Andreas Bernrieder

IHP Last Hope: Epicinium


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weiter malträtiert worden. Die losen Hautfetzten waren entfernt und eine milchig weiße Creme war auf die Wunden geschirrt worden, aber Naomi konnte trotzdem sehen, wie tief diese Wunden waren. Wie konnte irgendjemand das einer anderen Person antun, fragte sie sich unwillkürlich. Ari war so klein, so zerbrechlich, warum hatte jemand das getan. Doktor Korjing musterte sie schweigend, während Tränen Naomis Augen benetzten und ihr langsam die Wangen herabströmten.

      Nach einigen Minuten fasste Naomi sich soweit, um zu fragen. „Doktor, können Sie mir sagen, können sie mir erklären welche Verletzungen sie hat.“ Er musterte sie zweifelnd, aber sie musste es wissen. Musste wissen, was Ari angetan worden war, um es in ihr Gedächtnis einzubrennen und nie mehr zu vergessen. „Bitte.“, fügte sie nach einigen Sekunden zu.

      Einen Moment lang zögerte er noch, dann seufzte er und hier sie auf einem der Stühle Platz zu nehmen. Dann aktivierte er ein Display an der Wand und rief eine Fotoreihe auf, die die Ärzte während der Behandlung geschossen haben mussten.

      Das erste Foto zeigte Aris Auge, ohne die Salbe. Es war scheußlich deformiert, durch die einsetzende Schwellung und Naomi erkannte etwas, wie Metallsplitter um das Auge herum. Der Doktor gab einige erklärende Worte ab und wies daraufhin, dass sie Partikel aus dem Auge auswaschen mussten. Ob es zu längerfristigen Schäden gekommen war, würde sich in Zukunft zeigen.

      Das nächste Foto zeigte Aris Beine. Das linke war verdreht und Naomi konnte ohne Erklärung erkennen, dass es mehrmals gebrochen war. „Es wird seine Zeit dauern, aber wir konnten alle Knochen wieder an ihren Platz bringen. Voraussichtlich wird ihre Schwester keine Einschränkung in der Gehfähigkeit behalten.“

      Eine Aufnahme von Aris Bauch folgte. Naomi erkannte die Anzeichen, dass Ari verprügelt worden war. Mehrfach, wie es den Anschein hatte.

      Und auf diese Weise folgte eine Bildreihe auf die nächste. Begleitet von den ruhigen Kommentaren des Doktors, der über mögliche Ursachen der Veilchen, Prellungen, Schürfwunden und aller anderer Verletzungen spekulierte, Naomi einen Abriss über die Schwere der Wunde und die Heildauer gab.

      Die letzten Fotos zeigten Momentaufnahmen von Aris Rücken. Auf dem ersten Bild waren die Wunden mit Erde verklebt, Hautfetzten hingen lose herab. „Wir gehen davon aus, dass diese Verwundungen gegen Mitternacht entstanden sind. Da sie auf einer Lichtung gefunden wurde, überrascht es nicht das Erde sich festsetzte. Wir haben die Wunden gereinigt, desinfiziert und mit einer heilenden Creme bestrichen. Wir können noch nicht sagen, wie gut der Rücken heilen wird. Aber es wird auf jeden Fall zu großflächiger Narbenbildung kommen.“ Ein Zucken fuhr durch Naomis eigene Narbe am Rücken. Aber sie hatte nur eine, wohl hässlich, breit und verquer, aber eben nur eine. Bei Ari würde ihr gesamter Rücken von Narben bedeckt sein.

      „Wie lange wird es dauern, bis sie wieder gesund wird?“, fragte sie zögernd. „Bis alles verheilt ist, meinen Sie? Nun, das ist schwierig zu sagen. Wir haben ihre Schwester während der Operation in ein künstliches Koma versetzt, das wird gleichzeitig den Heilungsprozess beschleunigen und unterstützen. Wir schätzen, dass wir sie in 5 bis 6 Tagen wecken können und unserer Erfahrung nach gehen wir davon aus, dass Ihre Schwester nur die nächste Woche verpassen wird und bereits übernächsten Montag wieder zur Schule gehen kann.“

      Es kümmerte Naomi nicht, wie lange es dauerte, bis Ari wieder in die Schule konnte, sie wollte nur, dass sie so schnell wie möglich gesund wurde. Aber natürlich war es gut, dass Ari wenig Unterricht verpasste. Die Anzahl der Fehltage war ein Bestandteil der Gesamtbenotung nach der Primärstufe, auch wenn sie durch äußerliche Umstände einhergingen. „Kann ich, kann ich hier bei ihr bleiben.“ „Natürlich können Sie ihre Schwester besuchen, aber achten sie darauf auch genug Zeit für sich einzuplanen. Es ist nicht hilfreich, wenn Sie sich aufarbeiten und ihre gesamte Zeit am Krankenbett verbringen. Sie sollten sich mit anderen umgeben, zu mindestens für einige Stunden, um sich abzulenken.“

      Er lächelte sie freundlich an, während Naomi überlegte, ob sie ihm erzählen sollte, dass sie niemanden außer Ari hatte. Niemanden der sie trösten, ablenken konnte. Aber sie entschied sich dagegen und brachte ein winziges Lächeln zustande. „Ja, Doktor.“ Er nickte und ließ sie dann alleine am Krankenbett ihrer Schwester. Sie betrachtete den kleinen, an Schläuche und Geräte angeschlossenen Körper und hoffte, dass alles gut werden würde. Liebevoll strich sie Ari über die Wange, spürte ihre Wärme, tröstete sich mit dem Gefühl des Lebens, das sie bedeutete.

