J. U. Gowski

Der König ist tot, lang lebe der König


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ist schon dort. Ich habe es vor zehn Minuten hingeschickt, nachdem wir hier fertig waren.«

      »Irgendeine Ahnung, was die Mordwaffe betrifft?«, wandte sich Koslowski an die Will.

      »Vermutlich ein Gewehr. 9mm«, und nach einer kurzen Pause ergänzte sie: »Das Projektil hatte einen Stahlkern. Wir hatten ganz schön zu tun es aus der Betonwand zu bekommen.«

      Koslowski sah Natascha Will neugierig an, fragte sich, ob noch weiterführende Erklärungen von ihr kommen würden. Kamen aber nicht. Dafür meldete sich der Unbekannte, der hinter ihnen in den Raum getreten war. »Panzerbrechende Munition.«

      Koslowski ignorierte den Einwurf. Er wandte sich an Natascha Will. »Und noch irgendetwas?«

      »Ja, diesen Zettel.«

      Sie ging zur Anrichte. Von dort griff sie einen beschrifteten Asservatenbeutel, wie ihn die Spurensicherung verwendete. Darin befand sich ein Zettel. Sie reichte Koslowski den Beutel. Der warf einen Blick auf den Zettel und las die kurze Mitteilung, die darauf stand: Heute wirst du sterben! Sie war an einem Computer geschrieben und ausgedruckt worden. Er runzelte die Stirn und reichte ihr den Beutel zurück.

      »Hier sind sie also fertig?«, fragte er.

      Natascha Will nickte, wobei ihr kurzer grauhaariger Zopf hin und her wippte.

      »Gut, dann würde ich sagen, sie gesellen sich zu ihrem Team aufs Dach. Tom wird sie begleiten. Ich komme gleich nach.«

      Er drehte sich um und ließ sie stehen, um sich das Fenster genauer zu betrachten. Natascha Will sah empört zu Meyerbrinck. Der zuckte nur mit der Schulter und deutete mit dem Kopf zur Tür. »Gehen wir.«

      7.

      Als Koslowski mit Van Bergen und dem Unbekannten allein in der Wohnung war, sah er sich um. Er musterte die altmodische Schrankwand, das plüschige Sofa. Er ließ sich dabei Zeit um die miefige Spießigkeit, die die Wohnung ausstrahlte, auf sich wirken zu lassen.

      Der schlanke Unbekannte unterbrach die Stille. Er sah Koslowski ironisch an.

      »Ich heiße Schulz. Und schon in Ordnung, dass sie mich nicht leiden können.«

      Koslowski fand es nicht wert, darauf zu antworten. Schulz‘ Mund verzog sich zu einem kalten Lächeln. »Sie kennen Roger Rudy?«

      Koslowski ließ sich die Überraschung nicht anmerken. »Ja«, antwortete er. »Und?«

      »Nichts, ich wollte nur sicher gehen, dass ich es mit dem Richtigen zu tun habe.«

      »Das ist Blödsinn. Was wollen sie mir wirklich sagen?«

      Der Herr Schulz antwortete nicht, drehte sich um und ging zur Tür. Dort hob er nochmal die Hand und sagte ohne sich umzudrehen: »Ich melde mich bei ihnen.«

      »Arschloch!«

      Van Bergen sah vorwurfsvoll zu Koslowski. Was an dem wirkungslos abprallte. »Was war das für ein Vogel? Und jetzt bitte nicht nochmal die Mär mit der Staatsanwaltschaft.«

      »Irgendein Geheimdienst. Mir wurde nur gesagt, dass er dabei zu sein hat und wir ihn unterstützen sollen.«

      »Bei was?« Van Bergen hob ratlos die Achseln. Er fühlte sich sichtlich unwohl. Koslowski fragte nicht weiter. Scheinbar war sein Chef auch nur ein unteres Glied in dieser Befehlskette. Wenn es so war, dachte Koslowski, kann es sich nur um ein politisches Thema handeln. Warum sollte sonst der LKA Chef persönlich am Tatort erscheinen, mit diesem Schlapphut an seiner Seite. Stellt sich die Frage: Wer war der Tote?

      Koslowski öffnete die Tür zum Dach. Er sah, wie die Techniker gerade die Lampen zusammenpackten. Augenscheinlich war die Spurensicherung auch hier schon fertig. Paul Haller, der Fotograf winkte ihm grüßend zu und machte dann noch ein paar Nahaufnahmen an der Mauerbrüstung, wo zwei gelbe Nummernschilder als Markierungspunkte aufgestellt waren. Es blitze zweimal. Dann kam Haller auf Koslowski zu und reichte ihm die Hand.

