J. U. Gowski

Der König ist tot, lang lebe der König


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      Koslowski ließ Van Bergen ausreden. Dann sagte er: »Am Tatort war auch jemand von der Staatsanwaltschaft. Er stellte sich als Herr Schulz vor.«

      Van Bergen warf Koslowski einen genervten Blick zu.

      Di Stefano fragte ungläubig: »Wie kam denn die Staatsanwaltschaft so schnell an den Tatort? Ist doch sonst nicht deren Art.«

      Koslowski warf Van Bergen einen herausfordernden Blick zu. Der schaute nur finster.

      »Pah«, machte Koslowski und wandte sich wieder seinem Team zu. »Staatsanwaltschaft! Wer’s glaubt, wird selig. Der war nie und nimmer von dort. Bleibt also nur Geheimdienst. Von welchem genau ist eigentlich egal. Es scheint jedenfalls in dem Fall eine gewisse politische Brisanz zu stecken.«

      »Ach deswegen kommen die Berichte so schnell. Wir müssen immer zwei Tage betteln«, bemerkte Frederieke Bloom die nervös auf einem Kugelschreiber herumkaute.

      »Und in welche Richtung geht diese Brisanz?«, fragte Lorenz in säuerlichem Tonfall. Ihm schien die ganze Sache nicht zu schmecken. Wie auch den anderen.

      »Berechtigte Frage«, antwortete Koslowski und sah dabei Van Bergen wieder herausfordernd an.

      Van Bergens steinerne Miene wirkte undurchdringlich, man sah ihm nicht an, ob ihm die Geschichte unangenehm war. Seine grauen Augen blickten in die Runde und er sagte: »Es scheint so, dass der Tote zu einer militanten Gruppe gehörte, die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. Es besteht jedenfalls ein großes Interesse daran, dass der Mord zügig ohne großes Tamtam aufgeklärt wird. Das beinhaltet auch Stillschweigen der Presse gegenüber. Also wer sich sonst noch ein wenig Zubrot durch das Stecken von Informationen an die Presse verdient, sollte es diesmal tunlichst unterlassen. Das meine ich ernst.«

      Ben Lorenz murmelte etwas vor sich hin. Frederieke Bloom sah verwirrt zu ihren Kollegen. Sie verstand nicht, wie Van Bergen überhaupt auf solch ein Idee kommen konnte. Es war für sie vollkommen abwegig, und wie sie sah, für die anderen Kollegen auch.

      Koslowski warf Van Bergen einen verärgerten Blick zu.

      »Von meinem Team steckt niemand irgendetwas der Presse. Hat es nie und wird es nie geben.«

      Die Kollegen nickten zustimmend.

      »Ach ja und wie war das mit Tschillner«, erwiderte Van Bergen trocken.

      »Der ist Geschichte, wie du weißt. Und er hatte nichts der Presse gesteckt, nur gewissen anderen Leuten. Außerdem gehörte er auch nicht wirklich zu unserem Team. Er war ein Fremdkörper. Wenn ich mich nicht irre, kam die Anweisung damals von dir, ihn bei uns im Team zu dulden, als Frederieke im Mutterschaftsurlaub war.«

      Jetzt war Van Bergen verärgert, doch nur kurz.

      »Okay, hab ich verstanden.« Seine Stimme klang plötzlich müde. »Aber ihr hoffentlich auch.« Er drehte sich um und öffnete die Tür. »Um zehn bei mir im Büro«, sagte Van Bergen zu Koslowski und nickte noch kurz zum Abschied in die Runde. Dann verließ er den Raum. Die Tür blieb offen stehen. Van Bergens Schritte hallten noch kurz im Flur wider. Koslowski ging zur Tür und schloss sie.

      »Was war denn mit dem los?« Kempa sah fragend in die Runde.

      »Vielleicht braucht er einfach mal ne Frau«, mutmaßte Bulut kichernd.

      »Jetzt reichts.« Koslowski schlug mit der Hand heftig auf den Tisch. Erschrocken zuckte Bulut zusammen. »Kümmern wir uns um unseren Job.«

      Koslowski saß in seinem Büro. Er hatte die Aufgabenverteilung für das Team wie immer seinem Stellvertreter Tom Meyerbrinck überlassen und studierte jetzt noch einmal das dürftige Material, was sie bisher hatten, als Meyerbrinck mit zwei Bechern Kaffee das Büro betrat.

      »Vielleicht braucht Van Bergen wirklich eine Frau«, bemerkte Meyerbrinck. Er stellte einen der Becher vor Koslowski auf den Schreibtisch.

      Koslowski sah von der Akte auf.

