Andreas Bernrieder

IHP Last Hope: Epicinium


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trauert, nehme ich an. Ihr Name ist Naomi“, Gorons Stimme wurde merklich kühler „Orinama.“ Schweigen. Dann leises Getuschel von allen Seiten.

      „Aufstehen“, befahl Goron. Naomi erhob sich, blickte unsicher über die Schulter und sah, wie alle sie anstarrten. Es waren Blicke voller Erstaunen, wie konnte jemand mit diesem Namen hier studieren, Blicke voller Wut, wie konnte jemand mit diesem Namen es wagen ein Trauerkleid zu tragen und am schlimmsten für Naomi Blicke voller Angst, was würde jemand mit diesem Namen uns antun. Als keine weitere Reaktion folgte strich Naomi ihr Kleid glatt und setzte sich schnell wieder, ihre Wangen vor Scham gerötet.

      Den Kopf gesenkt bemerkte sie, wie Professor Kirginja sie nachdenklich musterte. „So, das war’s dann auch wieder. Auf ein gutes Jahr“, verabschiedete sich Goron, bevor es sich wieder hinsetzte. Professor Kirginja trat wieder hinter das Pult. Mit einer flinken Handbewegung startete er das, in der Wand hinter ihm verborgende, Display. „Da heute ein … besonderer Tag … ist, möchte ich unsere heutige Strategievorlesung darauf verwenden Sie ein praktisches Beispiel bearbeiten zu lassen. Heute vor acht Jahren kam es zu einem der größten Militäreinsätze der Geschichte auf der Last Hope. Wie Sie alle wissen wurde damals eine mehrtägige Geiselnahme gebrochen. Dabei kam es zu erheblichen Verlusten auf unserer Seite, was auf die besonderen Gegebenheiten der Örtlichkeit zurückgeführt werden kann. Ihre heutige Aufgabe besteht darin eine Alternative zu der verwendeten Taktik zu entwerfen und abschließend als Präsentation vorzustellen. Dafür werden Sie in Gruppen arbeiten, ihre jeweilige Gruppennummer entnehmen Sie Ihrem Display. Ich stelle Ihnen alle öffentlich zugänglichen Informationen zu der verwendeten Taktik zur Verfügung, damit sie daraus Rückschlüsse für sich selbst ziehen können. Und jetzt beginnen Sie!“ Auf dem Display hinter ihm erschien ein Timer, der von einer Stunde abwärts zählte. Auch die Displays der Studenten leuchteten auf und zeigten Nummern von 1 bis 5.

      Vor Naomi leuchtete die Ziffer Fünf. Konnte sie es nach der vorangehenden Situation noch schaffen sich in die Klassengemeinschaft zu integrieren, oder waren die Meinungen ihrer Mitschüler schon gefestigt? Hinter ihr begannen die Studenten sich zu ihren Gruppen zusammen zu stellen. Sie hörte hinter sich einen Studenten „Gruppe fünf hierher.“ rufen. Einige Momente rang Naomi noch mit ihren Gefühlen, entschloss sich dann aber für die Flucht nach vorne.

      Sie stand auf und blickte suchend über die Köpfe der anderen Studenten hinweg. Ganz hinten standen bereits drei Studenten und einer der drei rief wieder „Gruppe fünf hierher.“. Naomi setzte sich in Bewegung. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie Misa sich auf dieselbe Gruppe zu bewegte. Misa erreichte die anderen zuerst und Naomi hörte, wie sie sich begrüßten. „Danke für euer Mitgefühl. Es geht schon.“.

      Naomi trat hinzu, als Misa die Hand des Jungen ergriff und er sich vorstellte. „Hi, ich bin Marco, das hier ist Laura und dieser kleine hier ist Nils.“ „Lass das, du bist keine 10 Zentimeter größer als ich.“, murrte Nils, der tatsächlich der kleinste in der Gruppe war. Die anderen bemerkten Naomis Anwesenheit und ein unbehagliches Schweigen trat ein.

      Mit leicht bebender Stimme begann Naomi „Hi, ich bi“. „Dass du es wagst heute ein Trauerkleid zu tragen.“, zischte Misa. „Du wagst es“, „Misa, bitte“ „Du wagst es die Streifen des Verlusts zu tragen.“ „Misa, lass mich“ „Nein. Du hast hier gar nichts zu sagen, oder Leute?“ Fordernd wandte sie sich an Marco, Laura und Nils. Erst wirkten die drei etwas unsicher, aber auf Misas drängenden Blick hin stimmte Marco zu. „Kolonialisten Abschaum brauchen wir hier nicht.“ Laura und der kleingewachsene Nils warfen sich einen Blick zu, bevor sie stumm nickten und sich von Naomi abwandten. „Misa, bitte lass uns reden.“, unternahm Naomi einen letzten Versuch, aber die angesprochene ballte die Fäuste und erwiderte mit von Hass verzerrter Stimme „Mach das du hier verschwindest du Verräterin.“

      Naomi erkannte in dem ihr immer noch gut bekannten Gesichtszügen die unterschiedlichsten Emotionen. Wut, Hass, Trauer und vielleicht bildete sie es sich nur ein, aber sie meinte auch etwas Verletztes in ihren Zügen zu erkennen. Dieser Gesichtsausdruck schmerzte sie mehr, als alles was gerade zu ihr gesagt worden war. Wortlos drehte sie sich um und ging zurück. Es erforderte ihre gesamte Kraft die Tränen zurück zu halten, aber sie wusste das ihre neuen Mitstudenten sich wie Aasfresser auf jedes Anzeichen von Schwäche stürzen würden, also hielt sie sie zurück. Sie hätte wissen müssen, dass spätestens seit Misas Auftritt, spätestens seit der Ansprache von Goron Topwa ihr niemand helfen würde. Wieder einmal war die Chance verstrichen neue Verbündete zu finden. Oder wie Naomi traurig dachte, alte wiederzufinden. Wieder hallten Misas Worte wie Schläge in ihrem Magen nach, bevor sie ihren Platz erreichte und sich allein an die Lösung der schwierigen Aufgabe setzte.