      Zwischenspiel: Vertuschung

      Ein leises Stöhnen entfuhr Walter Pillert. Was er jetzt brauchte war ein Kaffee. Ein starker Kaffee. Normalerweise hätte er vor 10 Minuten nach Hause gehen können, aber das war ihm gründlich verdorben worden. Mit der einen Hand nestelte er am Kaffeeautomat herum, während er mit der anderen die Müdigkeit aus seinen Augen verscheuchte.

      Während die Tasse sich füllte ging er das bevorstehende Meeting nochmal im Kopf durch. Wer würde kommen? Die zwei ermittelnden Beamten, Mahrai und Shun, dann noch Ein Kollege aus dem Call-Center, Werel, außerdem noch ein Forensiker der die Spuren am Tatort aufgenommen hatte und er, Walter Pillert, F-Admiral der Inneren Sicherheit.

      Als ranghöchster anwesender Offizier fiel es in seine Zuständigkeit auf den Vorfall eine angemessene Reaktion zu geben. Kaffeearoma erfüllte den Raum. Allein der Geruch besserte seine Laune ein wenig. Einen Schluck später fühlte er sich schon fast wieder wach. Er strich sich die Uniform glatt und betrat den angrenzenden Konferenzraum. Die Anwesenden standen alle und unterhielten sich.

      Mit Ankunft der schlanken Gestalt Pillerts verstummten allerdings alle Gespräche und die Anwesenden legten ihre rechte Hand zum Salut auf die linke Schulter, während die andere hinter dem Rücken verschränkt wurde. Pillert ging gemächlich zu seinem Platz an der Stirnseite des langen Tisches. Dabei schweifte er mit seinem Blick alle Umstehenden, betrachtete ihre Gesichter eingehend und ordnete ihnen die passenden Namen zu. Als er seinen Stuhl an der Stirnseite des Tisches erreichte verharrte er noch einen Moment, bevor er sich bedächtig niederließ.

      „Rühren und setzen Sie sich.“, befahl er mit ruhiger, befehlsgewohnter Stimme. Die anderen Teilnehmer setzten sich schweigend. Würde sich jemand trauen die Initiative zu ergreifen? Nach einem Moment des Schweigens war die Antwort klar. Nein. Also begann er „Sie sind hier, um Report zu geben über den Vorfall im Chandler Park.“ Sehr viel mehr wusste er noch nicht, es war die Aufgabe seiner Untergebenen ihn zu informieren.

      Er wandte sich an Mahrai, sie war mit der Führung der Ermittlungen betraut worden. Letztlich würde es von ihren Ergebnissen abhängen, wie Pillert mit der Situation verfahren würde. War ein wichtiger Bürger das Opfer, so mussten erhöhte Ressourcen zur Aufklärung des Falls bereitgestellt werden. War es dagegen niemand von Bedeutung würde es reichen, wenn Mahrai am nächsten Tag eine Pressekonferenz hielt und dann mit einem begrenzten Team an der Aufklärung weiterarbeitete. Er sah der älteren Frau in die Augen.

      „Berichten Sie, Mahrai.“ „Gewiss, F-Admiral Pillert. Um 02:45 wurde die Innere Sicherheit von einem Zivilisten angerufen. Er meldete eine tote Person im Chandler Park bei einem Spaziergang gefunden zu haben. Kollege Shun und ich waren zu der Zeit ein paar Blocks weiter auf Patrouille, also wurden wir dorthin entsandt. Um 02:52 Uhr sind wir angekommen. Der Zeuge wies uns den Weg und dort fanden wir den nackten Körper eines Mädchens. Auf den ersten Blick waren schwere Verwundungen am ganzen Körper sichtbar. Außerdem haben wir festgestellt, dass der Zivilist sich geirrt hatte und das Opfer noch am Leben, wenn auch bewusstlos war. Wir haben ein Krankenwagen gerufen und während der Wartezeit den Zeugen befragt. Er konnte keine weiteren Informationen geben, also haben wir ihn nach Hause entlassen. Im Krankenhaus konnte dann schließlich das Opfer identifiziert werden. Es handelt sich um Ari Orinama.“

      Pillerts Gedanken rasten. Gerade hatte er sich noch die passende Reaktion auf diese Situation überlegt, aber das war jetzt hinfällig. Orinama. Das änderte die Situation.

      „In welcher Verbindung steht sie zu Sarah Orinama?“, fragte er. War sie nur entfernt verwandt wäre es möglich die Öffentlichkeit zu beruhigen. „Sie ist ihre Tochter. Die jüngste Tochter.“, antwortete Shun. Die Tochter. Direkt verwandt mit der Terroristin. Innerlich stöhnte Pillert erneut auf.

      Natürlich