      »Woher willst du wissen, ob er nicht jemanden hat?«, erwiderte Koslowski kurz angebunden. »Nicht jeder schleppt sein Privatleben mit auf die Arbeit wie Grabowski, oder du.«

      Meyerbrinck warf ihm einen vergnatzten Blick zu. Koslowski griff nach dem Kaffee und trank von dem heißen Gebräu, während Meyerbrinck sich auf seinen Stuhl platzierte und seinen Rechner hochfuhr.

      Koslowski musterte Meyerbrinck.

      »Deine Laune scheint nicht gerade die beste zu sein, wenn ich daran denke, wie du Kempa zurechtgewiesen hast. Was ist los mit dir?«

      Meyerbrinck zögerte, pustete in seinen Kaffee und nahm schlürfend einen kurzen Schluck. Er stellte den Becher vor sich ab.

      Leise sagte er: »Charlotte. Sie ist genervt, weil das Weihnachtsfest ins Wasser fällt. Unsere beiden Ältesten haben sich angekündigt, mit den Enkelkindern. Und ich werde mit einem Mord beschäftigt sein.«

      »Warum hast du auch schon Enkelkinder? Bist erst vierzig, da ist man normalerweise noch nicht Opa«, versuchte Koslowski zu scherzen. Meyerbrinck sah ihn nur finster an.

      »Sag ihr, sie soll sich nicht verrückt machen. Wir kriegen das schon geregelt.«

      »Ach ja?« Meyerbrinck verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln.

      »Ja«, erwiderte Koslowski ernst, keinen Widerspruch duldend. »Und jetzt weiter. Sind die Jungs unterwegs?«

      »Ja, wie von dir gewünscht. Sie klappern die 120 ab. Das Hochhaus, von dem der Schütze geschossen hat. Befragen die Mieter ob sie was gesehen oder gehört haben.«

      »Und Frederieke?«

      »Sammelt Informationen über das Opfer«, antwortete Meyerbrinck abwesend. Er hatte nur mit halben Ohr hingehört.

      »Kannst du zu der Ehefrau von Mayer fahren? Sie dürfte inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen sein.«

      »Mach ich.«

      »Gut, hier ist ihre Telefonnummer. Eine Handynummer. Sie wohnt erstmal noch bei ihren Eltern.«

      Koslowski reichte Meyerbrinck einen kleinen Zettel.

      »Und du?«, fragte Meyerbrinck.

      »Ich vertrödel mir hier die Zeit.«

      Meyerbrinck sah Koslowski verunsichert an.

      »Das war ein Scherz«, fühlte sich Koslowski bemüßigt zu sagen. »Ich arbeite noch zwei, drei Sachen auf. Und um zehn muss ich zum Chef, wie du weißt.«

      Koslowski fing wieder an, in der Akte zu lesen.

      »Alles klar«, sagte Meyerbrinck und trank seinen Kaffee aus. Er warf den leeren Becher in den Papierkorb und zog sich seine Jacke an.

      »Bis nachher«, sagte er und stapfte durch die offene Tür.

      9.

      Tom Meyerbrinck fuhr in Richtung Berlin Tegel. Er hatte Frau Mayer angerufen. Sie hatten sich für 9:30 Uhr in einem Café im Märkischen Zentrum verabredet. Das Navi hatte ihm eine Fahrzeit von 30 Minuten berechnet. Ihm war klar, dass das nicht klappen würde und er sollte recht behalten. Baustellen und Berufsverkehr ließen nur stockenden Verkehrsfluss zu. In solchen Momenten war Meyerbrinck froh, allein im Auto zu sitzen und nicht Koslowski dabei zuhaben, dessen Gesicht dann meist noch mürrischer wurde, als es ohnehin schon war.

      Irgendwann wurde der Eichborndamm zum Wilhelmsruher Damm. Die beschaulichen alten Mietshäuser wichen den Hochhäusern des Märkischen Viertels. Bis Ende der 1950er Jahre befanden sich hier die »grünen« Slums, wie die Gegend auch genannt wurde wegen der Wohnlauben und der Notunterkünfte auf ungeordneten, oft unerschlossenen Grundstücken mit völlig unzulänglichen hygienischen Verhältnissen. Die Lehrstunde hatte Meyerbrinck gestern Abend von Koslowski erhalten, als er ihn nach Hause fuhr. Es erstaunte Meyerbrinck nicht mehr, dass Koslowski auch über diese Ecke von Berlin Bescheid wusste. Koslowski liebte seine Stadt. Allerdings, wenn man ihn nach einer bestimmten Straße fragen