      »Hallo Sal.«

      »Hallo WeeGee, was macht die Kunst?«

      Die übliche Begrüßung von Koslowski, wenn er seinen Freund Haller sah, seitdem der mal eine Ausstellung mit Fotografien im »Mandelmond«, in Prenzlauer Berg gehabt hatte. Den Mandelmond gab es immer noch.

      »Alles im grünen Bereich«, antwortete Haller schmunzelnd. Meyerbrinck kam mit einem Asservatenbeutel auf sie zu. Er reichte die Tüte Koslowski. »Die Patronenhülsen.«

      »Zwei?« Koslowski sah ihn überrascht an.

      »Sieht wohl so aus«, konnte sich Natascha Will nicht verkneifen, die unbemerkt näher getreten war.

      Koslowski tat, als hätte er es nicht gehört.

      »Ich kenne Espressotassen, die kleiner sind.« Er hielt die großen Patronenhülsen nach oben.

      Meyerbrinck lachte.

      »Wo verkehrst du denn? Edel Espressobars?«

      Koslowski sah ihn finster an. Meyerbrincks Lachen verstummte. »Mann, hast du eine Laune!«

      Meyerbrinck drehte sich um, breitete seine Arme aus und rief: »Schön hier oben. Als ob man das da unten hinter sich lassen könnte.«

      »Kann man nicht. Holt einen immer wieder ein«, zerstörte Koslowski Meyerbrincks Versuch, die Stimmung zu verbessern. Koslowski konnte diesen Hochhaussiedlungen nichts abgewinnen, weder im Osten, wo sein Kollege Frank Grabowski seine Jugend verbracht hatte, noch im Westen. Tristesse in Beton. Wie sollte man so etwas ausblenden können?

      »Nach den Patronenhülsen zu urteilen: 9 x 39mm Ultraschallmunition«, unterbrach Natascha Will seine Gedanken. »Munition für ein Scharfschützengewehr. Und da hat der Schütze gehockt.« Sie wies mit ihren knubbeligen Fingern zur Brüstung, auf der immer noch die beiden gelben Schildchen standen.

      Koslowski hatte schweigend zugehört.

      »Zwei Patronenhülsen«, sinnierte er. »Das bedeutet zwei Schüsse. Aber bisher nur ein Projektil. Wo ist der zweite Schuss hingegangen?«

      »Ich vermute, das Projektil wird irgendwo dort stecken.« Meyerbrinck zeigte zum gegenüberliegenden Hochhaus. »Vielleicht neben dem Fenster. Der erste Schuss war vermutlich der Probeschuss zum Justieren des Zielfernrohrs.« Koslowski sah Meyerbrinck erstaunt an. »Na, wenn wir hier über einen Scharfschützen reden. Ich würde es jedenfalls so machen.« Meyerbrincks Stimme klang dabei sehr bestimmt. Koslowski gab ihm recht.

      »Profi oder nur guter Schütze?«

      »Warum fragst du? Eindeutig ein Profi.«

      »Und warum hat er die Patronenhülsen liegen gelassen? Das spricht nicht für einen Profi.«

      »Es sei denn er hatte keine Zeit, wurde gestört«, fiel ihm Meyerbrinck ins Wort.

      »Oder es war ihm einfach egal«, ergänzte Koslowski. »Was denkst du?«

      »Ich denke, der Schlapphut war nicht umsonst mit unserem Chef da«, wich Meyerbrinck aus.

      Koslowski kratzte sich am stoppeligen Kinn und nickte dann zustimmend. »Machen wir Schluss für heute.« Er sah Meyerbrinck an. »Kannst du mich bis zum Pastor-Niemöller-Platz mitnehmen? Den Rest lauf ich.«

      »Klar, liegt ja fast auf meiner Strecke. Gut, dass du nicht mehr im Prenzlauer Berg wohnst, nicht mehr in dem Trubel. Ich lass dich an der Ecke Tschaikowskistraße raus«, meinte Meyerbrinck lächelnd.

      »Ja, es ist dort entschieden ruhiger. Vielleicht zu ruhig für mich. Noch. Ich muss mich erst noch daran gewöhnen.«

      Meyerbrinck nickt verstehend. »Wird schon.«

      Zwanzig Minuten später hielt Meyerbrinck in der Grabbeallee, Ecke Tschaikowskistraße an. Er ließ Koslowski aussteigen. Koslowski warf die Beifahrertür zu und Meyerbrinck wendete. Er winkte Koslowski noch einen kurzen Gruß zu, dann brauste er in Richtung Blankenburger Straße. Er hatte es eilig, wollte nach Hause. Vielleicht war