarten Bauch, der unter dem gerippten Unterhemd hervorlugte, das ihm aus der Trainingshose gerutscht war. Er musterte sie im Vorübergehen missmutig. Sie war die Ursache seiner schlechten Laune und die kurze Mitteilung, die er heute in der Post gefunden hatte. Er musste zugeben, sie beunruhigte ihn mehr, als ihm lieb war. Vielleicht hatte er deswegen so gereizt reagiert, als Anna ihn fragte, ob sie heute Abend zu ihren Eltern gehen könnte. Er hatte es ihr untersagt. Einmal in der Woche sollte reichen. War es sein Problem, dass die nach den vielen Jahren hier immer noch nicht heimisch geworden waren, sich zurück nach ihrer russischen Heimat sehnten? Dabei hatten sie es doch gut hier. Eine warme Wohnung, mussten nicht hungern. Sein Staat kümmerte sich um sie. Und dann war da noch dieser Konrad Weiß, auch so ein Russland-Deutscher. Wie der immer seine Frau anstarrte. Ihr schien das zu gefallen. Er hatte sie dabei ertappt, wie sie sich neckisch im Haar spielte, wenn der Weiß sie heimlich musterte. Er ging ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch fallen. Neben ihm zwischen Couch und Wand leuchtete der Weihnachtsbaum. Er hatte ihn heute Vormittag geschmückt. Auf das alte Bleilametta war er besonders stolz. Alter Familienbesitz. Wie auch der Stern, der die Spitze der Nordmanntanne zierte. Doch so richtig wollte keine Weihnachtsstimmung bei ihm aufkommen. Er stierte kurz zum Fernseher und brüllte: »Anna, Bier.«

      Dabei grabschte er die Fernbedienung vom Couchtisch und schaltete den Fernseher ein.

      Auf dem Dach des Hochhauses gegenüber des Wilhelmsuher Damms 114 öffnete sich eine Tür. Nicky Tesboč betrat mit einem Rucksack das Dach. Das Licht warf einen kurzen hellen Lichtschein an die Mauerbrüstung. Mit dem Schließen der Tür wurde Tesboč wieder von der Dunkelheit geschluckt. Ein kaum sichtbarer dunklerer Schatten. Tesboč zog sich die Jacke fester zu und schlug den Kragen hoch. Das Gesicht war schmal, die Nase durch die Kälte gerötet. Es war windstill und eisig kalt. Ein komisches Jahr ging zu Ende. Der Sommer hatte eigentlich nicht stattgefunden. Der Herbst war früh gekommen und schnell wieder gegangen. Und jetzt brachte der Winter Kälte. Doch der Schnee ließ auf sich warten. Es würde dieses Jahr nichts werden mit der weißen Weihnacht, wenn nicht noch ein Wunder geschah. Doch laut Wetterprognose würde es kein Wunder geben. Den länglichen Rucksack, einen alten Seesack, stellte Tesboč an der kleinen Mauer ab und beugte sich dann über die Brüstung, um hinunter in den Hof zu sehen. Alles war ruhig. Tesbočs Blick schweifte ab zur Hauptstraße, die kahlen Platanen, die den Wilhelmsruher Damm säumten, leuchteten. Sie waren jetzt in der Weihnachtszeit mit Glühlampen und überdimensionalen leuchtenden Sternen und Gebilden geschmückt, die wohl Eiskristalle darstellen sollten. Dann blickte Tesboč zu den Fenstern des Seniorenheimes, sie bemühten sich, Wärme und Behaglichkeit auszustrahlen. Das Heim war vor ein paar Jahren, sehr zur Verärgerung der Anwohner, auf ihrem ehemaligen Parkplatz errichtet worden. Das Einkaufscenter dahinter auf der anderen Straßenseite, mit vielen kleinen Geschäften, dem Kaufland und dem Saturn Markt daneben, leerte sich. Die letzten Kunden und die ersten Mitarbeiter belagerten die Bushaltestelle vor dem Märkischen Zentrum. Es war 20:12 Uhr. Auf der Kreuzung Wilhelmsruher Damm und Treuenbrietzener Straße der übliche Abendverkehr. Linienbusse