      Naomi betrachtete den schematischen Plan des Bonaparte-Parks mit gerunzelter Stirn, darauf bedacht die Erinnerungen an jenen Tag zurück zu halten. Sie erkannte die wesentlichen Landmarken intuitiv, die verschlungenen Wege, der große zentrale Platz mit dem Springbrunnen in seiner Mitte. Um den Brunnen waren die Positionen von Menschen eingezeichnet, die überwiegende Mehrzahl in einem neutralen Grau, einige Dutzend jedoch in einem leuchteten Rot. Die Grauen waren die Geiseln, die Roten die Kolonialisten, die den Park besetzt hielten. Naomi musste die Zahlen am rechten Rand des Displays nicht ansehen, um zu wissen wie viele Menschen dort standen.

      Es waren 947 Zivilisten und 86 Geiselnehmer. 1.033 Menschen und vier davon trugen den Namen Orinama, drei graue und eine rote Person.

      Die Terroristen hatten ihre Geiseln zu einer großen Gruppe zusammengetrieben, während sie sich in einem losen Halbkreis drum herum, beziehungsweise vereinzelt in der Gruppe befanden. Naomi öffnete die Detailansicht eines Wächters und erhielt einen detaillierten Überblick über die zu diesem Zeitpunkt bekannten Informationen. Sofort fiel ihr auf, dass der Sprengstoffgürtel, den alle Angreifer trugen nicht verzeichnet war. Eine der größten Fehleinschätzungen der Eingreiftruppe, es wurde nicht bedacht, dass es zu massiven zivilen Opfern kommen konnte.

      Bilder der alten Frau, die Naomi panisch wegzerrte blitzten vor ihren Augen auf. Fast konnte sie wieder den Gesang der Kolonialisten hören, die sich überschlagenden Stimmern, die den Moment ihrer Niederlage noch in einen Sieg verwandeln wollten. Sie schüttelte den Kopf und vertrieb die unliebsamen Erinnerungen.

      Wie hätte das Spezialkommando besser vorgehen können? Wie hätte man mehr Menschen retten können? Naomi öffnete das Simulationsprogramm, dass Professor Kirginja ihnen zur Verfügung gestellt hatte und begann eine Strategie auszuarbeiten. Ihr Hauptfokus war es dabei die Geiselnahme mit möglichst wenig zivilen Opfern zu beenden. Sie versank immer tiefer in die Details des Tages, las sich die kurzen psychologischen Beschreibungen der Täter durch, um den richtigen zu finden, bis sie die Persona von Sarah Orinama öffnete.

      Ihr Herz setzte einen Moment aus, als sie das verhasste, schmale Gesicht sah. „Warum hast du das getan, Mama?“ Die Tränen rannen ihrem 13-jährigen Ich die Wannen herab. Sarah starrte sie durch die beinah durchsichtigen Laserschranken an. In ihren Augen glitzerte der Wahn. „Ich hatte keine Wahl.“ „Aber, aber was ist mit Papa?“ “Er stand der neuen Welt im Weg.“, ihre Stimme senkte sich zu einem unheimlichen Flüstern. „Jetzt stehen uns weniger Leute im Weg, begreifst du nicht, dass ich das alles für euch gemacht hatte.“ Ein durchtriebenes Lachen entrang sich ihrer Kehle. „Ich werde als Heldin sterben.“. Naomi riss sich von ihren Erinnerungen los und schloss die geöffnete Datei.

      Diese Person war kein geeignetes Ziel für ihre Strategie. Jetzt achtete sie auch darauf diese nicht erneut zu öffnen. Konzentriert und ohne weitere Gedankensprünge arbeitete sie sich vorwärts bis der Timer hinter Professor Kirginja rot zu blinken begann.

      Naomi gab ihre Simulation zur Abgabe frei und wartete auf das Ende der Vorbereitungszeit. Langsam wurden um sie herum die Stimmen leiser, bis schließlich der Timer von 00:00:01 auf 00:00:00 sprang. In diesem Moment erhob sich Professor Kirginja von seinem Stuhl und warf einen prüfenden Blick auf seine Studenten. „So, meine Herrschaften. Dann bin ich mal gespannt, was für “, er zögerte und fuhr dann mit leicht ironischem Unterton fort „geniale Lösungen Sie anzubieten haben. Einer jeder Gruppe tritt bitte vor und stellt den Lösungsweg vor und dann können wir noch rechtzeitig ins Mittagessen starten. Gruppe 1 beginnen Sie!“

      Ein braun gelocktes Mädchen trat nach kurzer