Andreas Bernrieder

IHP Last Hope: Epicinium


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haben ergeben, dass sowohl der offizielle wie auch der inoffizielle Rückhalt in der Bevölkerung immer weiter nachließ. Also haben die Terroristen noch einmal alle Mittel aufgewandt, um zu versuchen ihre Ziele durchzusetzen. Mit mäßigem Erfolg, wie ich anmerken möchte.“

      Er setzte sich wieder und ließ den Film weiterlaufen. An bestimmten Stellen unterbrach er ihn und stellte weiterführende Fragen an die Klasse. Desto näher sie dem Ende kamen, desto niedergeschlagener sah das Mädchen ganz hinten aus. Es würde nicht mehr viel fehlen. Die anderen steckten es ganz gut weg, natürlich kullerten bei einigen ein paar Tränen, aber die meisten hatten die Fäuste geballt, als ob sie losstürmen wollten und den Geiselnehmern persönlich das Handwerk legen. Er achtete auf Helen, das zweite Mädchen in schwarz. Sie gehörte zu den Wütenden, ihre Tränen glitzerten vor Wut. Villan nahm an, dass sie nach dem Unterricht eine Möglichkeit finden würde, um ihren Zorn Ausdruck zu verleihen.

      Der letzte große Teil des Films wurde darauf verwendet zu zeigen, wie die Kolonialisten versuchten ihre Forderung durchzusetzen. Es wurden Videoaufnahmen eingeblendet, Gespräche mit Experten über die Bewegung. Die Reportage lieferte Hintergrundwissen und näherte sich in kleinen Schritten dem Finale. Schließlich wurden nachgestellte Szenen der Verwaltung mit Vertretern der inneren Sicherheit gezeigt. Nach mühsamen Diskussionen rang man sich dazu durch, den alten Grundsatz beizubehalten mit Terroristen nicht zu verhandeln und in einem Blitzangriff die Geiseln zu befreien. Villan pausierte den Film.

      „So, wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Schule meint, ihr wärt zu jung, aber ich denke, dass seid ihr nicht. Wer sich dennoch nicht bereit fühlt kann das Klassenzimmer für 10 Minuten verlassen.“ Natürlich ging niemand, ganz wie geplant. Jetzt hatte er seine Pflicht getan und trotzdem dafür gesorgt, dass noch alle da waren. Er drückte auf weiter.

      Die Dokumentation zeigte wieder Ausschnitte aus dem Park. Sie zeigte die Hinrichtung der ersten sieben Geiseln. Die Mistgöre in der letzten Reihe fuhr merklich zusammen und verdeckte ihre Augen. Unzufrieden unterbrach Villan den Film abermals und schickte einige Schülerinnen und Schüler raus, die die stärkste Reaktion auf die Hinrichtung gezeigt hatten. Den Rest ermahnte er unter Androhung einer Strafarbeit zu Aufmerksamkeit.

      Final zeigte der Film, wie die Terroristen, als klar wurde, dass die innere Sicherheit durchbrechen würde, sich innerhalb ihrer Opfergruppe verteilten und letztlich die Sprengung initiierten. Die Kamera schwenkte weg und man hörte nur noch die Explosionen und Schreie. Villan sah, wie die meisten kreidebleich geworden waren und vor allem sein persönliches Ziel zitterte am ganzen Leib. Das Schwein ist für die Schlachtung bereit dachte er sich.

      Während auf dem Bildschirm langsam der Text „Der Anschlag forderte 894 Todesopfer, wovon hunderte erst später an den Folgen der Explosion verstarben. Von den Geiselnehmern konnte nur eine Person gefangen genommen werden.“ erschien, bedeutete Villan den auf dem Flur wartenden wieder hereinzukommen.

      Dann verdunkelte sich der Bildschirm kurz, bevor das Video einer Gefängniszelle eingeblendet wurde. Darin stand eine Frau, mit zerzaustem schwarzem Haar und einem Gesichtsausdruck, der nur als irr bezeichnet werden konnte. Villans gesamte Aufmerksamkeit lag jetzt auf seinem Ziel. Er sah, wie die ohnehin schon tränenüberströmten Augen sich noch weiter weiteten, als sie erkannte was jetzt kommen würde.

      Der Kommentator war jetzt leise, so leise, dass es die Spannung in ungeahnte Höhen trieb. „Eine der Angreiferinnen überlebte den Anschlag und konnte gefangen genommen werden. Es handelte sich um eine treibende Kraft in der Kolonialisten Terrorzelle und sie wurde als Sprecherin des Anschlags identifiziert. Nach mehrtägiger Befragung wurde sie von einem Militärgericht zum Tode verurteilt. In Beisein ihrer überlebenden Familie und hochrangigen Offizieren wurde die Exekution 5 Tage nach dem Anschlag vollstreckt. Ihr Name war Sarah Orinama und so ist dieser Anschlag heute unter den Namen Orinama-Anschlag bekannt.“

      Der Film stoppte und eine angespannte Stille lag in der Luft. Befriedigt sah, wie einige Schüler sich nach hinten umdrehten, um die Göre zu mustern. Auch er erhob sich. „Wir haben jemanden besonderes in unserer Klasse. Ari. Deine Mutter war es, die diesen Anschlag ausgeführt hat und wir würden gerne hören, was es in dir ausgelöst hat, sie sterben zu sehen.“

      Seine Befriedigung wuchs und entwickelte sich zu einem Hochgefühl, als sich alle Köpfe der Klasse nach hinten wandten und Ari, sein Opfer anstarrten. Er konnte in einigen Augen Hass erkennen, in anderen Hilflosigkeit, aber auch in einigen Mitleid mit der Kreatur. Ari Orinama dagegen hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, ihre Schultern zitterten unkontrolliert und sie durchbrach die Stille des Klassenzimmers mit ihren Schluchzern. „Ari. Willst du nicht aufstehen und es uns erklären?“, fragte er mit honigweicher Stimme.