mit beschlagenen Fensterscheiben spuckten an der Haltestelle Menschen verschiedenster Nationen aus. Alle dick eingepackt gegen die winterliche Kälte. Russen, Italiener, Tschetschenen, Türken, Afrikaner, Araber, Albaner, Polen, Rumänen und auch ein paar Deutsche. Im Hof plötzlich Stimmenlärm. Tesboč ging zu der Brüstung und sah neugierig hinunter. Ein paar jugendliche Deutsch-Türken balzten lautstark um ein fünfzehnjähriges Mädchen mit blondgefärbten Haaren und pinkfarbener glänzender Jacke. Es war offensichtlich, dass das Mädchen die Situation genoss. Man konnte ihr lautes Lachen bis zum Dach hören. Und die Trottel, von ihrem Testosteron gesteuert, fallen darauf herein, dachte Tesboč und schüttelte unmerklich den Kopf. Es würde nicht lange dauern und die Balgerei würde ernsthafter werden. Der Mund verzog sich zu einem geringschätzigen Lächeln. Respektlose halbstarke Bengel, ganz im Gegensatz zu ihren Vätern. Die braunen Augen musterten das gegenüberliegende Hochhaus. Tesboč hockte sich hin. Die Balkone der Häuser waren für das kommende Weihnachtsfest geschmückt. Es war einfach auszumachen, in welchen Wohnungen Deutsche oder Russen wohnten. Da leuchtete und blinkte es ohne Rücksicht auf die Stromrechnung oder Schlafstörungen der Nachbarn. Es dauerte nur einen kurzen Moment, dann hatten die Augen das richtige Fenster erfasst. Wie in all den Wochen zuvor saß der dicke Mann im Unterhemd in dem überheizten Wohnzimmer vor dem Fernseher, während seine Frau in der Küche den Abwasch machte. Vor sich auf dem Couchtisch, neben dem Adventskranz, eine Flasche Bier und eine große Glasschale mit Chips. Der Mann machte einen nervösen Eindruck. Tesbočs Mund verzog sich zu einem Lächeln. Auf der kleinen Anrichte neben der Wohnzimmertür lag der Brief. Er war geöffnet. Die Nachricht hatte ihn also erreicht. Tesboč setzte das Fernglas ab und beugte sich zu dem Seesack herunter. Dort holte Tesboč erst einen kleinen Sandsack hervor, dann den Koffer mit dem Gewehr. Eine russische Scharfschützenwaffe, WSS Wintores aus dem Bestand der sowjetischen Armee. Es waren nur ein paar kleine Gefälligkeiten für Sergej nötig gewesen. Sergej war ein junger Offizier einer Funkeinheit, die auf dem Schneekopf bei Oberhof, Tesbočs alter Heimat, stationiert gewesen war. Im Februar 1994 wurde sie als letzte Einheit abgezogen. Doch danach standen sie weiter in Kontakt. Per Brief, später per Mail und zu Weihnachten gab es Pakete. Sergej hatte es inzwischen zum Oberst in der russischen Armee gebracht. Nicky Tesboč hockte sich hin, öffnete den Koffer und entnahm die Waffe und die Schulterstütze. Tesboč setzte das Gewehr zusammen und klickte dann das PSO-1 Zielfernrohr darauf. Den Sandsack legte Tesboč auf die Brüstung, kniete sich davor nieder und stützte das Gewehr auf dem Sandsack ab. Tesboč zog den rechten Lederhandschuh aus und sah durch das Zielfernrohr, hielt den Atem an, zielte rechts über dem Fenster auf den kleinen Fleck an der Wand und drückte ab. Durch den integrierten Schalldämpfer war der Schuss in der unmittelbaren Umgebung nur als undefinierbarer Plopp wahrnehmbar. Trotzdem sah der dicke Mann kurz zum Fenster. Scheinbar war der Einschlag neben dem Fenster doch hörbar gewesen. Nach einem kurzen Moment des Lauschens widmete sich der Dicke wieder dem Fernsehprogramm. Es lief eine Quiz-Show. Tesboč setzte das Fernglas wieder an die braunen Augen und kontrollierte den Einschuss. Fuhr sich