Andreas Bernrieder

IHP Last Hope: Epicinium


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sie, der umliegende Wald und ihr Atem. Langsam entspannten sich auch ihre Muskeln und so glitt sie in einen Zustand des Befreit-seins, in dem nichts sie stören konnte.

      Einige Zeit später erklang ein dumpfer Glockenschlag über das Campus-Gelände und rief alle darauf verteilten Studenten zur nächsten Unterrichtseinheit, die in zehn Minuten beginnen würde. Naomi erhob sich und ging mit beschleunigtem Schritt zurück zu ihrem Unterrichtsgebäude. Sie eilte zu ihrem Spind und holte sich ihre dort deponierten Sportsachen. In der Umkleidekabine angekommen bemerkte sie, dass sie wohl eine der letzten war. Der Raum war gefüllt mit Studentinnen der vierten Sekundarstufe. Naomi nahm an, dass Aufgrund der Anzahl diese Unterrichtseinheit von zwei Kursen zur selben Zeit absolviert wurde. Die Mädchen waren damit beschäftigt zu quatschen und sich umzuziehen, wodurch es Naomi gelang unbemerkt in eine Ecke zu gelangen.

      Dort streifte sie zügig das Trauerkleid ab, stets darauf bedacht ihren Rücken von allen anderen abgewandt zu halten. Nachdem sie mit dem Umziehen fertig war reihte sie sich ein und verließ gemeinsam mit den anderen die Kabine. Sie traten in einen der Gebäudeinternen Sportsäle, der genug Platz für 100 Studenten bot. Dort standen bereits Reihe um Reihe Jungen und Mädchen aufgereiht und warteten auf den Unterrichtsbeginn. Anscheinend legte F-Lieutanant Sargei mehr Wert auf militärischen Drill als ihre letzte Dozentin in einem Sportfach. Naomi war es recht so, Disziplin würde auch verhindern, dass andere ihr während der Unterrichtseinheit Probleme machten.

      Sie stellte sie neben einen Jungen, der offenkundig nicht aus ihrem Kurs war, denn er lächelte sie kurz an, bevor er wieder starr geradeaus starrte. Zwei Reihen weiter vorne konnte sie Misa und Goron erkennen, ebenfalls still dastehend.

      Die Minuten vergingen und als F-Lieutanant Sargei nicht kam, raunten sich einige der Studenten Fragen zu und standen bequemer. Naomi warf einen Blick über den Rücken und sah, dass hinter ihr nochmal zwei Reihen mit jeweils zehn Studenten standen. Daraus schloss sie, dass der andere Kurs wohl kleiner sein musste als ihrer, aber ob das von Bedeutung war, wagte sie zu bezweifeln. Weitere Minuten verstrichen und das Gerede der Studenten wurde zunehmend lauter. Einige forderten die Kurssprecher dazu auf, etwas zu unternehmen, andere freuten sich über ein früheres Schulende, bevor eine rauchige Stimme sie alle übertönte.

      „Stillgestanden. Alle Augen zu mir.“ Die Stimme war befehlsgewohnt und sorgte binnen eines Augenblickes dafür, dass es still wurde. Alle Studenten strafften die Schultern und standen gerade, als F-Lieutanant Sargei den Raum auf der Frontseite betrat. Ihre schwarzen Stiefel hallten durch den Raum, als sie mit gemessenem Schritt an den Personen in der ersten Reihe vorbeischritt. Der dunkelrote, beinah ins schwarz übergehende, Stoff ihrer Uniform wallte von ihrem Körper, der kein Zweifel daran ließ, dass diese Frau sich ihr Leben lang gestählt hatte. Schließlich blieb sie mittig zu ihnen stehen und musterte sie einen Moment aus ihren kühlen, braunen Augen. Naomi kam nicht umhin zu bemerken, dass sie in diesem Augenblick wenig mit der freundlich wirkenden Frau aus ihrem Profilfoto zu tun hatte. Aber bevor sie diesen Gedanken weiter verfolgen konnte begann F-Lieutanant Sargei zu sprechen.

      „So ist das also. Sie wollen also Nachwuchskräfte für den Sicherheitsdienst sein? Es trennen Sie nur noch zwei Jahre bevor sie in den Dienst entlassen werden. Zwei Jahre in denen sich zeigen soll, ob sie dazu taugen potenzielle Unruhen niederzuschlagen, dem Gesetz seine Geltung zu verschaffen, oder auch unsere Politiker zu schützen. Und weniger als ein halbes Jahr bevor Sie sich entscheiden müssen. Für die Bequemlichkeit der Exploration, dem Eifer der inneren Sicherheit oder dem Abenteuer der SCS. In dieser Zeit bis dahin werden wir sehen, ob Sie etwas taugen. Oder es zeigt sich, dass sie nichts davon gewachsen sind und aus dieser Ausbildung entfernt werden müssen.“

      Sargei kam auf die Studenten zu, und wie man es ihnen gelehrt hatte bildeten sie Zwei Blöcke, sodass ein Gang für den F-Lieutanant in ihrer Mitte frei wurde. Alle Augen waren nun auf die unter ihnen wandelnde Offizierin gerichtet.

      „Ich habe mich gefragt, was mich erwarten würde, bevor ich diesen Raum betrat. Würden sie still auf meine Ankunft warten und damit zeigen, dass sie zu nichts anderem taugen als treudoofem Kanonenfutter? Oder würden sie die Disziplin ganz ablegen und gehen, in der Annahme es würde niemand mehr kommen. Nun ich schätze mal einige von Ihnen waren kurz davor.“

      Sargei musterte die Studenten kritisch, „Aber ich stelle mir die Frage, ob jemand weiß was zu tun gewesen wäre?“ Sie blieb vor einem Mädchen mit türkisem Haar und einem grünen Shirt stehen. „Können Sie es mir sagen?“ Kleinlaut kam „Nein“ als Antwort. „Wie bitte? Reden sie verständlich, Rekrut.“ „Sir, Nein, Sir.“, kam es deutlich lauter.

      F-Lieutanant Sargei trat wieder vor die Studenten, die ihre Reihen schlossen und nun alle nach vorne gerichtet auf die Antwort warteten. „Ich sage Ihnen was ein verantwortungsvoller Rekrut hätte tun sollen. Merken Sie sich dies und denken daran, wenn es wieder zu einer solchen Situation kommt. Also merken Sie sich, im Falle einer Krise und sei es auch nur die Abwesenheit eines Führungsoffiziers ist eine Truppe die dumpf darauf wartet, dass jener Offizier noch eintrifft ebenso verloren wie die Truppe, die sich in Panik auflöst. Die Truppe, die gewinnt bestimmt einen Übergangsoffizier, der in ihrem Namen die Befehle erteilt, was auf Sie angewendet bedeutet, warum hat niemand die Aufgabe übernommen das Aufwärmtraining zu leiten? Sie sind alt genug, um zu wissen was getan werden muss. Um sie daran zu erinnern beginnen wir mit einem 20 Kilometer Rundlauf. Los geht’s.“ Und alle rannten los.

      Etwa eine Stunde später beendeten sie das Aufwärmtraining mit Dehnen, bevor sie sich wieder aufstellten und auf weitere Anweisungen warteten. Naomi stand jetzt in der ersten Reihe, die Arme hinter dem Rücken verschränkt und den Blick starr geradeaus gerichtet. F-Lieutanant Sargei trat vor sie. „Wie ich sehe, ist bei Ihnen noch nicht alles verloren. Auf diesen Leistungen kann man aufbauen, aber ich erwarte bis zu ihren Abschlussprüfungen dieses Jahr noch einiges an Verbesserung. Wie dem auch sei, wir kommen jetzt zu einer Übung, die Ihnen neu sein dürfte. In den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten kam es immer wieder zu gewalttätigen Demonstrationen auf der Last Hope. Der friedliche Protest kann und sollte geduldet werden, was jedoch nicht für den Gewaltsamen gilt. Wir leben hier auf begrenzten Raum, und ohne Disziplin und Frieden steht das Überleben der gesamten Menschheit auf dem Spiel. Es zählt zu einer der wichtigsten Aufgaben des Sicherheitsdienstes diesen Frieden zu wahren. Aus diesem Grund müssen sie darauf vorbereitet sein einer zahlenmäßig überlegenen Demonstration standzuhalten. Bis drei durchzählen, Sie fangen an.“

      Sargei deutete auf einen Jungen ganz vorne links. „Eins“, „Zwei“, ging es durch die Reihen. Naomi wurde eine Drei. Nachdem alle durchgezählt hatten bat F-Lieutanant Sargei alle Dreier nach vorne und gab ihnen gelbe Trikots. „Sie nehmen die Rolle der Sicherheitskräfte ein, während ihre Kommilitonen die Demonstranten spielen. Ihre Aufgabe ist es die Demonstranten zurückzuhalten. Sorgen Sie dafür, dass sie das vorderste Drittel dieser Halle nicht erreichen. Die Übung wird solange dauern bis sie verlieren und in Kürze beginnen. Überlegen sie sich eine Strategie.“

      Kirginja ging zu den übrigen Studenten, um ihnen ihre Aufgabe zu erklären. Betreten schauten alle Verteidiger zu der mehr als doppelt so großen anderen Gruppe hinüber. „Wie sollen wir das denn schaffen?“ „Bei denen sind auch noch alle Großen“ „Das sind doch zu viele, um sie alle aufzuhalten. Wir haben nicht mal Ausrüstung dafür.“ Kam es von links und rechts. Naomi überlegte fieberhaft, anscheinend hatten viele das Kämpfen schon aufgegeben. Alleine hatte sie nun mal keine Chance. Aber F-Lieutanant Sargei würde keine Aufgabe stellen, die nicht zu lösen wäre. Sie hatten keine Ausrüstung bekommen, was hieß das es auch ohne klappen muss. Naomi bemerkte, dass der Junge, der sie vorher angelächelt hatte, auch bei den Verteidigern war. Er schaute sie an und fragte. „Hast du einen Plan?“ Naomi grübelte. Einen Kampf Mann gegen Mann konnten sie nicht eingehen, es kamen zwei Angreifer auf einen Verteidiger.

      Allein hatten sie keine Chance, also mussten sie zusammenarbeiten.

      Hinter sich hörte sie, wie Kirginja rückwärts von 20 zu zählen begann. Jetzt war keine Zeit mehr zu denken, also wandte Naomi sich an den Jungen und erklärte mit wenigen Wörtern ihren Plan. Er nickte und nahm auf Naomis rechter Seite Aufstellung, während ein Mädchen ebenfalls aus dem anderen Kurs dasselbe auf ihrer anderen Seite tat. Der Rest der Verteidiger schloss sich kurzentschlossen der Reihe an, da