      Er labte sich in ihren Quallen und war bereit es noch länger hinzuziehen, auch wenn das einigen Schülern zu weit ging. Aber niemand traute sich für dieses Ding, für diesen Orinama Abkömmling, in die Bresche zu springen und das wusste Villan nur allzu gut. Nach weiteren genussvollen Sekunden des Wartens ging er zu ihr und beugte sich ganz dicht zu ihr hin. „Steh auf, oder es setzt was.“, flüsterte er ihr ins Ohr. Das Kind erschauerte und stand auf, obwohl es sich kaum auf den zitternden Beinen halten konnte. Villan sah, dass ein paar Schülerinnen in der zweiten Reihe ihre Köpfe abgewandt hatten.

      So leid es ihm tat, er musste es wohl beenden. In dieser Stimmung konnte er den Unterricht nicht abschließen. Laut sagte er. „Ari ist anscheinend nicht bereit davon zu erzählen. Geh schon, auf die Toilette mit dir.“ Und das Mädchen tat, was er ihr befahl. Er verbrachte die letzten 20 Minuten des Unterrichts damit die Schüler erzählen zu lassen, was sie in den Ferien unternommen hatten, um die Stimmung aufzulockern und entließ sie dann in den freien Nachmittag. Ari Orinama kehrte während der gesamten Zeit nicht zurück. Noch nie hatte er eine solche Befriedigung verspürt.

      Aris Verschwinden

      Naomi verließ das Schulgebäude durch den Haupteingang, links und rechts strömten Studenten auf den Weg. Der heutige Tag endete für alle Studenten früher, um ihnen die Gelegenheit zu bieten an der großen Trauerzeremonie teilzunehmen, oder sie von zu Hause zu verfolgen. Auch Naomi, und ihre Schwester Ari, würden am späten Nachmittag eine eigene, private, Zeremonie abhalten, um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen. Naomi folgte den Wegen, bis sie an der Hauptstraße ankam. Von hier wurden einige der reicheren Studenten mit Privattaxis abgeholt, während der große Rest zum angrenzenden Bahnhof ging. Von hier fuhren Linien, die das gesamte Schiff miteinander verbanden.

      Naomi stieg in die Linie 13, genau wie einige andere, die sie aus ihrem Kurs wiedererkannte. Naomi fuhr bis zum Aimo-Platz, bevor sie ausstieg und auf eine Umstiegs Möglichkeit wartete. Dabei behielt sie im Blick, wie viele andere Studenten der Sicherheitsakademie die Bahn verließen und welche hier warteten. Sie achtete darauf, nicht verfolgt zu werden, seit vor drei Jahren jemand versucht hatte ihr nach Hause zu folgen. Damals hatte sie es noch rechtzeitig bemerkt und hatte den Verfolger abschütteln können, aber er war nah dran gewesen. Zu nah. Deshalb nahm sie nun jeden Tag eine andere Linie und stieg mehrmals um, bevor sie nach Hause kam, oder zur Akademie fuhr. Sie hatte Ari eingeschärft es ebenso zu handhaben, denn Naomis größte Angst lag nicht darin, dass ihr etwas geschah, sondern dass sich jemand an Ari vergreifen würde. Sie würde alles tun, um ihre kleine Schwester zu schützen, auch wenn es ihr Leben fordern würde.

      In trübsinnigen Gedanken versunken betrachtete sie die übermanngroße Statue von Aimo, dem Friedlichen. Der Künstler hatte ihm ein gütiges Gesicht gegeben, dass auf die Menschen, die zu seinen Füßen wandelten, hinablächelte. Sein Gesicht war auf der linken Seite deformiert, ein Zeichen der Misshandlungen, die er in seiner zweijährigen Kriegsgefangenschaft hatte hinnehmen müssen. Naomi erinnerte sich daran, wie Herr Laru, ihr Geschichtslehrer in der fünften Primärstufe, ihnen erzählt hatte, dass Aimo die Spitze einer Protestbewegung gegen den laufenden vierten Weltkrieg in den Vereinigten Asiatischen Gebieten war. Er wurde interniert und konnte erst Jahre später befreit werden, als das Militär langsam mürbe wurde und die Friedensbewegung immer stärker wurde. Es gab eine Legende, nach der Aimo seine Gefängniswärter, seine Foltermeister, vor seinen Befreiern geschützt haben soll und ihnen stattdessen die Hand des Vergebens reichte. Naomi kam der unwillkürliche Gedanke, ob sie ihren Feinden dasselbe würde. Sie kam zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis,